Jazz

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Das hier widme ich JennyPenny, die mir die Stichworte "Stangeneis, Sonnenblumen, Kokosöl" gegeben hat. Jenny, du wolltest Fewjar, aber irgendwie hat mich dazu dieses Jarti angesprungen. Ich hoffe, du magst es trotzdem!


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Das Grammophon plärrte und verbreitete schwungvolle Jazzklänge durch das große Stadthaus in Berlin. Die Stimme des Sängers, ein knautschiger amerikanischer Südstaatenakzent, wurde durch das rauschen und knistern der Nadel auf der Schellackplatte noch mehr verzerrt. Aber genau das war es, was der Mann, dessen Hüften im Takt er Musik mitschwangen, mochte.
Er war barfuß, trug eine leichte Leinenhose und ein locker über der Hose getragenes Hemd, die Ärmel hochgekrempelt, drei Knöpfe des Hemdkragens geöffnet. Sein Haar war lang, wesentlich länger als es der Mode entsprach, und alles an ihm schrie geradezu „Künstler!"


Nun, mal abgesehen von dem Pinsel in seiner rechten Hand und der mit Farben bedeckten Leinwand, die vor ihm stand.
Er war vertieft in sein Werk und auch sein Gesicht war über und über mit Farbe bedeckt.
Eben strich er mit dem Handrücken über die schweiß bedeckte Stirn und verteilte damit einen Streifen Karminrot über seinem Haaransatz.
Her jeh, das würde wieder ein Akt werden,die Farbe aus den Haaren zu bekommen... nun, egal. Sein Werk nahm ihn gerade voll und ganz in Anspruch, über derlei Dinge würde er sich also erst Gedanken machen, wenn es soweit war.


Der Song auf der Schallplatte ging gerade mit einem quäkenden, jammernden Klang zu Ende, als der große schwere Türklopfer anschlug und seinen dumpfen metallenen Klang durchs ganze Haus schallen ließ.
Verflixt, das passte jetzt gar nicht!
Jetzt wäre Personal sehr praktisch gewesen, aber nun ja, er war ja froh, dass er genug von seinen Bildern verkaufte, um sich den Lebensunterhalt zu sichern, und die Unterhaltskosten für das Haus, dass er von einem Onkel geerbt hatte. Bedienstete wären ein Luxus gewesen den er zwar sehr zu schätzen gewusst hätte, der aber einfach nicht bezahlbar war.
Andererseits war es auch wiederum ganz gut, dass niemand in seinen Räumlichkeiten hinter ihm her schnüffelte, wenn...
Wieder ertönte der Türklopfer.
Seufzend legte er den Pinsel auf die Palette, sauste die Treppen runter und öffnete.


Vor ihm stand der hübscheste junge Mann, den er jeh gesehen hatte. Strubbelhaar, blitzblaue Augen. Ein so hübsches Gesicht, du meine Güte! Ein Muttermal auf der Stirn und ein etwas schiefes, selbstbewusstes Lächeln...
„Tut mir Leid, Meesta, ick hab ja am Dienstboteneingang jeklingelt, aba da hat keener uffjemacht."
Dienstboten...hä?
Ach so.
Langsam kam der Künstler wieder zu sich, und bemerkte nun die große Stange Eis, die der Typ vor ihm über seiner Schulter trug. Er hatte ein Ledertuch über der Schulter, auf der die Eisstange ruhte, und hatte sie mit dicken Handschuhen gepackt.
„Also Meesta, wo soll dit Eis nu hin?"


„Ja.. ach so, ja, kommen Sie."
Er ging voraus und wies dem jungen Mann den Weg in den kleinen Kühlraum im Keller, wo er seine verderblichen Lebensmittal lagerte.
„Fünf Stangen, Meesta?" fragte der.
Er nickte nur.
Himmel, der Typ gefiel ihm. Ob er eventuell...?


„Sagen Sie", fragte er vorsichtig, als die erste Stange in das dafür vorgesehene Regal gelegt worden war und dort ihre Kälte verströmte,
„hätten Sie eventuell Interesse an..."
Er schluckte. Na los, Jakob Joiko, schimpfte er mit sich selbst, wer nicht wagt der nicht gewinnt!
„mich in meiner künstlerischen Arbeit zu unterstützen?"
Na super, Joiko, noch vager hättest u dich nicht ausdrücken können, oder?
Der andere schaute ihn fragend an.
„Wat?"
„Nun, ich bin Maler, aber das wissen sie sicher... na jedenfalls... ich male auch nach dem lebenden Objekt... also, ich meine damit... Aktzeichnungen..."
„Ach so."
Der andere grinste, schüttelte dann aber den Kopf.
„Hab keine Schwester oder so, die ich ihnen vorbeischicken könnte."
„Nun, ich dachte eigentlich eher..."
Jakos Blick glitt über den jungen Mann.
„Ach so, Meesta, sie meenen...? Also icke? Selber?"


Oh Gott. Jetzt würde er wahrscheinlich wieder beschimpft werden. Perverser und so. So war es eigentlich immer.
Doch der junge Mann überraschte ihn.
„Hab' ick noch nie jemacht..."
Er grinste noch breiter.
„Aba dit wär mal wat... ick meene, meine Arbeit bringt Brot, aba is langweilig, und son bisschen Abwechslung...klar wieso nich?"
Joiko riss überrascht die Augen auf.
„Wirklich?"
„Klar, is doch nix dabei."


Er drehte sich um.
„Muss dit Eis holen, Meesta. Hab noch mehr zu liefern heute, wa?"
Joiko nickte.
Dann fragte er:
„Ähm... geht... morgen Abend...?"
„Klar", sagte der junge Mann.
„Ich kann... allerdings nicht viel zahlen..." stotterte Joiko nun.
Einen Augenblick lang schien der Eisstangenlieferer zu überlegen.
Dann sagte er:
„Macht nix. Eigentlich müssen se mir gar nix zahlen. Wenn..."
„Ja? Wenn...?"
„Wenn se beim Malen ooch... nackt sind. Nicht nur icke."


Vor Überraschung blieb Joiko fast die Luft weg. Na der hatte ja Schneid!
„O...ja, sicher...", stotterte er und fragte sich, was er hier gerade tat.
Das ganze konnte doch nur ein Scherz sein! Sicher würde der andere sich heute Abend beim Bier mit seinen Kumpanen in der Kneipe über den verrückten Künstler kaputt lachen!
Doch der junge Mann grinste nur uns sagte:
„Nix für ungut, Meesta, aber jetze muss ick erst ma weitermachen, wa?"



* * *


Als der nächste Abend nahte, hatte Joiko sich zurechtgemacht.
Ein frisches Hemd, eine neue Leinenhose, Schuhe (Herr Gott, er trug selten genug Schuhe im eigenen Haus!) und die Haare zu einem Dutt aufgesteckt.
Er hatte sogar das Atelier aufgeräumt. Eine große Bodenvase mit Sonnenblumen hingestellt und für Tee und Kekse gesorgt.
Errechnete nicht wirklich damit, dass der andere käme.
Doch dann, gegen acht Uhr, ertönte der Türklopfer.
Und da stand er.
In seinem besten Anzug, der offenbar an den Ärmeln und Beinen zu kurz war, das Haar offenbar mit Kokosöl gegelt (Joiko erkannte es an dem leichten Duft, und oh Himmel, er mochte es...) und einem verlegene Grinsen.
„Da bin ick, Meesta. Und nu?"


Tja, und nun?
Gute Frage.
Und dann nahm das Gefühl das Ruder in die Hand, und Joiko tat etwas, was er sein Leben lang nicht mehr bereuen sollte:
Er schnappte den Mann, der von heute an an seiner Seite leben würde, auch wenn sie das beide in diesem Augenblick noch nicht wussten, am Kragen seines Hemdes und küsste ihn.
Und der andere, von dem Joiko noch nicht einmal den Namen wusste (er hieß Marti, das aber erfuhr der Künstler erst am nächsten Morgen nach einer langen und wilden Nacht); küsste zurück.


Und das letzte, was Joiko durch den Kopf ging, bevor sich beide in der Leidenschaft verloren, war:
„Ob er wohl auch Jazz mag?"

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