Eines Tages träumte ich von Addis Abeba.
Ich habe nicht die geringste Ahnung warum. Ich, Marti Fischer, bin nie in Äthiopien gewesen, geschweige denn in Addis Abeba, und ich habe mich auch nie für Afrika interessiert, jedenfalls nicht mehr und nicht weniger als für andere sicherlich interessante Gegenden unserer wunderschönen Erde.
Nichtsdestotrotz träumte ich, ich wäre in Addis Abeba.
In meinem Traum sah Addis Abeba aus wie der Hasselbachplatz in Magdeburg.
Ich wohnte und studierte damals in Magdeburg.
Und ich lief auch öfter über den Hasselbachplatz. Aber warum der nun ausgerechnet als Hauptstadt eines afrikanischen Landes durch meine Träume spukte... nun, Träume muss man nicht verstehen.
Eines Tages hatte ich mit meinem Freund einige Erledigungen zu tun. Wir waren kreuz und quer in der Stadt unterwegs gewesen, und schließlich führte uns unser Weg auch über den Hasselbachplatz.
Ich war in Gedanken gewesen und so fiel mein Blick erst auf meine Umgebung, als wir ihn fast schon hinter uns gelassen hatten. Ich konnte nicht umhin, zu kichern.
Mein Freund sah mich fragend an.
Also erzählte ich ihm von Addis Abeba.
Er kicherte ebenfalls. Wir sahen uns in die Augen. Und konnten schließlich nicht mehr an uns halten: Auf jenem Bürgersteig am Hasselbachplatz in Magdeburg brachen wir beide in schallendes Gelächter aus. Wir mussten uns gegenseitig festhalten, damit wir nicht vor Lachen auf die Straße kippten. Und ich war froh, dass ich in meiner Jackentasche Taschentücher hatte.
Von da an hieß der Hasselbachplatz bei uns nur noch „Addis Abeba".
Wir haben viel gelacht damals.
Es war eine schöne Zeit.
Ach ja.
Aber so bleib es nicht. Die dumme Eifersucht machte vieles kaputt.
Ich war nun mal ein fröhlicher, offener Mensch, der schnell Kontakt fand. Auf andere zugehen konnte. Mein Freund konnte das nicht, und wann immer ich mit jemandem Spaß hatte, verdächtigte er mich des Fremdgehens. Irgendwann tat er das schon dann, wenn ich jemanden, und sei es die Kassiererin im Supermarkt, nur freundlich anlächelte...
Dabei habe ich ihm nie Grund dazu gegeben. Ich habe ihn geliebt, und wenn ich liebe, bin ich treu. Was das körperliche betrifft, aber genauso mit Kopf und Herz. Und deswegen tat es so verdammt weh. Es war so ungerecht!
Eines Tages stellte ich fest, dass unsere Liebe zu einem kleinen grauen Häufchen Schmerz zusammengeschrumpft war.
Unser gemeinsames Lachen war verschwunden.
Wir hatten schon lange nicht mehr gelacht.
Mein Freund verstand es nicht. Er sagte, er würde mich noch so sehr lieben. Aber ich glaube, es war eher Besitzdenken. Ja, das war der Grund, aus dem er mich nicht loslassen wollte.
Ich aber wollte nicht mehr. Ich konnte nicht mehr.
Er wollte es nicht einfach enden lassen. Er wollte eine letzte Chance haben.
Ich wusste, dass es vorbei war, aber... was solls.
Er wollte mit mir tanzen gehen.
In einer kleinen Bar in der Nähe von „Addis Abeba".
Dort spielten manchmal Livebands, aber heute nicht, heute Abend war da ein DJ.
Was solls, dachte ich wieder, wenn der halbwegs gute Musik auflegt, dann wird es vielleicht ein schöner Abend.
„Ich werde dir den schönsten Abend machen, den du je hattest," versprach mein Freund. „Und du wirst sehen, wie sehr ich dich liebe. Und dann fangen wir von vorne an, ja?"
Ich lächelte gezwungen.
Ein schöner Abend, gut. Aber... es war vorbei. Ich müsste nur noch einen Weg finden, es ihm klar zu machen.
Als wir in die Bar kamen, war es schon recht voll. Wir fanden aber noch einen kleinen Tisch, in der Ecke. Nur für uns zwei.
Wir bestellten ein Bier und ein paar Tapas. Es schmeckte gut. Mein Freund hielt sich tatsächlich zurück.
Na, jedenfalls zu Anfang.
Wir tanzten, und als die Tanzfläche voller wurde, blieb es nicht aus, das man auch mal angestoßen wurde. Da war es vorbei mit der Zurückhaltung. Es begann wieder. Die verdammte Eifersucht. Er fauchte mich an. Zischte wütend.
Genervt ging ich zu unserem Tisch zurück und bestellte noch ein Bier.
Er kam ebenfalls und setzte sich. Er schaute mich mit finsterem Blick an.
Der DJ war eine Ulknudel.
Jedenfalls bezeichnete er sich selber so.
Immer wieder ließ er zwischen zwei Songs eine Kinderstimme vom Band erschallen, die laut das Wort „Osterhasi!" plärrte. Zwischendurch auch mal „Nikolausi!", aber der Osterhase war ganz eindeutig sein Favorit.
Ich hätte gerne darüber gelacht. Aber... mir war nicht danach.
Ich vermisste das gemeinsame Lachen.
Mein Blick schweifte gedankenverloren durch den Raum.
Mein Freund fuhr mich an:
„Na, suchst du dir wen, mit dem du rummachen kannst?"
Da langte es mir. Endgültig. Ich stand auf.
„Ja, Ganz genau. Ich suche jemanden, mit dem ich den Rest der Nacht hemmungslos fremdvögeln werde. Und zwar..."
Ich blickte mich im Raum um.
„... den da!"
Und dann stand ich einfach auf und setzte mich an den Nachbartisch, an dem ein junger Mann saß, mit langem, seidigem braunem Haar, einer schlanken Figur und braunen Augen. Er sah mich ziemlich verblüfft an.
„Äh... Hallo...?" sagte er.
Ich schniefte. „Tut mir leid, dass ich dich in meinen Streit mit rein ziehe..."
Plötzlich stand mein Freund vor uns. Er schaute mich an, voller Zorn, doch gleichzeitig gebrochen und verletzt. Es tat mir leid. Aber ich konnte nicht mehr, ich hatte genug.
Er machte den Mund auf, wieder zu, knallte mit der Faust auf den Tisch, drehte sich um und ging.
„Das wars wohl," sagte ich.
„Scheiße," sagte der Typ. Der ausgesprochen gut aussehende Typ.
„War eh vorbei," sagte ich.
Ich reichte ihm die Hand. „Ich bin Marti."
Er nickte mir zu.
„Und ich bin..."
Und genau in diesem Augenblick schallte wieder die quäkende Kinderstimme durch den Raum:
„Osterhasi!"
Wir guckten uns an, kicherten... und lachten. Laut, lange und und aus vollem Herzen. Bis uns die Tränen liefen.
Gott, das hatte ich so vermisst.
Kann man sich in einen Mann verlieben, den man kaum kennt, den man im Halbdunkel der Bar auch nicht gut erkennen kann, von dem man nichts wusste, nicht einmal den Namen, nur aufgrund seines tiefen, dunklen, frohen, wunderbaren Lachens?
Ich glaube schon. Ich verliebte mich in Osterhasi.
Wir haben noch viel gelacht an diesem Abend.
Ich erfuhr, dass er Jako hieß und eigentlich aus Berlin kam. Und an der selben Uni studierte wie ich.
Er erfuhr, warum der Hasselbachplatz Addis Abeba hieß und warum mein Freund mich hatte einfach stehen lassen. Und dass ich Eifersucht nicht abkann. Und dass es nun mein Ex-Freund war.
Ich erfuhr, dass er sich nach Berlin sehnte. Wie gut er tanzte. Wir tanzten viel an diesem Abend.
Er erfuhr, dass meine Tanzskills auch nicht ohne waren.
Ich erfuhr, wie seine Lippen schmeckten...
Drei Jahre später haben wir geheiratet.
Ich nenne ihn bis heute Osterhasi.
Wir leben in Berlin. Und wenn uns jemand fragt, wo wir uns kennengelernt haben, dann sagen wir:
„In Addis Abeba!"
Und dann lachen wir uns kaputt, wenn die anderen große Augen machen.
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Berliner Sammlung
FanficEine kleine Sammlung von Drabbles, Oneshots und ähnlichem über die Berliner Youtuber. Alles, was mir dazu so in den Kopf kommt.