Der Ritter zögerte. Das entsprach ganz und gar nicht den Regeln seines Standes, sich so mit dem niedrigen Volk abzugeben... und doch. Er sehnte sich nach Schatten, nach einem kühlen Trunk und, nun ja, er würde gern noch eine Weile länger den Blick aus diesen blauen Augen auf sich spüren.
Also nickte er.
Dann wandte er sich an eine bewaffneten Begleiter.
„Reitet zurück zur Burg", sagte er in kaltem, strengem Ton der keine Widerrede duldete.
„Ja, Herr", sagte der Anführer des Trupps. Dann neigte er kurz das Haupt und ritt mit seinen Mannen im Galopp davon.
Von Joiko dagegen sprang vom Pferd. Er trug keine schwere Rüstung, er war mit einer leichten Leinenhose bekleidet und einer ebenfalls aus Leinen bestehenden, edlen Tunika. Sein langes Haar trug er, der höfischen Mode entsprechend, offen, und die nicht vorhandene Kopfbedeckung sorgt dafür, dass ihm die Sonne ordentlich auf der Stirn brannte.
Er schritt voran, in den Schatten zu den Leuten, und der junge Fischer folgte ihm. Sie setzten sich in den Schatten.
Eine der Frauen reichte ihm einen Krug, der frisches Wasser aus der nahegelegenen Quelle beinhaltete. Dankbar nickte er ihr zu und nahm einen tiefen, erfrischenden Zug.
„Hab Dank, gute Frau", sagte er, als er den Krug zurückreichte.
Die Bäuerin errötete und zog sich schüchtern wieder zurück.
Die Menschen hatten mit ihren Gesprächen innegehalten. Doch da der Ritter offenbar freundlich gesinnt war, begannen sie langsam, zuerst geflüstert, dann in normaler Lautstärke ihre Gespräche fortzusetzen.
Der Dorfälteste, der sich im Schatten inzwischen etwas erholt hatte, sprach nun ehrerbietig und mit geneigtem Haupt den Ritter an.
„Verzeih, Herr, dass mein Alter mir solche Streiche spielt. Doch es geht mir inzwischen besser, ich werde gleich mit den anderen weiterarbeiten."
Er klang ängstlich, als fürchtete er immer noch den Zorn seines Herren.
„Es wäre besser, wenn er im Schatten bleibt", sagte der junge Fischer. „Herr, ich bitte Euch, gestattet es ihm. Ich und alle anderen werden mit doppelten Anstrengungen arbeiten."
Der Ritter nickte.
„Es ist gut", sagte er. „Möge der alte Mann sich schonen."
Und nach den Dankesbeteuerungen des Ältesten und des Fischers fügte er hinzu:
„Wenn du mir zeigst, was zu tun ist, Fischer, dann werde ich statt dessen mit anpacken."Von einem Augenblick auf den anderen herrschte ringsumher verdutztes Schweigen.
„Aber....", stotterte der Dorfälteste. „Herr, das geht nicht, Ihr seid von Stand, Ihr seid nicht geschaffen für diese niederen Arbeiten..."
„Schweig!", fuhr ihn der Ritter in scharfem Ton an. „Noch bin ich hier der Herr und entscheide was ich tue!"
„Selbstverständlich Herr", sagte der Dorfälteste und ließ sich zurück sinken.
Kurze Zeit danach beendetet sie die Mittagsrast.
Fischer Marti nahm sich des Herren an und zeigte ihm die notwendigen Handgriffe.
„Seht, die Frauen raffen das Heu zusammen und binden es zu Garben. Die Männer tragen es zu zusammen, andere, wie ich, stapeln es auf den Wagen, damit die Pferde es dann zur Scheune ziehen können. Dabei könnt Ihr helfen, Herr."
Von Joiko nickte und machte sich an die Arbeit.Schon bald schmerzten ihm von der ungewohnten Tätigkeit sämtliche Glieder.
Er hatte Blasen an den Händen, und die Füße taten ihm weh.
Doch er gab nicht auf. Er hatte manch einen Feind im Kampfe besiegt, und er würde sich vor dieser Aufgabe nicht wirklich geschlagen geben. Natürlich war er sich darüber im klaren, dass er keine so große Hilfe war, wie einer der kräftigen Bauern oder der strammen Bäuerinnen. Oder gar der junge Fischer. Und dennoch. Die erfreute Blicke der Leute, die ihn mit Dankbarkeit für seinen Willen zu helfen ansahen, ja sogar mit ein bisschen Stolz auf „ihren Ritter", die taten ihm gut.
Und so hielt er durch, erst recht, da am Nachmittag schließlich tatsächlich am Horizont erste graue Wolken auftauchten, die schnell näher kamen. Es grollte von fern, und am Horizont zuckte ein erstes Wetterleuchten, als sie endlich die letzte Garbe auf den Wagen hievten und die Pferde das Gespann anzogen, um die letzte Fuhre ins Dorf zur Scheune zu schaffen.
Der junge Fischer reichte ihm erneut einen Krug mit Wasser.
„Danke", schnaufte der Ritter. Er war nun wirklich erschöpft.
„Wir danken Euch", sagte der... Marti, ja so hieß der Fischer. Marti.
Das Funkeln der blauen Augen wich ein bisschen Besorgnis.
„Ihr seid erschöpft, Herr...?"
Von Joiko nickte.
„Ihr solltet zurück auf ein Burg, und ich... ich kann Euch begleiten. Damit... euch nichts passiert."
Erstaunt sah der Ritter den jungen Mann an. Der schien eine Mischung aus eifrig und verlegen zu sein.
„Gut", sagte der Burgherr. „Steig hinter mir auf das Pferd."
Der Ritt zur Burg zurück war eigenartig. Es fühlte sich gut an, den jungen Mann hinter sich zu haben, der ihn festhielt, als er vor Ermüdung vom Pferd zu rutschen drohte. Außerdem strahlte er eine Wärme aus, die... nun, besser nicht darüber nachdenken.
Als sie im Burghof ankamen, eilte einer der Burgwachen herbei und nahm die Zügel des Pferdes. Als sein Blick auf Marti fiel fuhr er ihn an:
„Bauernlümmel, was erdreistest du dich..."
„Schweig!" sagte der Ritter scharf. Der Wachmann zog ein finsteres Gesicht, sagte jedoch nichts mehr.
„Lasst mir ein Bad bereiten und dann richtet mir ein Mal. Ich werde heute einen Gast haben."
„Der da?", fragte der Wächter erschüttert.
„Ja", sagte der Ritter, „und ich nehme nicht an, dass du an der Wahl meiner Gesellschaft etwas auszusetzen hast?!"
„Selbstverständlich nicht, Herr."
Und so speisten sie gemeinsam. Der Ritter und der Fischersmann.
Es war der Beginn einer ungewöhnlichen und tiefen Freundschaft, die ein Leben lang hielt.
Sie hätten sich beide gern noch mehr gegeben als Freundschaft, aber die Zeiten waren nicht danach, und so hielten sie das in Ehren, was ihnen möglich war.
Wann immer der Ritter einen Rat brauchte, suchte er den Fischer Marti auf.
Wann immer der Fischer Hilfe brauchte, ging er zu von Joiko. Jakob, wie er ihn inzwischen nannte.
Oft besuchten sie sich einfach so, saßen zusammen in der Hütte des Fischers oder im Kaminzimmer des Herren.
Der Ritter heiratete eines Tages, es blieb ihm nichts anderes übrig, denn er brauchte einen Erben. Er behandelte seine Frau mit Respekt und Zuneigung, doch wahre Liebe konnte er ihr nicht geben. Nun, das war mehr, als viele Frauen in jener Zeit zu erwarten hatten.
Der Fischer heiratete nie. Er lehrte sein Handwerk den Sohn seiner Schwester.
Die Freundschaft hielt allen Stürmen, allen Höhen und Tiefen stand.
Und über die Jahre waren sie einander so etwas wie Familie geworden.
Sie waren einander lieb und wert, viele Jahre lang. Bis zum Ende ihres Lebens.
Und erst auf dem Sterbebett konnte der Ritter dem nun grauhaarigen und gebeugten Fischer gestehen, dass er führ ihn mehr war, als ein Freund, ein Bruder.
Und als seine Augen brachen, erlosch auch das Funkeln in den blauen Augen des anderen.
Und bald darauf schlossen auch die sich, um in der Ewigkeit des Himmelreichs vielleicht den einzigen Menschen wieder zu sehen, den er je wahrhaft geliebt hatte.
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Berliner Sammlung
FanfictionEine kleine Sammlung von Drabbles, Oneshots und ähnlichem über die Berliner Youtuber. Alles, was mir dazu so in den Kopf kommt.