Niemand konnte sagen, warum das Ganze geschah.
Doch aus Gründen, die nur unser allmächtiger und liebender Herrgott kennt droben im himmlischen Firmament, umgeben von den Heerscharen der Engel und der Gemeinschaft der Heiligen, geschah es, dass im Jahre 1284 in der Stadt Hameln während eines nassen, kalten Frühjahrs fast die Hälfte aller jungen, heiratsfähigen Jungfrauen starben.
Die Folgen waren durchaus schwerwiegend.
Denn auch, wenn manch ein Ritter oder auch reicher Handelsherr, manch ein Handwerker oder Stadtbürger sagte:
„Nun, besser die Tochter als einer meiner Söhne, meine Erben, mein ganzer Stolz...", tja, so waren eben die Zeiten damals; Wenn also manch ein Bürger der Stadt nicht gleich überschaute, was das bedeutete, lief es doch letztendlich darauf hinaus, dass es eine Menge junger Kerle gab, die nun unverheiratet und auch sonst unbeweibt, in der Stadt herumlungerten und Schabernack trieben.
Manch ein Vater versuchte, seine Söhne in strenge Zucht zu nehmen; doch welche Aussicht hat ein junger Mann, in dem Alter, in dem man die Liebe sucht, wenn kein Mädchen, keine Holde in Sicht ist, mit ihm das Bett, das Leben und die heiligen Sakramente der Ehe zu teilen?
Nun sicher, könnte man sagen, nicht jeder Mann sucht eine Frau; mach einer mag vielleicht auch einen strammen Burschen in seinem Bett...?
Doch erstens traf das nur auf einen kleinen Teil der Männer zu, und zweitens hüteten diejenigen sich, das bekannt werden zu lassen, denn die Herren Pastoren hatten damit so das ein oder andere Problem und die Gesellschaft war im allgemeinen nicht unbedingt auf solcherlei Beziehungen zwischen zwei Männern erpicht.
Da war auch die Stadt Hameln keine Ausnahme.
Fern von Hameln, fern von Europa, fern von dieser mittelalterlich christlichen Welt, in der nun die jungen Männer ohne Aussicht auf eine Ehe durch die Straßen der Stadt streiften und ihre Streiche trieben, lag das Land Joikonien.
Es war auf keiner Landkarte verzeichnet, und nur der Herrgott droben im himmlischen..., na, nur der jedenfalls wusste um diese Gegend der von ihm in einem beispiellosen Schöpfungsakt geschaffenen Welt.
In der Hauptstadt mit dem eigentümlichen Namen Fjudschar herrschte König Felix der Denzer, und er herrschte gütig und gerecht.
König Felix hatte einen jüngeren Bruder, der hieß Jakob.
Und Jakob war ein schwieriger Fall.
Es war notwendig, dass Jakob heiratete, denn er würde, wenn Felix etwas passieren würde, diesem auf den Thron folgen; und in Joikonien durfte nur ein verheirateter Mann König sein.
Jako hatte nun, wie ein geringer Anteil der jungen Männer von Hameln und sonst wo auf der Welt kein Interesse an weiblicher Gesellschaft; das war nicht das Problem, in Joikonien war man aufgeklärter als sonst wo auf der Welt, so dass er problemlos einen Mann hätte heiraten können.
Aus Gründen, die nur der Herrgott, der Schöpfer des Himmels, der Erde und aller darin und darauf befindlichen Lebewesen kennt, waren nun aber in Joikonien beinahe alle jungen, heiratsfähigen und mehr oder weniger jungfräulichen Männer gestorben. Auch wenn es hier keinen so nassen Frühling gegeben hatte. Es hatte sie dennoch dahin gerafft.
Manch ein Ritter das Landes, manch ein Patrizier, manch ein reicher Bauer raufte sich die Haare; da hatte man nun die schönen und heiratsfähigen Töchter übrigbehalten und hatte dennoch keine Chance, mit dem Königshaus in verwandtschaftliche Beziehungen zu treten!
Ach es war doch zum auswachsen.
Jakob jedoch seufzte manch einen Tag und mach einen Nacht; er hätte gern geheiratet.
Aber es war ja niemand da. Und außerdem wollte er aus Liebe heiraten oder gar nicht! Das war ja nun nicht gerade üblich, aber König Felix verstand das und hätte seinen Bruder zu nichts gezwungen.
Was also sollte man tun?
Eines Tages kam die Nachricht von der Situation der Stadt Hameln nach Joikonien.
Das klang vielversprechend, aber – Hameln lag so weit weg!
Und so diskutierten, ja stritten die Brüder tagelang, nächtelang.
Doch Felix wollte nicht zulassen, dass Jakob sich auf den Weg machte, denn die Reisewege damals waren gefährlich, und wenn bekannt würde, dass der Prinz von Joikonien unterwegs war- nein, das kam nicht in Frage. Bewaffnete Eskorte hin oder her.
Also beschloss Jakob eines Nachts, sich davon zu machen. Er zog einfache Kleider an, nahm seine Gitarre, die er über alles liebte, und verließ heimlich das Schloss.
So zog er durch das Land und wo er hinkam, spielte er auf seiner Gitarre und sang, und manch eine Münze flog in seinen Hut, denn er machte das gut und gefällig.
Schließlich kam Prinz Jakob von Joikonien unerkannt und im Schutze seiner einfachen Kleider nach Hameln.
Die Stadtväter von Hameln waren verzweifelt.
Sie konnten der umherstreifenden und ihre Possen treibenden jungen Männer nicht mehr Herr werden. So schlimm war es schon, dass sich keine der verheirateten Frauen und Mädchen mehr auf die Straße traute; kein Mann in gutem Kleide, denn er konnte sicher sein, mit Schmutz beworfen zu werden; kein jung verheirateter Mann, denn er würde verspottet und durch die Gassen gejagt.
„Wer nun dieser Plage Herr werde, der erhalte einhundert goldene Taler!", so ließ der Magistrat ausrufen; und hoffte auf einen klugen Mann (denn das Frauen ebenso klug sein können, war den hartköpfigen Honoratioren der damaligen Zeit nicht bekannt), der die ganze Sache richten würde.
Jakob sah sich um, doch keiner der jungen Männer, die er auf den Straßen und Gassen der Stadt traf, gefiel ihm.
Also, dachte er, wenn ich hier schon nicht den Menschen finde, den ich lieben kann, kann ich ja vielleicht der Stadt Hameln helfen.
Und meinem geplagten Heimatland.
Hameln hat zu viel unverheiratete Männer.
Joikonien zu viele Jungfrauen.
Das klingt doch geradezu nach zwei Seiten einer Münze, na und hundert Goldtaler könnten der Schatzkasse von König Felix auch nicht schaden...
Also nahm er seine Gitarre, ging auf den Marktplatz, setzte sich auf den Brunnenrand und begann zu spielen.
Seine Stimme klang weich wie süße Sahne. Rein wie frisch gefallener Schnee. Die Klänge seiner Gitarre waren sehnsuchtsvoll und von süßem Schmerze.
Und so kam es, dass sich all die jungen Burschen der Stadt um ihn herum einfanden. Sie lauschten den Klängen und konnten nicht umhin, diesen Schmerz, diese Sehnsucht in ihren Herzen zu fühlen... und als Jakob sich erhob und singend und spielend zum Stadttor hinaus schritt, da folgten sie ihm alle wie ein Mann.
(Nun, vielleicht hätte sich auch die ein oder andere junge Frau gerne der ganzen Sache angeschlossenen... aber sie waren alle in der Zucht des Herrn Vaters oder Gatten, so waren die Zeiten eben damals, und daher... nun ja.)
Der Zug der jungen Leute zog quer durch das Land. Und da sie so viele waren, wagte es keine Räuberbande, sich an sie heran zu machen.
Und so kamen sie unbeschadet bis nach Joikonien.
Hier herrschte eitel Freude.
König Felix war froh, dass der Prinz heile und gesund zurück gekehrt war.
Die jungen Männer von Hameln nahmen sich der Jungfrauen von Joikonien an... so viele Hochzeiten wie zu dieser Zeit wurde noch nie gefeiert!
Und so viele Kinder wie im Jahr darauf wurden noch nie geboren!
Und Prinz Jakob?
Nun, der hatte unter all den Burschen keinen gefunden, der ihm gefiel.
Doch als er erschöpft von der langen Reise in seine Schlafgemächer schritt, da fiel sein Page vor ihm auf die Knie.
Marti, der Sohn des Fischers.
Er bat Jakob um Verzeihung für seine Dreistigkeit; er wüsste zwar, dass er nur ein kleiner Page sei und Jakob niemals daran denken könne, ihn zu heiraten, aber vielleicht würde er es ihm ja erlauben, ihm das Herz und das Bett zu wärmen, bis er seinen Gatten gefunden hätte...
Jako jedoch pfiff aus Standesunterschiede, und wenige Tage später wurde Marti, der Sohn des Fischers, Prinzengatte von Joikonien.
Und der Magistrat der Stadt Hameln hat die einhundert Goldtaler nie gezahlt.
Und das ist der Grund, weshalb verärgerte Jokonier aus Rache die Geschichte mit den Ratten erfunden haben.
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Berliner Sammlung
FanfictionEine kleine Sammlung von Drabbles, Oneshots und ähnlichem über die Berliner Youtuber. Alles, was mir dazu so in den Kopf kommt.