Wüstenblau Teil 1

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Gemächlich setzte das Kamel einen seiner Hufe vor den anderen. Wie alle Kamele ging es im Passgang, was dazu führte, dass seine Fortbewegung schaukelnd vonstatten ging. Jako-Re, der nun schon seit Stunden zwischen den Höckern des Tieres in seinem Sattel hockte, genoss das Einschläfernde, das diese Art der Bewegung mit sich brachte. Er konnte es sich leisten, ein wenig zu dösen, denn seine als Wachen angestellten Begleiter waren höchst aufmerksam. Sollten Räuber am Horizont auftauchen, würden diese eine böse Überraschung erleiden. Diese Karawane transportierte Geschenke, die der Pharao dem Tempel des Ammun verehren wollte, und es wäre für jeden, der böse Absichten hegte, besser, ihr fernzubleiben, wenn ihm Leben und Unversehrtheit lieb waren.

Müde wischte sich Jako-Re den Schweiß von der Stirn. Eine Rast wäre gut. Sie sollten sich ein wenig ausruhen, ein paar Schlucke Wasser trinken. Und vielleicht einige Bissen von dem Fladenbrot zu sich nehmen und den gedörrten Datteln, die sie als Wegzehrung mitgenommen hatten.

Gerade wollte er sich in seinem Reitsitz aufrichten und dem Hauptmann der Wachsoldaten, der schräg vor ihm ritt, seinen Gedanken zurufen, als weiter vorne Unruhe unter den Soldaten entstand. Die ersten, die die Vorhut bildeten, waren über die nächste Sanddüne getrottet und hatten dort anscheinend etwas entdeckt.
Der Hauptmann hob die Hand und warf Jako-Re einen Blick zu, der deutlich aussagte: „Halt! Wartet!"
Nun, Jako-Re hatte gelernt, dass es in solchen Situationen das beste war, zu tun, was man ihm sagte. Also zügelte er sein Reitkamel und wartete ab.

Einige Augenblicke später winkte der Hauptmann ihn nach vorn.
„Schaut Herr. Wir haben etwas gefunden."
Jako-Re schnalzte und sein Tier trotte folgsam nach vorn.

Sein Blick folgte dem des Hauptmanns und fiel auf das, was da vor ihm im Sand lag. Oder besser, auf den.
Ein junger Mann, ausgemergelt und offenbar verletzt. Er hatte strubbeliges braunes Haar, das kurzgeschnitten ungewöhnlich für die Gegend unbedeckt war. Er stöhnte, und seine Augen, die bis eben geschlossen waren, öffneten sich, als einer der Soldaten sich zu ihm hinab beugte und ihm ein paar Tropfen klares Wasser einflößte.
Sie waren blau.

So etwas hatte Jako-Re noch nie gesehen: Augen, die die Farbe des Himmels hatten!

„Herr", sagte der Hauptmann. „Er ist dem Tode nah. Ich denke nicht, dass wir ihn retten können."
Jako-Re zog die Stirn kraus.
Der Soldat, der mitleidig genug gewesen war, dem Manne Wasser zu geben, sank vor Jako-Re auf die Knie.
„Verzeiht, Herr. Es war falsch, ihm von dem wenigen kostbaren Wasser zu geben. Bestraft mich. Ihr seid Gerecht."

Jako-Re machte eine abwehrende Geste.
„Geh", sagte er. „Es ist in Ordnung."
Er wandte sich an den Hauptmann.
„Wir nehmen ihn mit. Er sieht nicht so aus, als könne er in seinem Zustand eine Gefahr für uns sein. Wenn er bis zum Tempel des Ammun überlebt, können die Priester sich seiner annehmen. Und falls er überlebt, nun, dann nehmen wir ihn wieder mit zurück nach Theben. Mit diesen blauen Augen gäbe er einen hübschen Sklaven für den Pharao ab."

Der Hauptmann seufzte. Aber was sollte er tun - wenn die hohen Herrn sich etwas in den Kopf setzten, was es nicht an ihm, das zu kritisieren. Also hieß er einen seiner Männer, dem Verletzten erneut Wasser zu geben. Er ließ ein rasches Lager errichten, denn der Herr Jako-Re hatte zudem eine Rast befohlen. Man verteilte Brot und Datteln, und während Jako-Re seine Mahlzeit aß, sah er zu, wie einer der Soldaten, der sich auf das Richten von Gliedmaßen und das notdürftige Versorgen von Wunden verstand, beides Fähigkeiten, die im Kampf geschätzt und wichtig waren, dem Mann die Wunden verband und ihm die heiße Stirn wusch.

Der Fremde schien zu fiebern. Seine Augen waren nun geschlossen. Schade, nun ja. Er zitterte leicht und Schweiß lief ihm über das Gesicht. Und er stammelte Worte, Worte in einer fremden Sprache, die Jako-Re nicht kannte.
Nun, vermutlich würde er es nicht überstehen, und sie würden ihn im heißen Wüstensand begraben.
Jako_Re seufzte.
Schade, sehr schade. Die blauen Augen hatten es ihm angetan. Nun ja.

Die Sonne war am Himmel ein ganzes Stück weiter gewandert, als sie sich anschickten, ihren Weg fortzusetzen. Sie hatten den Fremden auf eines der Lastenkamele gebunden, so dass er nicht herab fallen konnte. Ein Tuch war nun um seinen Kopf gewunden, damit die heiße, unbarmherzig brenndende Sonne ihm nicht noch mehr schadete. Der Herr Jako-Re selber ritt mit seinem Tier an seiner Seite und hielt von Zeit zu Zeit an, um ihm ein paar Tropfen Wasser auf die spröden, aufgesprungene Lippen zu träufeln.

Langsam aber stetig, wie Karawanen eben dahin wanderten, kamen sie voran, und am Abend des nächsten Tages, als die Schatten schon lang waren und die Sonne tief stand, wehte die kühle Feuchte des Flusses zu ihnen herüber, und sie stimmten voll Zuversicht einen Hymnus an, ein Dankgebet an Seth, den Gott der Wüste, der sie einmal mehr aus seinen Fängen entlassen hatte.
Als der zweite Gesang endete, erreichten Sie den Tempel. Und zu aller Überraschung lebte der Blauäugige noch.

Der Oberpriester begrüßte sie mit Ehrerbietung und Dank.
Sklaven entluden die Kamele, andere brachten zu Essen sowie Wasser vom Fluss, um zu trinken und sich zu waschen.
Jako-Re jedoch trug eigenhändig den Fremden in die Heilstube der Priester.
Der Oberpriester wies den klügsten und heilkundigsten seiner Priester an, sich um den Mann, in dem nun nur noch wenig Leben war, nur noch ein winziges Fünkchen, so gut er es könne zu kümmern.
Der Heilpriester machte sich sofort an die Arbeit.
„Wenn Ihr ihn rettet", sagte Jako-Re, „wird euch Dankbarkeit gewiss sein. Er hat Augen, die so blau sind, wie die reinen Seen der Oasen. Wenn er gesund wird, wird er ein Geschenk sein, für den Pharao."

Der Oberpriester sah ihn lange und eindringlich an. Es schien Jako-Re, als könne er ihm direkt in die Seele blicken.
„Ein Geschenk wird er sein", sagte der Priester. „Dessen bin ich mir sicher. Doch es fragt sich, für wen?"
Jako-Re schluckte. Er spürte, wie seine Wangen zu glühen begannen.
Wortlos drehte er sich um, um nun ebenfalls eine Mahlzeit und ein erfrischendes Bad zu bekommen.

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