"P" wie Polygenre

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Diese Geschichte entstand anhand der drei Stichworte „Pinsel, Piepmatz, Polygenre", die ich von @Quasiwolf bekommen habe.
Vielen Dank dafür!


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Marti saß auf dem Bett und klimperte auf seiner Lieblingsgitarre herum. Was genau er da spielte, wusste er selber nicht. Er hatte einfach Lust dazu, dem Instrument ein paar Töne zu entlocken und zupfte ohne Konzept an den Saiten.
Jako lag neben ihm, mit seinem Laptop auf den lang ausgestreckten Beinen. Er hatte sich ein paar Kissen in den Rücken gestopft und schaute hochkonzentriert auf das Dokument, dass er da geöffnet hatte. Er versuchte, an dem Text eines neuen Songs für das nächste Album zu feilen.


Die musikalischen Hintergrundgeräusche, die Marti ihm bot, mochte er. Das war alles soweit in Ordnung, bis Marti zu singen begann.
Nun, Jako mochte Martis Stimme und Martis Gesang, aber... er versuchte sich hier zu konzentrieren, und dem war das nun nicht unbedingt zuträglich.


„Marti, sei mir nicht böse, aber kannst du das bitte lassen?"
Marti war ihm nicht böse. Er schaute etwas schuldbewusst drein und sagte mit Dackelblick:
„Sorry, ich wollte dich nicht stören."
Dann linste er auf den Bildschirm.
„Und, wie kommst du voran?"
„Geht so," sagte Jako. „Mir fehlt noch das gewisse Etwas..."


Marti nickte. Er kannte das. Manchmal hatte man eine Idee, wie ein Song so laufen sollte, aber wenn man dann konkret werden sollte, fehlte etwas. Der Schmackes. Die Seele. Der Wow-Effekt, oder wie Martis Schwester es auszudrücken pflegte: Der Feuchte-Höschen-Faktor.


„Hast du denn schon eine Idee, wie der Song klingen soll?"
„Nicht wirklich," sagte Jako.
„Baseline, Instrumentalkomplex, Percussion...?"
„Nö. Noch nicht."


Manchmal, wenn man mit dem Text nicht weiterkam, war es sinnvoll, die Bruchstücke, die man hatte, schon mal mit einer Lalala- Ergänzung zu singen. Einfach eine Melodie entstehen zu lassen und schon mal Musik darum herum zu basteln.
„Lass mal sehen," sagte Marti.
Er saß nun mit Blick auf den Bildschirm, hatte immer noch die Gitarre in der Hand und begann, das schon entstandene auf sich wirken zu lassen.


Schließlich begann er zu summen. Ließ ein paar Töne anklingen. Spielte ein bisschen und dann, als er das Gefühl hatte, das könnte so gehen, begann er das, was es da schon gab, mit Begleitung seines Instrumentes zu singen.
Jako war begeistert.
„Mensch, Marti. Das ist toll. Das ist noch nicht genau das, was ich mir vorstelle, geht aber schon voll in die Richtung!"
Marti schmunzelte. Er kannte seinen Jako eben.


Jako konfigurierte das Laptop, betätigte das eingebaute Mikro, und bat Marti: „So, jetzt bitte noch mal!"
Marti tat ihm den Gefallen.
Jako speicherte die Aufnahme ab, klappte das Laptop zu und seufzte zufrieden.
„Damit lauf ich gleich zu Felix," sagte er und wollte aufspringen.


„Halt!" sagte Marti. „Stopp, mein Lieber! Du läufst heute nirgends mehr hin!"
Jako sah ihn fragend an.
„Du weißt doch, Jako, dass Felix heute Besuch von seiner Freundin hat. Und bei aller Liebe zur Musik, aber Felix stören wir heute nicht mehr!"
Jako zog einen Flunsch, aber er sah ein, dass Marti recht hatte.
„Und außerdem," sagte der jetzt, „wirst auch du jetzt einmal eine Pause machen. Immerhin haben wir Sonntag Nachmittag und den möchte ich gemeinsam mit meinem Ehemann genießen, okay?"
Er nahm Jako bei der Hand.
„Lass uns in den Park gehen. Ich möchte dein bleiches Künstlerantlitz ein bisschen der Sonne aussetzen."
„Mann," maulte Jako. „Mein Künstlerantlitz ist mit dem schattigen kühlen Schlafzimmer durchaus zufrieden."
„Komm schon," sagte Marti. „Los jetzt, sonst wird nicht nur dein Antlitz, sondern auch dein genauso bleicher, wenn auch wunderschöner Künstlerhintern heute noch Farbe bekommen, Freundchen!"
Jako lachte. „Na, wenn das mal nicht verlockend klingt..."
Marti lachte auch und versetzte Jako einen liebevollen Klaps.


Kurze Zeit später schlenderten sie Hand in Hand durch den Park. Da Jako sich gedanklich nicht von dem Projekt losreißen konnte, gab Marti dem nach und sie plauderten über den Song. Sie tauschten Ideen aus und Marti schaffte es, immer genau die richtigen Worte zu finden, um Jako wieder neue Denkanstöße zu geben, und so kam er dabei gut voran.


„Weißt du," sagte Marti, „musikalisch kannst du das ja in jede Richtung verändern. Das ist der Vorteil bei eurem Polygenre, das ihr da erfunden habt: dass ihr euch nicht festlegt, und letztlich alle Möglichkeiten offen habt."
„Stimmt. Manchmal ist es allerdings nicht so einfach, dass man sich nicht verzettelt und einer Linie treu bleibt."
„Du und Felix, ihr macht das schon. Und eines Tages..."
Marti grinste,
„...müssen die Kinder im Musikunterricht auswendig lernen, wer das Polygenre erfunden hat."
„Klar," grinste Jako. „Und dann gucken sie im Lexikon unter 'P' nach."
Marti nickte.
„Ja. Genau."
Er schob sich eine imaginäre Brille auf die Nase, nahm ein imaginäres Buch zur Hand und begann, darin zu blättern.
„Also, wo steht es denn... Pinsel... Piepmatz...Polygenre. Aha, da ist es ja."


Jako kringelte sich vor Lachen. Als er wieder zu Atem kam, sagte er noch immer kichernd:
„Also mit dem Alphabet haben Sie es aber nicht so, Herr Fischer, da kommt Piepmatz vor Pinsel!"
Marti grinste.
„Ich wollte nur mal sehen, ob du das merkst."
„Schon klar, Marti, schon klar. Na jedenfalls habe ich es gemerkt, was beweist, dass ich intelligenter bin als du."
„Irrtum, Herr Joiko. Bildung und Intelligenz sind zwei unterschiedliche Paar Schuhe, und die Tatsache, dass du das Alphabet beherrschst, zeigt nur, dass du wenigstens in der Grundschule aufgepasst hast. Und jetzt sprich mir nach: ABC, Bildung tut nicht weh. Ich bin recht klug, sicherlich, doch Marti ist tausendmal klüger als ich!"
Jako dachte nicht daran, er stürzte sich auch Marti, der quiekend flüchtete. Doch Jako holte ihn ein, und warf ihn einfach um auf die warme, weiche Grasmatte der Parkwiese.
Das ganze endete in einer Kitzelorgie, und schließlich in einer verträumten Arm-in Arm-in-den-Himmel-Guckerei.


Und wenn man nun im Lexikon unter „G" wie Glück nachschaut, sollte es mich doch sehr wundern, wenn man dort nicht ein Foto von Marti und Jako findet.

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