Wüstenblau Teil 2

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Es war einen halben Nilzyklus später, als Jako-Re erneut mit seiner Karawane im Auftrag des Pharao beim Tempel des Ammun eintraf.
Er wurde wie immer mit allen Ehren empfangen. Die Geschenke des Pharao wurden mit großer Dankbarkeit und Ehrerbietung angenommen. Die Soldaten wurden versorgt mit Speisen und Wasser. Die Kamele wurden gefüttert und getränkt. Alle bekamen Schlafplätze zugewiesen und im Tempel richtete man Dankgebete und Ammun, der wie immer seine schützende Hand über alles hielt.

Jako-Re bekam wieder das beste der Gästequartiere. Man ließ ihm ein warmes Bad mit duftenden Ölen von den Höhen des Sinai bereiten.
Es tat gut, den ganzen Staub und Schmutz von der Reise vom Körper zu spülen. Man brachte ihm Wein sowie Brot, Käse und gebackene Gemüse aus den Gärten des Tempels. Er würde das nach dem Bade genießen und sich dabei von dem langen und anstrengenden Kamelritt unter der heißen Wüstensonne erholen.
Wohlig räkelte er sich im duftenden Wasser.

Als er sein Bad beenden wollte, klatschte er in die Hände. Einer der jungen Priester sollte ihm Tücher bringen, um sich abzutrocken. Während Jako-Re also aus dem Badetrog stieg, glitten die feinen, leinenen Vorhänge zu Seite. Er drehte sich um, um den Priester anzuweisen, doch zu seinem größten Erstaunen sah er vor sich ...
... den Mann mit den Himmelsaugen.

Der junge Mann trug einen einfachen, aber sauberen Leinenschurz und schien gepflegt und offenbar wieder völlig wieder hergestellt zus sein.
Einen Augenblick sah er Jako-Re aus seinen blauen Augen neugierig an. Dann merkte er, dass er hier Grenzen überschritt, die ihm nicht zustanden. Er sank auf die Knie, eine fein gearbeitete Ölflasche aus Keramik, verziert mit Karneolen und Fayence, in den Händen haltend.
„Verzeiht", stotterte er. Seine Stimme war angenehm weich und hatte einen fremdländisch erscheinenden Akzent.
„Herr, ich ... nicht ... respektlos."
Jako-Re lächelte. Er schien die Sprache Ägyptens nicht zu beherrschen, aber immerhin inzwischen einiges aufgeschnappt zu haben.
Er legte ihm die Hand auf den Kopf.
Das Zeichen für „Dir sei verziehen."

„Sieh mich an", sagte Jako-Re.
Der junge Mann verstand.
Er hob vorsichtig den Blick. Beim Ammun, diese Augen!
Als man ihm gefunden hatte, war seine Haut sonnenverbrannt gewesen. Inzwischen war auch das verheilt, und es zeigte sich, dass seine Haut heller war als die der meisten Ägypter. Er kam wohl, wie es schien, aus nördlicheren Gegenden.
Er gefiel Jako-Re.

„Wie heißt du?", fragte er.
Der junge Mann sah ihn mit fragendem Blick an.
„Jako-Re", sagte Jako-Re und zeigte auf sich.
Dann wies er auf sein Gegenüber-
„Dein Name?"
Verstehen glomm in den blauen Augen auf.
„Mar-Ti!"
„Mar-Ti?"
Der Mann nickte und lächelte.
Oh Sechmet, deises Lächeln!

„Herr", sagte Mar-Ti, „Ich Euch .. salben. Salböl."
Er legte den Kopf schräg.
„Bitte?"

Jako-Re lächelte.
Dann nickte er, ging zu dem weichen Lager, das für ihn bereit stand und setzte sich.
Mar-Ti folge ihm. Er entkorkte die Flasche und schüttete etwas von dem herrlich duftenden Öl auf seine Hand und machte eine Geste, die Jako-Re aufforderte, sich auf dem Lager auszustrecken.
Mar-Ti schien keine Berührungsängste zu haben. Weder vor der Tatsache, dass der Herr nach dem Bad vollkommen nackt vor ihm lag, noch vor der Tatsache, dass er ihn gleich mit seinen Händen am ganzen Körper berühren würde.

Jako-Re schluckte.
Vielleicht war es gut, dass der andere nicht wusste, dass er zur weitläufigen Familie das Pharao gehörte und das Berühren eines Familienmitglieds des Herrschers den Tod mit sich brachte, wenn der Berührte behauptete, es wäre ohne sein Einverständnis geschehen ...
Nun, nicht dass er selber so etwas tun würde. So war Jako-Re nicht.
Dennoch.
MAr-Ti schien von solchen Sorgen völlig unbelastet, als er begann, mit kundigen Händen das Öl auf der Haut des Herrn zu verteilen.

„Ich ... danken ... Euch, Herr", sagte er leise, während er Jako-Re's angespannte Muskeln langsam und gewissenhaft knetete. „Für retten ... Mar-Ti."
Jako-Re lächelte wieder.
„Das ist gern geschehen", sagte er. Und auch wenn der andere möglicherweise nicht die Worte verstand, erfasste er doch sicher ihren Sinn.
Oh, diese Hände! Warm und sanft und geschickt!
Jako-Re genoss die Massage. Zugegebener Maßen mehr, als vielleicht angebracht war ...

„Ich ... euch bitte", sagte Mar-Ti leise.
Jako-Re drehte den Kopf und suchte den Blick des anderen.
„Bitten? Worum?"
Der junge Mann schluckte sichtlich nervös.
„Mar-Ti weiß ... soll sein Geschenk für Pharao. Priester hat gesagt."
Jako-Re nickte.
„Mar-Ti bitten ... möchte bei dem Herrn Jako-Re bleiben. Möchte sein Sklave von Herrn Jako-Re. Nicht von Pharao."

Der junge Mann schwankte zwischen rot und bleich. Bei allen Sprachschwierigkeiten, war ihm sicher klar, dass er damit eine ungeheure Frechheit gegenüber dem Pharao begangen hatte und dass ihn das den Kopf kosten könne.
Jako-Res Rachen war trocken.
Wenn er ehrlich sein sollte, fand er den Gedanken, den jungen Mann als sein eigen mitzunehmen, sehr berückend. Diese Hände jederzeit zur Verfügung zu haben. Diese Augen anschauen zu dürfen. Das Lächeln.
Ihn jederzeit als Sklaven zu sich befehlen zu können, um ihm aufzutragen ihn zu massieren ... und vielleicht ...

Und als er nun darüber nachdachte, wurde ihm bewusst, dass er dem Pharao gegenüber wenig von dem Findling erzählt hatte.
Ja, er hatte berichtet, dass sie einen Mann im Wüstensand gefunden hatten. Ihn mit zum Tempel genommen hatten.
Der Herrscher aber hatte kein weiteres Interesse gezeigt, und so hatte Jako-Re nicht weiter von ihm gesprochen, schon gar nicht, dass er ihn eventuell dem Gottkönig zum Geschenk machen würde ...
Sicher, die Etikette würde es begrüßen, aber ...

Er sah erneut in die blauen, bittenden Augen des anderen und wusste einfach nicht, was er tun sollte.
Nun , vorerst genoss er die Anwesenheit und die überaus geschickten Massagekünste des anderen.

Heute Nacht würde er Mar-Ti bei sich behalten und ihn am Fußende seiner Lagerstatt schlafen lassen.

Morgen würde er im Tempel beten. Die Götter würden ihm sicher mit ihrem Rat weiterhelfen.

Bis dahin also gab er sich und Mar-Tis Bitte erst einmal Aufschub.

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