Die letzte Chance

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Ich marschierte durch das hohe Gras und kam an meinem Haus vorbei. Es brannte immer noch kein Licht. Der Gedanke, dass er gerade nach Monstern wie mir suchte, ging mir nicht aus dem Kopf. Obwohl ich fest daran glaubte, dass nur noch eine Person oder vielleicht auch sogar zwei Personen Wache halten, um nach mehr Bestien Ausschau zu halten. Doch dies schreckte mich nicht ab, ich hatte meine Mission und wollte meine Freunde retten. Als ich die kleine Bachbrücke überquerte, sah ich ein Licht, welches gar nicht so weit weg von mir war. Es war Alto der Wache hielt. Er kam direkt auf mich zu. Ich drehte mich um und wollte umkehren, um einen anderen Weg einzuschlagen, doch da kam schon ein anderes Licht auf mich zu. Quil. Das könnte böse ausgehen, wenn mir nicht bald etwas einfallen würde. Ohne lange nachzudenken stieg ich von der Brücke ins seichte, flache Bächlein. Von dort aus kroch ich unter die Brücke. Hier war es eng und ich bekam schlecht Luft. Ich hörte Schritte auf der Brücke. „Ich geh jetzt Heim. Jonna wartet auf mich.“ Das war Alto.

„Habe ich gerade auch schon überlegt. Eufemia macht sich sicher Sorgen um mich. Aber was ist, wenn wieder Monster auftauchen?“, Siwan klang etwas ängstlich.

„Ach alter Mann, das einzige Monster, das in den letzten Tagen hier aufgekreuzt ist, haben wir vorhin getötet. Es wird sicher nichts passieren. Der Schuppen ist abgeschlossen, also können die Schwerter nicht gestohlen werden. Die restlichen Kinder sind auch in Sicherheit. Also, sag mir bitte, was in dieser Nacht noch passieren soll.“

„Hmm, du hast vermutlich Recht. Ok. Na dann gehe ich jetzt zu meiner Frau. Sie braucht mich, jetzt, da die Kinder weg sind“, entschloss sich Siwan.

„Ich gehe noch einmal rüber zu Inka und Tobit. Inka ist total neben der Spur. Wegen Kira. Mal schauen, was  die Zukunft bringt. Ich hoffe nur Gutes.“ Quil schien es genauso zu sehen.

„Ja, das hoffe ich auch. Also gut, bis morgen mein Guter.“ Ich hörte, wie er ihm auf die Schulter klopfte. „Bis morgen, und grüß Inka lieb von mir. Ich sehe sie ja nicht mehr, da sie nicht mehr aus dem Haus geht. Schade ist das.“ Quil nickte nur und ging dann. Siwan dagegen sah sich noch mal um und ging dann in die Richtung seines Hauses. „Die Luft ist rein“, flüsterte Diltya mit einem scharfen Unterton. Vorsichtig kroch ich wieder heraus und schnupperte in der Luft, um mich zu vergewissern, dass es auch stimmte. Ich stieg auf die Brücke und schüttelte mich. Ich war komplett durchnässt und der Boden war weich. Das erschwerte mir das Laufen. Zusätzlich kam noch das nasse Fell, welches durch das Wasser noch schwerer war. Diltya wog ja nichts. „So, auf zum Schuppen!“, Diltya wirkte verkrampft, als würde sie ahnen, dass irgendetwas schiefgehen würde. Doch ich war mir sicher, dass diesmal Alles klappt. Ich ging bergauf Richtung Weide zum Schuppen. Ich schlich an meinem Lieblingsbaum vorbei. Damals sind Focko und ich immer auf ihm herumgeklettert. Und auf diesem Baum sind wir erst richtig Freunde geworden, da ich beinahe heruntergestürzt wäre. Hätte er mich nicht festgehalten und wieder hochgezogen, hätte ich mich wirklich stark verletzten können. Das waren noch Zeiten. Unsere Mütter lebten zu diesem Zeitpunkt noch. Weder Monster noch Bösewichte herrschten über unser Land. Ich war kein Tier und hatte damals noch keine Probleme. Als ich vorbeigegangen war, konnte ich den Schuppen schon sehen. Ich trabte zufrieden vor die Tür und schnupperte jede Ecke ab. Nichts. Es gab keinen Weg hinein. Ich ging herum. Ein Holzstapel lag daneben. Diltya sprang von meinem Rücken und klopfte auf das Holz. Mit einem Tritt fiel ein Holzteil herunter und rollte in Richtung Dorfzentrum. Doch bevor es weiterrollen konnte, wurde es von einem Stein aufgehalten. Mürrisch schaute Diltya  mich an. Mit meiner Tatze schob ich die einzelnen Holzstücke leise zur Seite. Nachdem ich das letzte Holzstück entfernte, konnte ich lockeren, weichen Boden sehen. Es roch nicht gerade gut, aber ich ignorierte den Geruch. Mein Instinkt befiel mir, mich durchzubuddeln und dies tat ich auch. Meine schweren Pfoten gruben sich in die feine Erde und schleuderten sie fort. Ich grub so lange weiter, bis ich hindurchschlüpfen konnte. Im Schuppen schüttelte ich mein nasses und schmutziges Fell ab, danach schaute ich mich um. „Wunderbar. Wir haben es geschafft. Jetzt musst du nur noch das Schwert finden und es mitnehmen, ich werde es dir umhängen damit du es tragen kannst“, Diltya flüsterte in einem schnellen Ton. „Ja ok. Ich glaube, ich habe es schon!“, ich fand ein Schwert mit einer hübschen Gravur. Kira stand darauf. „Das ist es. Diltya, ich habe es. Wir können wieder gehen und den Schild holen“, langsam machte es mir Spaß. „Diltya nahm das Schwert in die Hand. Sie musterte es vom Griff bis zur Spitze. Ohne, dass man es hätte vorhersehen können, holte sie aus und schlug nach mir. Ich duckte mich aus Reflex und konnte ihrem Angriff ausweichen. „Fein!“, murmelte sie und legte mir das Schwert um. Ich krabbelte wieder hinaus und lief zurück zum Bach. Da ich so schmutzig war, wusch ich mich schnell, damit ich keine Dreckspuren hinterlassen könnte. Diltya drängelte etwas. Mir blieb nichts anderes übrig, als mich vom warmen Wasser zu verabschieden. Nass triefend taumelte ich zum Haus des Bürgermeisters, in dem sich der Schild befand, worüber die Männer gesprochen hatten. „Hier findest du keinen Weg von unten“, sagte Diltya durch ihre zusammengebissenen Zähne. Es klang mehr wie ein Zischen. Ich sah einige Steine und ein offenes Fenster. Es führte zu Fockos Zimmer. Ich schüttelte meine Füße etwas, denn Sand hing zwischen meinen Zehen. Das große Haus aus Holz und Lehm hatte ein lilafarbenes Dach aus gefärbten, flachen Steinen. Über der Tür hing ein Ziegengeweih. Im Dunkeln wirkte es bedrohlich, doch es hing ganz still über der hölzernen Tür. Ich konzentrierte mich auf das Dach, auf das ich springen wollte. Diltya streichelte behutsam meinen Kopf. „Das schaffst du schon Kira“, es klang viel mehr nach einem gekicherten Gelächter, aber es sollte nett klingen. Sie lachte und stieg von mir ab. Leichfüßig schwebte sie schnell auf das Dach und winkte mich zu sich. Meine Knie zitterten. Es war mein erster Sprung, den ich alleine bewältigen musste. Vorsichtig stieg ich auf den, im Gegensatz zum Haus, kleinen Felsen. Ich ging wieder in die Sprungposition. Mein Hinterteil berührte fast den noch von der Sonne aufgewärmten Stein. Meine Konzentration gehörte gerade nur dem Dach. Ich wollte meine Anspannung gerade lösen, als plötzlich ein Scheppern im Haus zu hören war. Die Tür knallte auf. Focko stand mit dem Rücken zu mir und schrie seinen Vater an. Ich war gerade in Begriff zu springen, erstarrte dann aber. „Vater! Wie kannst du so etwas sagen? Ich werde sie nie vergessen. Verstehst du es nicht? Hast du noch nie jemanden geliebt? Wie kannst du nur so kalt sein? Ich versteh überhaupt nicht, warum gerade du Bürgermeister bist. Hat Mutters Tod dir nicht die Augen geöffnet? Ich fass’ es nicht. Unglaublich!"

Tario war stocksauer. „Wie kannst du es wagen mich, deinen Vater und Bürgermeister, so zu beleidigen? Glaubst du nicht, Mutters Tod hat mir nicht das Herz gebrochen? Natürlich habe ich sie geliebt. Und du? Was ist aus dir geworden? Du bist undankbar und nie zufrieden. Wie kann man dir werten Herren nur das Leben recht machen, hmm? Und ich will doch nur dein Bestes. Deshalb sollst du sie vergessen. Verstehst du denn nicht? Kira ist tot!“ Fockos Gesicht war trotz der Dunkelheit rot wie Blut. „NEIN! Sie ist nicht tot. Das spüre ich. Und ich werde es dir beweisen!“, er war fest entschlossen. „Junger Mann! Du wirst mir gar nichts beweisen, außer dass du dafür geeignet bist, dieses Dorf zu führen! Hast du das verstanden?“ Focko antwortete nicht. „Ob du mich verstanden hast?!“ Tario platze vor Wut. Doch Focko bemerkte es kaum. Er war selbst auf 180. Seine letzte Reaktion brach die Mauer zwischen den beiden Männern. Focko hielt seine geballte Faust hoch und zeigte seinem eigenen Vater den Mittelfinger. Der wütende Sohn knallte die Tür hinter sich zu und drehte sich um. Der Knall erschreckte mich so doll, dass ich aus Reflex aufs Dach gesprungen bin. Allerdings gab es ein Problem. Da meine Konzentration versagt hat und ich spontan gesprungen war, hing ich nun am Dach, meine Vorderbeine krallten sich an die Dachziegel, doch ich rutschte immer wieder ab. Mit meinen Hinterläufen versuchte ich mich hoch zu schwingen, aber es wollte mir einfach nicht gelingen. Die Angst, entdeckt zu werden, stand in Diltyas Gesicht geschrieben. Sie schwebte wie eine Elfe zu mir und hielt mich an der rechten Pfote. Focko setzte sich auf den Stein, von dem ich gesprungen war. Mein Schwanz taumelte wenige Fäuste über ihm. Ich schaute hinab und versuchte meinen Schwanz unter Kontrolle zu halten. Ich klemmte ihn einfach zwischen meine Beine und stütze mich mit meinen Hinterbeinen an der Hauswand mit der Angst, meine Krallen könnten ein Kratzen hervorrufen, ab. Mit einem Ruck zog mich Diltya hoch. Sie schnaubte wie eine Ziege, die einen schlechten Tag hatte. „Diltya, vielen…“, wollte ich mich bedanken, doch sie drehte sich einfach um und ignorierte mich. ‚Dann halt nicht’, dacht ich mir. Ich schaute nach unten. Focko war nicht mehr da. Mein Blick pendelte zur Weide und dem Schuppen. Mein Atem stockte, als ich einen Jungen Richtung Schuppen laufen sah.

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