Whyte Wyrm

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Sweet Pea spukt mir noch eine Weile im Kopf herum. Selbst, als Jug und Betty zurückkehren und Betty mir mit fürsorglicher Geste eine Tüte von Pop's in die Hand drückt, kann ich nur daran denken, wie sehr Menschen sich entfremden können. 

„Und, kommt dein Dad frei?", frage ich halb interessiert, während ich die braune Papiertüte öffne und einen Schokomuffin herausfische.

„Ja, wahrscheinlich schon nächste Woche", Jug freut sich wirklich. Was ist passiert? Wir haben uns immer gegen sie aufgelehnt, auch wenn FP der verträglichere Vater gewesen ist. Im Zweifel hat er uns immer beschützt.

„Er freut sich, dich wiederzusehen", fügt Betty hinzu. Ich unterdrücke ein Lächeln. 

„Ich sollte Archie sein Auto zurückbringen", beschließe ich. Ich stopfe die wenigen Sachen, die ich mitgenommen habe, zurück in meinen Rucksack und verabschiede mich mit einem Kopfnicken von den beiden. Den Schokomuffin im Mund trete ich aus dem Trailer und erblicke Sweet Pea, der gerade damit beschäftigt ist, an seinem Motorrad zu schrauben. Ich zwinge mich, den Blick abzuwenden und zu Archies Wagen zu gehen, als plötzlich ein Mädchen auf der Bildfläche erscheint. Sie ist hübsch. Und eine Serpent. Sie schlingt Sweet Pea ihre schlanken Arme um den Hals und drückt sich lachend an ihn. Schnell reiße ich die Fahrertür auf und hoffe, dass die beiden mich nicht bemerken. Ich werfe meinen Rucksack auf den Beifahrersitz und kann gar nicht schnell genug aufs Gas drücken, um die Southside zu verlassen.


„Wir gehen aus", verkünde ich ohne Umschweife, „und ich brauche Klamotten. Ich habe nichts Passendes dabei."

Veronica blinzelt mich überrascht an. Ich habe Archie den Autoschlüssel in die Hand gedrückt und bin, bevor ich es mir anders überlegen konnte, zu Bettys Haus gelaufen. Mein Finger lag auf der Klingel, ehe ich einen Rückzieher machen konnte. Neben ihr erscheint ein Typ, den ich höchstens vom Sehen kenne. Vielleicht hat er sich mir auch vorgestellt und ich habe seinen Namen vergessen.

„Den Satz wollte ich schon immer mal hören", freut er sich, „Project Runway."

„Das ist Kevin", stellt ihn Veronica vor, „Bettys bessere Hälfte. Und Sohn des Sheriffs."

„Hi."

„Wir holen alles aus dir raus. Du bist naturschön, aber da geht noch mehr. Betty! Öffne deinen Kleiderschrank. Oder noch besser, wir fahren zu dir, Veronica."

Wenig später befinde ich mich in einer Wohnung, oder viel mehr einem Penthouse, ich dem ich mich fühle wie ein klobiger Fremdkörper. Kevin steuert gezielt Veronicas Kleiderschrank an, während Betty sich mit ihrem Schminktisch beschäftigt. Ich stehe bloß in der Mitte des Zimmers und staune.

„Deine Eltern haben wohl ... Geld", sage ich und rudere sofort zurück, „wow. Tut mir leid."

„Nein, schon gut, sie haben Geld", erwidert Veronica mit einer wegwerfenden Handbewegung, „dafür sind einige andere Dinge auf der Strecke geblieben."

„Ehrlichkeit zum Beispiel", schaltet sich Kevin ein. Wir haben alle unser Päckchen zu tragen. 

„Setz dich", fordert sie mich auf. Ich setze mich auf die äußerste Kante ihres riesigen Himmelbettes und beobachte die drei dabei, wie sie aufgeregt plappernd hin und her laufen und verschiedene Outfits hochhalten, die ich mit einem Kopfschütteln oder einem möglichst enthusiastischem Nicken bewerten muss.

„Hose oder Kleid?", fragt Kevin kritisch.

„Hose", sage ich sofort. Da ich eine bestimmte Location anstrebe, wäre ein Kleid nicht das angemessene Outfit. Aber das verschweige ich ihnen vorerst. 

„Veronica, hast du eine graue Skinnyjeans?"

Veronica zieht einige Schubladen auf und hält die Hose triumphierend in die Luft. 

„Und jetzt noch ein enges Oberteil. Du kannst das tragen", befindet Kevin nach einem prüfenden Blick auf die Hose, „hauteng, Ronnie!"

Eine halbe Stunde später sind sie zufrieden mit ihrer Wahl. Die Jeans, in die ich mich nur mit Bettys Hilfe quetschen kann und ein Top mit transparenten Einsätzen im Dekolleté und an den Seiten.

„Das zeigt mehr als es verdeckt", urteilt Kevin grinsend, „perfekt."

Auch die Mädchen zeigen sich zufrieden. 

„Jetzt noch ein bisschen hier und hier", Betty deutet auf mein Gesicht und meinen unvorteilhaft zerzausten Dutt, „und du siehst aus wie -"

„Dark Betty", vollendet Veronica ihren Satz.

„Dark Betty?", frage ich verständnislos.

„Das wirst du schon noch rausfinden", sagt Kevin, „ich gehe in die Küche und besorge uns ein paar Drinks."

Gegen neun Uhr bin ich fertig. Und fühle mich besser. Nicht nur, weil ich mich im Spiegel endlich wiedererkenne, sondern auch, weil die drei in Kombination mit Alkohol meine Stimmung erheblich gehoben haben.

„Wo gehen wir eigentlich hin?", fragt Betty, als wir zu viert auf dem Bett liegen und uns vom Styling-Marathon erholen.

Whyte Wyrm", antworte ich knapp. Sofort setzen sie sich auf. 

„Die Serpentkneipe?", Kevin schüttelt mehrmals den Kopf, „auf keinen Fall setze ich da einen Fuß rein.

„Bitte!"

Das ist das erste Mal, dass ich von diesem Wort Gebrauch mache. Bitte. Bitte lasst mich nicht alleine gehen. Betty zögert.

„Jug sagt, du bist bei den Serpents nicht mehr sonderlich beliebt. Denkst du, das ist eine gute Idee?"

„Ich habe meine Gründe", antworte ich vage.

„Wenn wir dich begleiten sollen, dann erzähl uns davon", fordert sie. Ich wusste, es würde darauf hinauslaufen. Aber genauso gut weiß ich, dass sie auf die Geschichte anspringen werden. Ich muss mir keine Details ausdenken oder sie ausschmücken. So wie sie ist, ist sie traurig genug.

Das Whyte Wyrm ist um die Uhrzeit gut besucht. Wobei es das eigentlich immer ist. Die meisten hier haben keinen legalen Job und Zeit, sich schon morgens in einer heruntergekommenen Bar zu betrinken und Billard zu spielen. 

„Ich fühle mich jetzt schon unwohl", sagt Kevin, als ich die Tür aufstoße. Warme Luft schlägt uns entgegen. Der Geruch von Bier, Zigarettenrauch und Leder. Ich sauge ihn tief ein. Alle Blicke richten sich auf uns und die drei bleiben einige Schritte hinter mir zurück. Jetzt ist es zu spät für einen Rückzieher. Wir sind hier. Was auch Jughead, der auf einem Barhocker sitzt und auf sein Handy starrt, nicht verborgen bleibt. Er erhebt sich eilig und stürmt auf uns zu.

„Spinnst du? Was hast du vor?", er packt mich hart an der Schulter und zieht mich zu sich, "willst du dich umbringen?"

„Sie bringen mich nicht vor aller Augen um", murre ich, „ich weiß, was ich tue."

„Nein, tust du nicht", erwidert er, „was ist los mit dir?"

„Nichts", ich lasse meinen Blick durch den Laden schweifen. Einige argwöhnische Blicke treffen mich, aber keiner, der mir Sorgen genug macht, um zu flüchten. Entschlossen gehe ich zur Theke und bestelle eine Runde Bier. Die anderen wirken zwar verunsichert, aber sie geben sich Mühe, entspannt zu wirken. Angesichts der Serpents, die sie von jeder Ecke des Raumes anstarren, nicht einfach. Veronica legt mir behutsam eine Hand auf die Schulter.

„Ist wirklich alles okay?", fragt sie leise. Ich antworte ihr nicht und trinke stattdessen die Hälfte meines Bieres in einem Zug.

Die Wahrheit über Greta.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt