Familienbande

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Die Fahrt verbringe ich damit, darüber nachzudenken, wer mich verraten hat. Sweet Pea? Aus Rache? Eher nicht. Er mag abgebrüht sein, aber er würde nicht zur Polizei gehen. Jughead, um mich vor mir selbst zu bewahren? Das wäre zumindest ein echter Jughead-Move, aber auch er würde, so wie ich, erst zu FP gehen. Das Police Department von Riverdale zählt nicht gerade als Freund und Helfer der Serpents. 

Sheriff Keller führt mich in einen fensterlosen Verhörraum. Ich bin hier schon gewesen. Als Kind. Oft habe ich ihm gegenübergesessen, an einem Strohhalm genuckelt, der aus einer Saftpackung ragte und brav den Kopf geschüttelt, wenn ich gefragt wurde, ob mein Vater mich schlägt. Er hat mir so oft eingebläut, dass mir niemand glauben würde, dass ich es nie hinterfragte. Ich wollte mich nicht in noch größere Schwierigkeiten bringen und ich wollte keinen Northsidern vertrauen. Man hat uns schon als Kinder eingebläut, dass sie nicht unsere Freunde sein könnten. 

„Setz dich", Sheriff Keller deutet auf einen Stuhl. Ich nehme Platz. Sagen Sie mir bitte endlich, warum ich hier bin. Er rückt sich seinen Stuhl zurecht und setzt sich ebenfalls. Er sieht mich eine Minute lang an, ehe er mich aufklärt.

„Heute Abend gab es eine Prügelei auf der Sweetwater Brücke", sagt er, "was weißt du darüber, Greta?"

Ich beiße mir auf die Zunge.

„Mir wurde von einer Waffe berichtet", sagt Sheriff Keller und lehnt sich zurück, „einer Waffe, mit der du in die Luft geschossen haben sollst."

Wer? Wer würde mich verraten? Archie? Nein. Damit würde er sich am Ende nur selbst schaden.

„Wie kommen Sie darauf?", frage ich.

„Ich gehe nur einem anonymen Hinweis nach."

Ich halte seinem durchdringenden Blick stand. 

„Greta, ich kenne deine Vergangenheit. Und ich will dich hier nicht länger festhalten als nötig. Machen wir es uns nicht unnötig schwer."

„Sie haben mir nie geholfen."

Darauf kann er nichts erwidern. 

In den nächsten zwei Stunden wiederholt Sheriff Keller immer wieder dieselben Fragen. Und ich weigere mich, ihm zu antworten. Dieses Verhör findet auf keinerlei rechtlicher Grundlage statt. Ich habe weder einen Erziehungsberechtigten, noch habe ich einen Anwalt. Selbst wenn ich gestehen würde, könnte er es wohl nie gegen mich verwenden.

Als er aus dem Raum gerufen wird, entspanne ich meine Schultern. Ich habe Hunger und ich muss pinkeln, aber ich bin zu stur, um es nicht auzusitzen.

Als die Tür wieder aufgeht, sieht Sheriff Keller noch weniger erfreut aus als zuvor.

„Jemand ist hier, um dich abzuholen", verkündet er. Ich erhebe mich. FP. Endlich. Hat ja auch lange genug gedauert. Doch hinter Sheriff Keller betritt nicht Jugheads Vater den kleinen Raum.

„Mrs Lodge?", ich starre sie an.  Ein sündhaft teurer Mantel, Manolos und eine Handtasche, die mir die Reparatur meines Wagens finanzieren könnte. Veronicas Mutter ist eine Erscheinung, die dieses Loch von einem Department selten zu sehen bekommt.

„Hermione. Bitte", sie streicht ihr glänzendes schwarzes Haar zurück. Ich runzle verwirrt die Stirn.

„Ich habe dafür gesorgt, dass man dich nicht länger festhält", erklärt sie mir sachlich, aber dennoch freundlich, „meine Tochter hat mich darüber informiert, dass du verhaftet worden bist. Selbstverständlich ohne jegliche Grundlage."

Die letzten Worte sagt sie über die Schulter hinweg zu Sheriff Keller. Sie reicht mir dicke Strickjacke, die ich sofort überstreife. 

„Ich komme auf dich zurück, Greta", sagt der Sheriff zum Abschied, als ich hinter Veronicas Mum den Flur hinunter und aus dem Gebäude gehe. Draußen bleibt sie stehen und lächelt mich an.

„Warum haben Sie das getan?", frage ich verwirrt.

„Du bist meiner Tochter eine gute Freundin."

Ich erkenne, wenn mir jemand etwas verschweigt und Veronicas Mutter verschweigt definitiv etwas. Das war weniger Nächstenliebe als Eigennutz. Ich verstehe nur nicht, weshalb.

„Warum sind Sie wirklich hier?"

Ohne weiter darauf einzugehen, bietet sie an, mich mit zu sich zu nehmen und FP Bescheid zu geben. Ich stimme zu. 

Nach einer heißen Dusche und einem Sandwich fühle ich mich gestärkt und bereit. Mrs Lodge bittet mich in ein Zimmer, in dem während der wenigen Besuche bei Veronica ich noch nie gewesen bin. Es ist ein eindrucksvolles Arbeitszimmer. Wie alles andere in diesem Haus ist es geschmackvoll eingerichtet und strotzt nur so vor edelen Antiquitäten. Ich setze mich vorsichtig auf einen der dunkelbraunen Ledersessel und warte darauf, dass sie mich endlich aufklärt.

„Ich sollte dir das vermutlich nicht ohne die Anwesenheit eines ... des Menschen erzählen, der dir die Wahrheit schon vor langer Zeit hätte sagen sollen."

Das hört sich ernst an. Sehr ernst. Unbehaglich blicke ich im Raum umher. Hermione räuspert sich.

„FP wird bald hier sein", gesteht sie mir, „es ist an der Zeit."

„An der Zeit wofür?", frage ich. Wie immer, wenn ich keinen klaren Gedanken mehr fassen kann, wird mir schlecht. Die Zeit verstreicht langsam. FP lässt sich Zeit. Als er da ist, wirkt er in diesem Zimmer noch fremder als ich. 

„Dir geht's gut", er rauft sich die Haare, „ich habe versucht, Jughead zu erreichen oder einen Anwalt. Hermione war schneller. Es tut mir leid."

„Schon gut", nuschle ich. Das erste Mal, seit ich FP kenne, meine ich, etwas wie Nervosität in seinem Gesicht zu erahnen. Er versucht, es zu verstecken, doch er ist aufgeregt. 

„Möchtest du ...?", Hermione macht eine auffordernde Geste in meine Richtung.

„Greta", FP sucht meinen Blick, „wir haben immer nur das Beste für dich gewollt."

Ich verstehe nicht, was er meint. Wer ist wir? Ja, er hat sein Möglichstes getan, mir die wenigen positiven Kindheitserinnerungen zu ermöglichen, an die ich mich klammere, während die Dunkelheit Überhand nimmt. Aber wir? Falls er von meinem Vater spricht, kann das nur ein schlechter Scherz sein.

„Als du noch sehr klein warst", fährt Hermione fort, „haben Hiram und ich versucht, ein Kind zu bekommen. Es hat nicht funktioniert. Das war einige Monate bevor ich das Glück hatte, mit Veronica schwanger zu werden. Damals spielten wir mit dem Gedanken, ein Kind zu adoptieren. Und über einen Bekannten erfuhren wir von dir. Und von deinem Vater."

Wortlos starre ich sie an. Mein Mund ist staubtrocken.

„Wir wollten dich adoptieren", sagt sie, „und dein Vater war zuerst einverstanden. Er verlangte eine hohe Summe, aber er war bereit, dich dafür in unsere Obhut zu geben."

Offensichtlich hat diese  Adoption nie stattgefunden. Ich hätte ein völlig anderes Leben haben können. All das wäre niemals passiert.

„Was ist passiert?", frage ich leise.

„Er hat es sich im letzten Moment anders überlegt", sie sieht ehrlich traurig aus, „Hiram versuchte vergeblich, ihn umzustimmen. Wir haben ihm das Doppelte geboten, aber er lehnte immer wieder ab. Am Ende bedrohte er uns und wir gaben nach."

Ich sehe  fragend zu FP.

„Wir haben alles versucht", bestätigt er, „ich wollte dir ein besseres Leben ermöglichen. Ich wollte, dass du in Sicherheit bist."

Sie haben mich nicht adoptiert und ich bin trotzdem groß geworden. Ich bin erwachsen geworden, alleine zwar, aber ich bin kein schlechter Mensch. Alles, was ich wollte, war, nicht in seine Fußstapfen zu treten. 

„Ist das alles?", frage ich, "ich hätte adoptiert werden sollen, aber er hat es sich anders überlegt? Ich kann nicht sagen, dass ich überrascht bin."

FP schüttelt den Kopf. 

„Da ist noch etwas", sagt er, „es ... dein Vater hat es nie erfahren, aber du hättest es schon vor Jahren."

„Was denn?"

„Ich bin dein Vater, Greta."

Die Wahrheit über Greta.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt