Razzia

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Sweet Pea kommt mitten in der Nacht nach Hause. Ich wälze mich auf die andere Seite und drehe ihm meinen Rücken zu, doch er gibt sich keine Mühe, leise zu sein, weshalb ich mich schließlich aufsetze und das Licht einschalte.

„Geht's noch?", frage ich genervt.

„Hätte ja sein können, dass du mit Babyface durchgebrannt bist", gibt er schroff zurück. Ich beiße die Zähne zusammen. Ich habe keine Lust auf Streit. Das erste Mal seit langem bin ich ohne langes Kopfzerbrechen eingeschlafen. Ich habe die verbundene Hand unter meinen Kopf geschoben, die Augen geschlossen und schon war ich weg.

„Lass mich schlafen", nuschle ich erschöpft. Er öffnet ungerührt den Kühlschrank und sucht nach etwas Essbarem.

„Wir haben nichts mehr", rufe ich ihm zu.

„Verdammt!"

Er schlägt die Kühlschranktür zu und tritt geräuschvoll dagegen. Ich erhebe mich von der Couch. Scheinbar war sein Abend nicht berauschend, aber ich bin nicht in der Verfassung, ihn aufzuheitern. Ich bin gerade dazu in der Lage, meine Arme von hinten um ihn zu schlingen. Ihn festzuhalten. Ich habe irgendwo gelesen, dass das beruhigend wirkt. Ist bestimmt schon zehn Jahre her. Aber es ist mir immer im Gedächtnis geblieben. Ich presse mich fest gegen seinen starken Rücken. Spannung weicht aus seinem Körper. Er lässt sich hängen. Ich streiche über seine Brust.

„Wo warst du?", frage ich.

„Unterwegs", antwortet er kurz angebunden. Ich stelle keine weiteren Fragen. Er dreht sich in meinen Armen um, umfasst mich und lässt sich gegen mich sinken. Etwas ist anders als sonst. Er wirkt mit seinen fast zwei Metern plötzlich klein. Ich nehme ihm etwas von seinem Gewicht. Stütze ihn. Ich halte ihn.

„Wir sollten schlafen", sage ich leise. Aber wir rühren uns nicht. Okay, dann bleiben wir hier. Ich wünschte, er würde mir sagen, was er denkt. Er würde nur ein einziges Mal aussprechen, was in ihm vorgeht.

Er soll einfach hierbleiben. In meinen Armen. Normalerweise wehrt er sich gegen jede Art der Schwäche. Er lässt sie nie zu. Nur in Momenten, in denen er meint, unbeobachtet zu sein. Früher hat er sich oft die Fingerknöchel wund geschlagen. An Hauswänden, Möbeln, Autos. Wenn ich seine Hände verarzten wollte, ließ er mich nicht. Er ließ niemanden an sich heran.
Er löst sich von mir.

„Wir sollten schlafen."

Ich zögere. Er greift nach meiner Hand und zieht mich hinter sich her ins Schlafzimmer. Der kleine Raum besteht nur aus einem alten Bett und einem noch älteren Schrank. Wir schlafen Arm in Arm ein. Machen uns nicht einmal die Mühe, uns auszuziehen. Ein tiefer traumloser Schlaf überkommt mich.

Am nächsten Morgen sind wir fast zu spät dran, um die erste Stunde noch zu schaffen. Am liebsten würde ich liegen bleiben, aber Sweet Pea treibt mich zur Eile an. Ob FP ihm eingeschärft hat, dafür zu sorgen, dass ich durchhalte? Normalerweise hätte er nämlich nichts dagegen, den Tag im Bett zu verbringen.
Das erste Mal habe ich das Gefühl, wirklich mit ihm zur Schule zu gehen und nicht nur ... mit ihm. Wie mit jedem anderen. Wie mit jedem Schüler dieser gottverdammten Schule. Er hält meine Hand und auch, wenn es niemand sieht, bedeutet es mir mehr, als ich zugeben würde.

In der Mittagspause sitze ich zum ersten Mal im Epizentrum der Gang-Hirarchie. Neben Sweet Pea. Seine Hand liegt auf meinem Knie und streicht hin und wieder wie über meinen Oberschenkel, als wolle er mich beruhigen. Toni sitzt mir gegenüber und scheint sich nicht im Mindesten daran stören. Jughead wirft mir fragende Blicke zu. Und schreibt spaßeshalber vorwurfsvolle SMSen à la „so schnell ersetzt du mich?", „Das Highschool 101 hast du schnell verinnerlicht". Vor der nächsten Stunde passe ich ihn vor seinem Spint ab.

„Bist du sauer?", ich will sichergehen, dass ich ihn nicht wirklich vor den Kopf gestoßen habe. Er hätte sich zu uns setzen können, aber Jug zieht die Außenseiterrolle vor.

„Nein, nur überrascht", gibt er zurück, „ich dachte, dass mit Sweet Pea und dir wäre vorbei."

„Es ist nie wirklich vorbei."
Jughead verdreht die Augen und schließt seine Spinttür.

„Und du begleitest Betty auf den Schulball?", ich zwinkere ihm zu, „wie süß."

„Sie haben dich auch eingeladen, stimmts?", er kratzt sich an seiner Mütze, „ich kann Betty einfach nichts abschlagen, aber kannst du dir mich im Anzug vorstellen?"

„Nicht wirklich", lache ich. Die einzige Umstellung, die ich zu ertragen bereit war, war Jug plötzlich in der Lederjacke zu sehen. Ich hänge an seiner Kronen-Mütze und dem lässigen Stil.

Ein Knall. Dann Polizisten, die sich zähnefletschenden Hunde an gespannten Leinen durch den Flur voller schockierter Schüler führen lassen. Panik bricht aus. Es wird laut und ebenso unübersichtlich. Einige versuchen, zu fliehen, aber sie werden von Polizisten gepackt und unsanft gegen die Spintwand gedrückt. Mittendrin Sheriff Keller. Es geht alles viel zu schnell, um den Überblick zu bewahren. Jug greift nach meiner Hand.

„Wir verschwinden!"
Ich bin zu perplex, um mich dagegen zu wehren. Ich stolpere ihm hinterher. Er zerrt mich weg von den wild durcheinanderschreienden Schülern. Rüttelt an Türklingen. Schubst andere Flüchtende unsanft aus dem Weg.

Als ich Sweet Pea sehe, ist es schon zu spät. Ein Officer hat ihn an seiner Jacke gepackt und drückt seinen Kopf gegen einen Spint. Er schlägt mit seiner Faust wieder und wieder gegen die schmalen Metallschränke. Das Wummern übertönt das Schreien.

„Du kannst ihm nicht helfen!", schreit Jug mich an. Dann findet er eine offene Tür. Der Chemieraum.

„Aus dem Fenster", weist er mich an.
Du kannst nicht einfach aus dem Fenster klettern und ihn im Stich lassen. Andererseits kannst du auch nichts gegen die Polizei ausrichten. Jug öffnet eines der riesigen Fenster und schaut hinaus.

„Ist nicht hoch", sagt er. Entschlossen erklimmt er die Fensterbank und springt hinaus. Ich folge ihm weitaus weniger beherzt.

„Was suchen die?", frage ich, als ich neben ihm lande. Jughead sieht mich an, als hätte ich die blödeste Frage aller Zeiten gestellt.

„Drogen natürlich", antwortet er, „was sonst?"

„Sweet Pea hat nichts mit Drogen zu tun! Das wüsste ich."

„Kannst du dir das auch weiter einreden während wir hier abhauen?", fragt er ungeduldig, „die nehmen jeden mit, den sie in die Finger kriegen."

Wir laufen über die Wiese, die irgendwann mal sowas wie ein Sportplatz gewesen ist. Er hat nichts mit Drogen zu tun. Die Serpents haben nichts mit Drogen zu tun. Ein paar schwarze Schafe vielleicht, aber ... Das ist ein Gerücht, dass sich hartnäckig hält. Besonders auf der Northside. Aber ich weiß, dass es nur ein Gerücht ist. Und das Sweet Pea ...

Die Wahrheit über Greta.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt