Erntezeit und drohendes Gewitter (Teil 1/2)

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Der Tag war schwül. Schwer lag die Sommerhitze über den Getreidefeldern. Die Luft flirrte und war heiß und trocken. Kein Windchen wehte, so dass der Staub, der über den Feldern stand, nicht davongetragen wurde, sondern schwer über dem Land lag und allen das Atmen noch zusätzlich schwer machte.
Die Bauern jedoch waren in Eile. So wie die Luft seit Tagen immer drückender wurde, würde es nicht mehr lange dauern, bis ein Gewitter über sie herein brechen würde. Und so ein Unwetter, das über das Land zog, konnte ganze Ernten vernichten, konnte Schäden anrichten, die nicht wieder aufzuholen wären.
Deshalb musste das Heu so schnell wie möglich eingebracht werden, um es vor dem schweren Regen und dem Gewittersturm zu bewahren. Der Gutsherr, der Herr Ritter derer von Joiko, hatte es befohlen, aber natürlich wussten die Bauern auch ohne ihn, was zu tun und notwendig war. Doch Ritter von Joiko interessierte sich sehr für sein Gut und versuchte, es so ertragreich wie möglich zu halten.


Natürlich flossen ihm der Großteil des eingebrachten Wohlstandes zu. Immerhin war er von Adel und hatte sich seinem Stande würdig zu erweisen, und wenn er Gesellschaft auf seiner Burg empfing, dann durfte er nicht knausern.
Dennoch konnte man nicht bestreiten, dass ein Teil des Ertrages auch seinen Bauern zu Gute kam.
Es ging ihnen weitaus besser als den meisten Bauern der umliegenden Güter und sie waren mit ihrem Herrn recht zufrieden und dankbar, ihn und nicht einen strengeren, grausamen Herren zu haben.
Selbst die Leibeigenen auf dem Rittergut Joiko mussten niemals hungern oder frieren.


Nun, an frieren war in diesem Augenblick nicht zu denken. Im Gegenteil, die Arbeit war schweißtreibend. Der junge Fischer Marti, der gemeinsam mit den anderen Garben auf den Heuwagen stapelte, wischte sich den Schweiß von der Stirn.
Eigentlich hätte er das hier nicht tun müssen. Seine Aufgabe war es, im Fluss, der im Moment allerdings nur wenig Wasser führte, und in der Teichen des naheliegenden Mönchsklosters zu Fischen und für genügend Fisch auf des Ritters Tafel zu sorgen.
Doch nun, da der Arbeit noch so viel war und die Zeit drängte, hatte er eben einfach mit angepackt und die Bauern waren dankbar für jede helfende Hand.


Er verschnaufte einen winzigen Moment und ließ den Blick über die Heuwiese und die weiten Felder schweifen.
Auf dem Weg, der von der Burg herunter führte, war eine Staubwolke zu sehen.
Er sah genauer hin. Es scheinen Pferde zu sein – Reiter – schwere Reiter.
Einer voran und vier andere hinter ihm.
„Der Ritter!", rief Marti den Männern und Frauen um ihn herum zu. „Der Ritter kommt, mit Männern aus seinem Gefolge!"
Sie begannen, nun mit noch mehr Anstrengung zu arbeiten. Denn auch, wenn ihr Herr ein guter Herr war, fühlten sie sich doch ein wenig unwohl, wenn er in ihre Nähe kam... bei den hohen Herren wusste man einfach nie.


Als der Ritter am Wiesenrand sein Pferd zügelte und den Blick über die Leute schweifen ließ, hielten sie alle einen Augenblick inne und neigten ehrerbietig das Haupt.
„Macht weiter, gute Leute", sagte Herr von Joiko.
Die Bauern nahmen ihre Heugabeln wieder zur Hand und setzten die Arbeit fort.
„Wo ist er Dorfälteste?", fragte der Ritter.
Es herrschte schweigen, da sich niemand traute, zu antworten. Doch Marti, jung und vielleicht ein wenig übermütig, antwortete:
„Verzeiht, Herr Ritter. Dem ist in der Hitze schlecht geworden. Wir haben ihn in den Schatten eines Baumes gebettet und ihm ein nasses Tuch auf die Stirn gelegt. Er ist schon ein alter Mann, bitte bestraft ihn nicht."


Der Ritter sah ihm direkt ins Gesicht. Verlegen senkte Marti seinen Blick.
„Sieh an, der junge Fischersmann", sagte von Joiko.
„Hast du hier also das Wort übernommen?"
„Nein...", stotterte Marti. Dann straffte er sich. „Nein, es ist nur... Ihr erwartetet eine Antwort, und da der alte Mann..."
Er wusste nichts weiter zu sagen, also schwieg er.


Ein Lächeln zog sich über des Ritters Gesicht.
„Schon gut", sagte er. „So kannst du mir auch weiterhin Antwort stehen. Warum bist du hier? Der Fluss und die Teiche bedürfen deiner Aufmerksam im Moment nicht?"
„Nein, Herr. Der Fisch für Euer Abendmahl befindet sich bereits im kühlen Schlosskeller. Die Bauern dagegen arbeiten mit aller Kraft, um das Heuen zu beenden, bevor das Gewitter über das Land zieht. Sie sind froh um jeden, der helfend zupackt, damit alles Heu in die Scheunen gebracht wird und Euch, Herr Ritter, nichts verloren geht."
Der Ritter nickte. „So soll es sein. Also lass auch du dich nicht weiter aufhalten."
„Ja Herr", sagte Marti und packte die nächste Heugarbe, um sie kunstgerecht zu stapeln.


Eine Weile sah der Ritter dem Schauspiel zu. Ihm gefiel, was er sah. Der junge Fischer sah gut aus... seine Muskeln spielten unter der Haut, und als er nach kurzer Zeit, wohl vergessend, dass ihr aller Herr nur wenige Schritte entfernt stand, ein Lied anstimmte und andere einfielen, da blitzten seine blauen Augen vergnügt und sein Gesicht strahlte trotz der schweren Arbeit.


Von Joiko lächelte.
Dann wurde ihm wehmütig um das Herz. Dieses frohe Miteinander der Menschen hier vor ihm, die miteinander arbeiteten und sangen, so etwas gab es in seinem Leben nicht. Das Zechen droben auf der Burg mit seinen Kumpanen, das war nicht das gleiche. Dort musste er mit seinem Reichtum protzen, um anerkannt zu sein. Musste saufen und grölen, um als stark zu gelten. Musste sich im Kampfe beweisen. Nein, da war nichts herzliches dabei.
Diese Menschen hier jedoch, die nicht viel mehr als das nötigste besaßen, ihre kleinen Katen mit ihren winzigen Kräutergärten, ihrem Getreidebrei und ihr hartes, dunkles Brot, diese Menschen verbreiteten Wärme und Fröhlichkeit.
Er machte sich nichts vor, ihr Leben war alles andere als einfach. Trotz seiner Fürsorge für seine Untertanen.
Und dennoch... dennoch...
beneidete er sie.


„Verzeiht, Herr Ritter...", wurde er da angesprochen.
Vor ihm stand der Fischer, der anscheinend vom Heuwagen gesprungen war und nun verlegen seinen Hut in den Händen drehte.
„Sprich, Fischer!", sagte von Joiko.
„Herr, vergebt mir meine Frechheit. Aber die Menschen brauchen dringen eine Mittagsrast. Ein wenig Ruhe im Schatten, einen Kanten Brot und etwas kühles Quellwasser. Jedoch..."
Marti holte tief Luft und der Ritter nickte ihm auffordernd zu.
„Jedoch trauen sie sich nicht, da ihr nun hier seit... sie fürchten, Ihr würdet zornig werden..."
Wieder lächelte von Joiko. Dieser Fischer gefiel ihm, er schien recht mutig zu sein.
„So rastet", sagte er und lächelte erneut.


Es dauerte eine Weile, bis der Fischer alle Bauern dazu gebracht hatte, sich im Schatten der Bäume niederzusetzen.
Dann glitt des jungen Mannes Blick zu seinem Herrn, der noch immer auf seinem Pferd saß, sich jetzt aber anschickte, es zu wenden und zurück aufs Schloss zu reiten.
„Herr?", rief er.
Der Ritter zügelte sein Pferd und fragte erstaunt.
„Was wünschst du noch?"
Wiederum verlegen und doch auch ein wenig hoffend, sagte der Fischer:
„Euch muss warm sein. Bitte, setzt Euch zu uns, in den Schatten. Und trinkt mit uns aus dem Krug einen Schluck kühles Wasser!"


                                                - - - wird fortgesetzt - - -

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