Schuldgefühle

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Es folgen kurze aufreibende Stunden voller böser Träume und unruhigem Schlaf. Als ich endlich aufwache und feststelle, dass ich immer noch im Krankenhaus bin und nicht etwa gefesselt neben Black Hood im Auto sitze und meinen Vater auf die Straße treten sehe, bin ich erleichtert. Für einen kurzen Moment. Es reicht für ein tiefes Durchatmen, dann ist sie da. Die Realität. Ein schlafender Jug neben mir, ein immer noch nicht aufgewachter FP auf der anderen Seite des Zimmers. Die Sonne scheint. Vorsichtig rutsche ich aus dem Bett und suche nach meinen Sachen. Irgendjemand hat sie in ein Schrankfach geräumt. Ich wühle zwischen den Klamotten nach meinem Handy und finde es schließlich am Ladekabel in der Steckdose. So viele SMSen wie heute habe ich noch nie bekommen. Nicht mal an Geburtstagen oder nachdem ich die Stadt verlassen habe. Es sind Genesungswünsche, Hilfsangebote und „ich denke an dich"-Botschaften. Lieb gemeinte Worte, die ich vom Bildschirm wische wie nervtötende Spam-Mails. Ich bleibe an dem Chatfenster mit Sweet Pea hängen, das in letzter Zeit nicht häufig beansprucht worden ist. Ich habe es abends geöffnet und mich durch die Nachrichten gescrollt. Nichts Romantisches, nichts besonders Liebevolles. Es war so echt, so wir, dass mir regelmäßig die Tränen kamen. Aber es wurde zu einer Abendroutine.

„Egal wann, ruf mich an."

Schlicht und umso ergreifender. Eine Hand, die sich nach mir ausstreckt und mich festhält, weil ich immer noch in einem Paralleluniversum schwebe und keinen Fuß fassen kann. Eine Hand, nach der ich greifen werde. Jetzt. Das Freizeichen lässt mich zusammenzucken. Ich schleiche aus dem Zimmer, schließe die Tür leise hinter mir und stehe alleine auf einem leeren Flur.
„Hallo", sage ich rau, als ich das Klicken in der Leitung höre.

„Hallo."

Die Erleichterung in seiner Stimme lässt mich lächeln. Zumindest fühlt es sich an, als würden sich meine Mundwinkel heben. Ich laufe den Flur hoch und lausche seinem Atem, der leise zu mir dringt. Er müsste gar nichts sagen. Das hier würde mir reichen.

„Wie geht's ihm?"

„Er muss noch aufwachen", antworte ich.

„Und wie geht's dir?", fragt er. Ich höre in mich hinein. Ja, wie geht's dir eigentlich? Die Taubheit ist seichter geworden, aber nicht verschwunden.

„Kannst du ins Krankenhaus kommen?"

Ja, kann er. Natürlich kann er. Es hört sich an, als sei er aus dem Bett gesprungen, in dem er keine Sekunde geschlafen hat, um seine Klamotten zusammenzusuchen und loszufahren.

„Fahr vorsichtig", bitte ich ihn, „ich warte unten auf dich."
Lass uns für heute vergessen, was gewesen ist. Lass uns das mit Penny vergessen und die Drogen und das wir nicht gut miteinander harmonieren. Ohne dich funktioniert es auch nicht.

Ich bin in einem seltsam euphorischen Zustand, der von zu wenig Schlaf herrührt. Könnten auch die Nachwirkungen der Beruhigungsspritze sein. Oder die Kunst der Verdrängung. Ich weiß, was meine Träume bedeuten. Schuldgefühle. Hätte ich Black Hood nicht weggedrückt und ihm insgeheim den Krieg erklärt, wer weiß, was dann wäre. FP würde nicht hier liegen und alles liefe noch in geregelten Bahnen. Ich fühle mich schuldig. Ich kämpfe gegen diese Schwere an.
Als Sweet Pea vor mir steht und mich ansieht als wolle er mich sofort weg von diesem Ort bringen und alles besser machen, als es ist, kann ich nicht anders, als ihn zu umarmen. Eine lange warme Umarmung.

„Woher weißt du, was passiert ist?", frage ich, als wir in den Aufzug steigen. Ich vermeide den Blick in den Spiegel. Wenn ich nur halb so schlecht aussehe, wie ich mich fühle, dann lasse ich das vorerst besser.

„Deine blonde Freundin stand gestern mitten in der Nacht vor meiner Tür und hat es mir erzählt", erklärt er, „ich war mir nicht sicher, ob du mich sehen willst."

Die Wahrheit über Greta.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt