Schöne neue Welt

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Schnell wird aus Veronicas vorfreudig geschmiedetem Plan Realität. Hermione besteht darauf, FP zum Dinner einzuladen, um ihn „um Erlaubnis zu bitten". Seine Begeisterung wird sich in Grenzen halten. Seine Vorzeige-Serpent-Tochter bei der reichsten Familie der Northside. Die Leute werden reden. Ich könnte endlich die Schule wechseln und mich auf altersgemäße Dinge wie Hausaufgaben und pubertäres Drama konzentrieren. Ein Neuanfang. Fernab von Black Hood, Drogengeschäften und Sweet Pea.

„Wir würden selbstverständlich für alles Sorge tragen", Hermione erinnert mich an eine leidenschaftliche Anwältin, die sich weit über den Gerichtssaal hinaus für ihre Klienten einsetzt. Wie in einem orangegelben 90er-Jahre-Film.
„Ist es das, was du willst, Greta?", fragt FP mich.

Ich habe mich bis dahin eingehend mit meinem halb leeren Teller Spaghetti beschäftigt.

„Ja."
Ich bin eine Enttäuschung für ihn. Eindeutig. Ich bin eine Serpent geworden, wenn auch aus den falschen Gründen, und das hat ihn stolz gemacht. Er hat es mir nie gesagt, aber ich habe es jedes Mal gespürt, wenn ich die Lederjacke angezogen und mit ihm ins Whyte Wyrm gegangen bin.
„Solange du nicht vergisst, wo du herkommst, bin ich einverstanden", sagt er locker, „du wolltest von Anfang an hierbleiben."
Ich glaube, es hat vielmehr mit Sweet Pea und der Gefängnis-Sache zu tun, als das er es wirklich akzeptiert.
„Danke", murmle ich überrascht.
„Gut", Hermione nickt zufrieden, „dann ist das geklärt. Du bleibst bei uns."
„Am besten wir holen deine Sachen sofort!", Veronica springt euphorisch auf. Ich erhebe mich ein wenig gesitteter und folge ihr aus dem Esszimmer.

„Das war ja fast zu leicht", freut sich Veronica.
„Mhm", murmle ich nachdenklich, „aber FP geht's darum, dass ich nicht mehr bei Sweet Pea wohne."

„Wird er jetzt da sein?"

„Kann sein", erwidere ich schulternzuckend. Bei meinem Glück sitzt er auf der Couch und sieht mir dabei zu, wie ich meine Sachen um ihn herum zusammensuche. Er wird sich nicht von mir verabschieden oder sich dafür interessieren, wo ich hingehe. Verdammt. Das sollte mir nichts ausmachen.

„Du solltest ihm sagen, wies dir geht", fordert mich Veronica auf, „du hast so viel für ihn getan, er benimmt sich wie ein Arsch."
„Nein. Das kann ich nicht."
Alleine der Gedanke bringt mich zum Heulen. Es wäre ein Schlussstrich und ich will keinen. Ich will ihm wieder näher sein.

Ich bitte Veronica, im Auto zu warten. Ich muss ein weiteres Mal meine Sachen packen. Und dieses Mal hoffentlich für eine längere Zeit. Als ich die Trailertür öffne, sehe ich Sweet Pea sofort. Er ist auf der Couch eingeschlafen. Ich schließe die Tür leise und beginne wie ein Einbrecher damit, auf Zehenspitzen meine Klamotten einzusammeln. Einerseits will ich ihn nicht wecken, um Diskussionen zu entgehen, andererseits will ich, dass er aufwacht und wenigstens versucht, mich aufzuhalten.

Eines seiner Flanellhemden packe ich ebenfalls ein. Ein kleines Zugeständnis an mich. Ein Abschiedsgeschenk. Ich kann nicht gehen, ohne ihn noch einmal anzufassen. Denn ich weiß, wenn ich diese Tür hinter mir schließe, ändert sich alles. Ein- für allemal. Ich kann nicht zu Veronica ziehen und mit Sweet Pea so weitermachen wie bisher. Sie hat recht. Ich sollte ihm sagen, dass er mich verletzt hat. Also setze ich mich auf die Sofalehne und streiche ihm etwas zu zärtlich die Haare aus der Stirn. Er zuckt, bevor er die Augen öffnet und mich verwirrt ansieht. Dann richtet er sich schwerfällig auf und reibt sich mehrfach durchs Gesicht.

„Kann ich dir helfen?", fragt er irritiert. Ich deute mit einem Kopfnicken auf meinen zum Platzen gefüllten Rucksack, der neben der Tür steht.
„Fährst du weg?", fragt er stirnrunzelnd. Ich hätte nicht damit gerechnet, dass er jetzt Witze macht. Verwirrt schüttle ich den Kopf.
„Ich ziehe aus", informiere ich ihn.

„FP kann es ja kaum erwarten, dich in Sicherheit zu bringen", Sweet Pea verdreht die Augen.
„Er hat damit nichts zu tun."
„Mhm."

„Ich ziehe zu Veronica", kläre ich ihn auf, „auf die Northside. Ich wechsle die Schule. Und ich komme dieses Mal nicht zurück. Weder auf die Southside, noch zu dir."
Jetzt ist es raus. Etwas, von dem ich nicht einmal gewusst habe, dass ich es fühle. Er ist ehrlich überrascht.
„Wann hast du das beschlossen?"
„Ist doch egal."
Die Hauptsache ist doch, dass es feststeht. Er vergräbt sein Gesicht in seinen Händen und stößt einen Wutlaut aus. Ich presse die Lippen zusammen. Ich muss standhaft bleiben. Ich erhebe mich von der Couch und gehe zu meinem Rucksack. Sweet Pea erhebt sich ebenfalls und für einen Moment befürchte ich, er wird mich aufhalten. Oder wünsche ich es mir?
„Das wars also?"
„Du-", ich fahre herum, rasend vor Wut, „ich habe dich aus dem Gefängnis geholt! Stell mich nicht als die Schuldige hin!"
Er tritt gegen den Couchtisch, obwohl er genau weiß, dass ich bei solchen Ausbrüchen dazu neige, Panik zu kriegen. Es erinnert mich an meinen Vater und seine unkontrollierten Wutanfälle. Die Hälfte unserer Einrichtung ist ihm zum Opfer gefallen.

„Ich will dich nur beschützen, Greta!"

„Zu spät!"
Es ist schon so lange zu spät, mich zu schützen. Ich bin die einzige, die das tun kann. Ich brauche ihn nicht als meinen Aufpasser, sondern als meinen Freund. Brauchte.
„Du hast für Penny gearbeitet", rufe ich ihm das größte Problem ins Gedächtnis, „und ich wollte das für dich gerade biegen. Weil ich -"
Dich liebe. Verdammt. Diesen Fehler mache ich kein zweites Mal. Ich packe meinen Rucksack und widerstehe dem Drang, ihn ein letztes Mal zu küssen. Wie theatralisch. Wie dämlich. Wie kindisch. Das bin ich nicht. Aber ich erinnere mich momentan kaum daran, wer ich bin. Zwischen Abschlussbällen, Glasscherben, Drogen.
„Weil ich die Einzige bin, die das für dich tut", sage ich, „ich muss jetzt los. Veronica wartet draußen."

Als ich ihm den Rücken zukehre, lasse ich den steinernen Gesichtsausdruck fallen.

„Wann wolltest du mir eigentlich erzählen, dass FP dein Dad ist?", fragt er. Meine Finger krampfen sich um die Türklinke. Ich drehe mich nicht nochmal zu ihm um. Es wurde alles gesagt. Dieses Mal ist es anders. Egal, ob es tatsächlich so ist oder ob ich es mir nur einrede. Ich muss ihm darauf nicht mehr antworten. FP ist mein Vater, ja, aber das ändert gar nichts. Und vielleicht hätte ich es dir erzählt, aber wir hatten nie Zeit.


Die nächsten Stunden vergehen zu schnell, um zu trauern. Mein Zimmer ähnelt mehr einem Hotelzimmer als einem persönlichen Raum und ich nehme mir vor, einige Änderungen in die Wege zu leiten. Eine neue Wandfarbe vielleicht. Dieses Eierschalengelb passt nicht zu mir. Und ich brauche dringend neue Klamotten, neue Schuhe und ein paar Stunden Schlaf.

Hermione und FP haben meine Ummeldung problemlos über die Bühne gebracht und es ist tröstlich, dass die beiden so gut zusammenarbeiten. Das sie das für mich tun. Ab nächster Woche gehe ich offiziell auf die Riverdale High. Ein neues Kapitel beginnt. Neue Herausforderungen. Ein neues Leben.

Ich nehme das Handyklingeln auf dem Nachttisch erst kaum wahr. Als ich den Anruf dann hektisch entgegennehme, achte ich nicht aufs Display.
„Hallo?"
„Hallo Greta. Hast du mich vermisst?"

Die Wahrheit über Greta.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt