Dieser Oneshot ist Cassiopeia gewidmet, die mir die Stichworte „Schmetterlinge, Schnee, Kerker" vorgegeben hat.
Achtung, er ist sehr traurig und beinhaltet auch Selbstmord, allerdings vor einem Katastrophenszenario. Triggerwarnung!
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Marti blickte aus dem Fenster. Eines der wenigen Fenster, dass tatsächlich noch verglast war und nicht mit Pappe oder Brettern vernagelt oder mit irgendwelcher Folie verhangen.
Sein Blick glitt über die glitzernde schneebedeckte Welt. Es sah wunderschön aus. Alles war weiß, glitzerte im Sonnenlicht. Der Schnee, der alles bedeckte, hatte die Ecken und Kanten der Wirklichkeit sanft und weich abgerundet.
Es war ein wunderschönes Wintermärchen.
Und doch war es die absolute Hölle.
Es war extrem kalt da draußen, und auch hier vor dem Fenster fror Marti jämmerlich. Er würde sich gleich wieder in den Raum zurückziehen, wo die anderen waren. Den Raum, wo der Kamin war, den man mit allem beheizte, was man an brennbarem Zeug so fand.
Alles, was aus Holz war. Möbel, Obstkisten etc... Alles eben, was irgendwie aufzutreiben war.
Der Raum, wo sie sich alle aufhielten, war einmal der Tagesraum dieses ehemaligen Hotels gewesen, damals, bevor diese unfassbare Klimakatastrophe über die Welt hereingebrochen war.
Wie lange war das nun her?
Zwei Jahre.
Zwei verdammte lange Jahre.
Zwei Jahre, in denen er und die Freunde ums Überleben kämpften. Sie gehörten zu den wenigen, die es noch gab. Viele Menschen waren erfroren, verhungert... und Marti hatte nicht die geringste Ahnung, wie es mit ihnen weitergehen sollte.
Vorerst hatten sie noch genügend Nahrungsmittel. Sie hatten kurz nach Beginn er Katastrophe die Supermärkte der Umgebung aufgesucht, die geschlossen und verlassen waren. Sie hatten alles an Lebensmitteln mitgenommen, was sie zu packen kriegten. Vor allem haltbares, wobei die Lagerung von verderblichem auch kein großes Problem war, man konnte es einfach tiefgefrieren...
Das Brennmaterial war das Problem. Genügend Holz zu finden, mit dem sie gegen die Kälte angehen konnten.
Dieses Hotel, indem sie zu sechst kampierten, Marti, Jako, Felix, Andre, Rick und Steve, war für sie des Nachts Schutz und Kerker zu gleich. Sie verbarrikadierten sich hier, denn die wenigen Menschen, die es auf der Welt noch gab, waren untereinander Konkurrenten um die wenigen Vorräte und es kam immer wieder zu den dramatischsten Kämpfen. Daher schliefen sie auch nie alle, sonder zwei Mann standen immer Wache.
Sie hatten sich bewaffnet, mit Baseballschlagern, Äxten und ähnlichem. Frodo hatte sogar eine Pistole aufgetrieben gehabt. Woher auch immer.
Frodo... Marti schauderte, als er daran dachte, wie Frodo eines Tages gemeinsam mit Flo losgezogen war, um Holz zu besorgen, und nicht wiedergekommen war...
Andererseits, vielleicht war es gar nicht so erschreckend, das alles hier hinter sich zu haben.
Denn welche Zukunft wartete schon auf sie, welche Hoffnung gab es denn noch?
Nicht nur ihr Hotel, sondern die ganze verdammte Welt war ein Kerker. Ein einziger, glitzernder, schneeweißer Kerker.
Marti seufzte. Er sollte zurück zu den anderen. Die Kälte, die durch die Glasscheibe flutete, drang ihm tief bis in die Knochen.
Er sollte ans Feuer und zu Jako, der seine Arme um ihn legen und ihn wärmen würde.
Doch er hatte einfach ein paar Augenblicke für sich gebraucht.
Und wie so oft in den letzten zwei Jahren überlegte er, ob das ganze überhaupt noch Sinn machte. Wäre es nicht einfacher, sich der Kälte einfach zu überlassen? Der Kältetod sollte gar nicht so schlimm sein, hatte er gelesen. Mann würde völlig paradoxe Hitzegefühle empfinden und schließlisch einfach einschlafen...
Wäre das nicht die beste, die einfachste Lösung?
All dem endlich ein Ende bereiten?
Er spürte, wie sich zwei warme Arme um ihn schlangen.
„Marti," erklang leise Jakos tiefe Stimme.
„Was machst du hier?"
Marti seufzte.
„Ich... weiß nicht."
Er drehte sich um und sah Jako in die Augen. Jako kannte Marti gut genug, um zu wissen, was in dem vorging, und wenn er ehrlich war, hatte auch er ähnliche Gedanken schon oft gehabt, seit diese eiskalte Hölle losgebrochen war.
Er schluckte.
„Der Schnee ist schön," sagte er, „trotz allem."
„Ja," sagte Marti.
Sie hielten sich an den Händen und wussten, was im jeweils anderen vorging.
Und sie wussten in diesem Augenblick, dass sie es tun würden. Gemeinsam. All dem ein Ende machen.
.
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„Die anderen kämen dann länger mit dem Feuerholz hin," sagte Marti leichthin, „und mit dem Essen."
Jako nickte.
„Nur schade," sagte Marti, „ich... hätte so gerne noch einmal Schmetterlinge gesehen."
Schmetterlinge. Die gab es schon lange nicht mehr.
„Vielleicht," flüsterte Jako, „gibst es sie... dort?"
„Ja," antwortete Marti. „Vielleicht. Ganz sicher sogar."
Sie wandten sich der Treppe zu. Gingen sie hinunter.
Schritt für Schritt. Arm in Arm.
Sie traten aus der Tür ins Freie.
Marti streifte sich den Pullover ab. Jako zog die Jacke aus, die er sich übergeworfen hatte.
Sie liefen Hand in Hand.
Dorthin, wo früher, in einem anderen Leben, der Park gewesen war, in dem sie so gerne auf der kleinen Bank am Teich gesessen hatten...
Sie setzten sich in den Schnee.
Sie saßen immer noch dort, als die Dämmerung hereinbrach.
Es war wie vorausgesehenen: es tat nicht weh.
Im Grunde glitten sie, Arm in Arm aneinander gekuschelt, in die andere Welt hinüber, die Welt, in der es keine Sorgen mehr gab, keine Angst, keine Schmerzen.
Das letzte, was Marti sah, waren Jakos Augen.
Danach gab es nur noch Schmetterlinge.
Eine Wiese im Sommersonnenschein, Blumen, duftend und sich im warmen Winde wiegend.
Und Schmetterlinge.
Jede Menge Schmetterlinge.
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Berliner Sammlung
FanfictionEine kleine Sammlung von Drabbles, Oneshots und ähnlichem über die Berliner Youtuber. Alles, was mir dazu so in den Kopf kommt.