Pokemon und Sesamstraße

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Diese Geschichte widme ich ScarsLikeVelvet, die mir die Stichworte „Gras, Häkeln, Steckdose" gegeben hat.
Und ich widme sie der Insel Pellworm, wo ich nicht nur einen wunderbaren Urlaub verbracht habe.


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Am späten Vormittag trat Marti aus der Tür der Ferienwohnung auf der Hollerbusch-Warft auf der Insel Pellworm. Er war erst spät am Abend zuvor mit der letzten Fähre hier angekommen. Er hatte gestern nur noch sein Auto abgestellt, den Schlüssel für die Ferienwohnung bekommen und war dann todmüde ins Bett gefallen.
Die letzten Wochen waren echt mörderisch gewesen. Ein Auftrag nach dem anderen, ein Gig jagte den nächsten und seine Promo-Agentur hatte ihn von einem Termin zum anderen gescheucht. Klar, er war ein aufstrebender Star am Musikhimmel, na ja, ein sehr kleiner noch, zugegeben.
Vorgestern war er dann zusammengeklappt und hatte sich daraufhin ein paar Tage frei genommen.
Die Agenturleiterin hatte herum gebarmt: Das würde seiner Karriere so was von schaden, mimimi...
Egal, hatte er gedacht. Was nützt die tollste Karriere, wenn die Gesundheit den Bach runtergeht.
Und wenn man ehrlich war, ging es diesen Leuten doch eh nicht um ihn, sondern nur ums Geld.


Wie auch immer, nun war er hier.
Das Auto stand auf dem kleinen Staubplatz unten am Fuße der Warft und Marti haderte mit sich. Er wollte den Koffer holen, der sich noch immer im Kofferraum befand. Aber sollte er sich erst schnell noch anziehen.oder konnte er es wagen, eben fix so dort hinzuhuschen, wie er war: in Shorts und Schlafshirt? Er blickte sich um. War keiner zu sehen. Also los.
Und so huschte er in seinem Schlafzeug zum Wagen.



* * *



Jako saß auf dem gemütlichen Gartenstuhl auf dem Grasplatz vor seiner Ferienwohnung. Er hatte einen Pott Kaffee in der Hand und genoss die noch angenehm frische Morgenluft sowie den Duft des wunderbar heißen Getränkes.
Er war schon seit ein paar Tagen hier und mochte die Insel inzwischen sehr gern. Er verbrachte die Vormittage meist faul hier, fuhr dann gegen Mittag mit dem Fahrrad in den Ort, um am Hafen ein Fischbrötchen zu futtern und zu weiteren Unternehmungen aufzubrechen.
Dieses stille kleine Fleckchen befand sich hinter einer niedrigen Hecke, auf deren anderer Seite der Eingang zu einer weiteren Ferienwohnung lag. Von wo er jetzt das Klappern eines Schlüssels hörte. Aha, wie es aussah, war dort wieder jemand eingezogen. Er hatte sich also gestern Abend doch nicht geirrt, als er meinte, ein Auto gehört zu haben.


Er hörte Schritte tappen, leise, weiche Schritte. Das Öffnen und Schließen einer Autotür. Wieder Schritte.
Er richtete sich auf, um über die Hecke zu schauen und seinem neuen Nachbarn „Guten Morgen" zu sagen.
Der junge Mann auf der anderen Seite hatte offenbar nicht damit gerechnet, dass jemand ihn bemerkt hätte. Er schrak zusammen und stolperte mit einem Schreckensschrei und plumpste rückwärts ins Gras.
Jako grinste. Der Anblick des anderen war echt niedlich. Er sah verschlafen aus, mit verstrubbelten Haaren, die abstanden, als hätte er die Finger in der Steckdose gehabt. Einem verpennten Blick, einem Schlafshirt in quietschgelb mit Pikachu drauf. Und barfuß.
Niedlich eben.
Jako leckte sich die Lippen.


„Sorry", sagte er dann. „Ich wollte dich nicht erschrecken."
„Und das am frühen Morgen", grummelte der andere.
„Früher Morgen?" Jako kicherte. „Es ist schon halb elf!"
Die Augen des anderen wurden riesengroß. Und blau waren sie, so blau...
„Hab ich echt so lange geschlafen? Na ja. Ist ja schließlich Urlaub."
Der junge Mann rappelte sich auf und rieb sich den Hintern.
Dann sah er Jako an und fragte:
„Sag mal, wo kriegt man denn hier Frühstück?"
„Im Ort," sagte Jako. „Kannst dir auch jeden Morgen Brötchen liefern lassen."
Er dachte nur eine Sekunde nach, dann fuhr er fort:
„Ich hab noch ein Brötchen übrig. Und Kaffee kannste bei mir auch kriegen, also... willst du bei mir frühstücken?"
Der andere sah ihn zweifelnd an, nickte aber dann.
„Ich geh mich fix duschen und dann komm ich, okay?"
Jako nickte und strahlte.



Während der andere sich herrichtete, deckte er schnell den Gartentisch: Teller, Messer, Butter, Käse, Marmelade. Und Kaffee, frisch gebrüht.
Er war aufgeregt. Sein Herz klopfte. Mehr als es sollte. Denn „Pikachu" gefiel ihm.
Halt dich zurück, dachte er. Der Typ ist süß, aber... denk an die letzte Abfuhr, das verträgt dein Herz nicht schon wieder. Lass es langsam angehen...
Er atmete tief durch, als „Pikachu" wieder an die Sonne trat und die Hecke umrundete.
Sein Gesicht strahlte, als Jako ihm die Kaffeetasse in die Hand drückte.
Er trug nun ein etwas dezenteres Shirt und eine Jeans. Die im übrigen wie auf den Leib geschneidert saß. Wieder leckte Jako sich die Lippen.


„Ich bin übrigens Marti", sagte der andere. Jako grinste. „Schade, ich hätte dich gerne Pikachu genannt."
Marti grinste zurück.
„Nur wenn ich dich Herr von Bödefeld nenne darf. Du weißt schon, aus der Sesamstraße. Ich finde, es besteht ne gewisse Ähnlichkeit."
Einen Moment war Jako sprachlos ob dieser Schlagfertigkeit. Dann lachte er los, und Marti konnte nicht anders, als ebenso zu lachen.
Als er wieder etwas Luft bekam, schniefte er:
„Kannste machen, aber eigentlich heiße ich Jako."
„Okay", sagte Marti, der auch noch nach Atem rang, „gefällt mir auch viel besser."
Und er prostete Jako mit seinem Kaffee zu.


Von da an brachten beide ihre Zeit auf der Insel gemeinsam zu. Sie erkundeten die Insel mit dem Fahrrad, gingen schwimmen, stiegen auf den Leuchtturm. Sie machten eine Schiffsfahrt, liefen über den Norderoogsand, bestaunten die Seehunde. Sie sammelten Muscheln und tranken Abends ein Bier im Hafenpub.
Als Martis Urlaub nach einer Woche zu Ende ging, waren für Jako noch ein paar Tage übrig. Er brachte seine Urlaubsbekanntschaft zum Anleger, und als die Fähre schließlich kam, sagte er leise:
„Machs gut, Pikachu."
„Machs gut, Herr von..." doch bevor Marti den Spitznamen zu Ende bringen konnte, spürte er Jakos Lippen auf den seinen.
Einen Augenblick lang war er wie versteinert, doch dann erwiderte er den Kuss. Voller Inbrunst und Leidenschaft. Und es war klar:
Das hier war kein Abschied. Es war erst der Anfang.



Ein Jahr später heirateten sie im Standesamt hoch oben im Leuchtturm der Insel.
Die Geschichte ihres Kennenlernens hatten sie ihren Freunden und Familien erzählt, und so kam es, dass in dem Zimmer, indem sie ihre Flitterwochen verbringen würden, zwei kleine, von Jakos Mama gehäkelte Figuren saßen.


Ein Pikachu – und ein Herr von Bödefeld.

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