Das Böse in mir

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 Nur ihre Puppe…, ging es mir durch den Kopf. Und das lässt du mit dir machen? Diese Worte hallten in meinem Kopf wie eine kleine Stimme in einem riesigen Raum. Nein! Ich glaube nicht, dass ich mit mir selber sprach, doch es hörte sich an, als würde wirklich jemand mit mir sprechen. Und wo gedenkst du jetzt hinzugehen?

 Wow, langsam glaubte ich, ich wurde verrückt, vor allem dann, als ich mir antwortete. Aber wen wunderte das. Ich war in einen Wolf verwandelt, verwandle mich sofort zurück in Einen, wenn ich in Schattennebel komme und habe jetzt eine bestimmt schon zig Mal getragene Kleidung und habe plötzlich die Verantwortung eines ganzen Königreiches inklusive meiner Familie. Natürlich war ich durchgeknallt. Oder noch im Schlaf. 

Keine Ahnung, sag du es mir!

Hast du denn keinen eigenen Kopf? Ich verdrehte die Augen.

Komischerweise teilen wir uns einen.

Mensch, du bist echt schlau.

Darf ich verbessern? Wolf, du bist echt schlau. Das gab mir den letzten Kick. Es reichte.

HÖR AUF MIT MIR ZU SPRECHEN!

Okay…

In meinem Kopf schrie ich mich selbst an, ich schrie meine Gedanken an. Ich bin tatsächlich verrückt.

Das mit dem Wolfsdasein war bestimmt nur ein blöder Traum. Ein Traum, nichts weiter… ich versuchte es mir immernoch einzureden. Doch ich konnte mich leider an jedes Detail erinnern. Ohne zu wissen, was ich da wollte, lief ich Richtung Brücke. Nein, in Richtung Schattenwelt. Das gleichmäßige Geräusch meiner Schritte harmonierte perfekt zu dem meines Atems. Er war ruhig und gelassen. Nur etwas zittrig. Plötzlich ertönte diese eine Stimme, die ich gerade nicht hören wollte. „Ach, da gibt es noch etwas, was du wissen solltest“, sie schien direkt neben mir zu schweben, doch ich bemerkte, dass sie wieder mit meinem großen Schatten verschmolzen war. Sie ging mir buchstäblich auf den Zeiger. Sie kicherte nur. „Und was?“, knurrte ich. „Oh, machen wir jetzt Einen auf böse?“ „Und was?“, knurrte ich noch energischer. „Nun ja, du kannst nicht als Menschengestalt in der Schattenwelt rumlaufen.“ Ich sagte nichts dazu. „Das heißt, dass du, sobald ich dich durch das große Portal gezogen habe, dass du dich schnurstracks in einen Wolf verwandeln wirst.“ „Ah ja. Da also auch nicht.“ Ich war immer noch sauer. „Willst du lieber ohne mich gehen?“ „Wäre mir lieber“, ich nahm gerade keine Rücksicht auf ihre Gefühle, falls sie überhaupt welche besaß. Sie kicherte nur. „Was gibt’s da zu lachen“ Sie brachte mich in den Wahnsinn. Du kannst nicht ohne ein Schattenwesen in die Schattenwelt eindringen. Ich muss dich quasi da hinein ziehen.“ „Ich dachte ich bin ein Schattenwesen?“ „Ehm, ja. Das bist du ja auch. Aber du musst das mal so sehen. Ich wäre in diesem Fall einen Rang höher als du“ Bei dem Wort Rang hörte ich auf zu atmen. „Und du bist eher, ein halbes Schattenwesen.“ Ich fand wieder Sauerstoff. „Ein halbes Schattenwesen? Wie darf man das wieder verstehen?“ Ich war wieder leicht genervt. „Hmmm… Kann ich mich in einen… Mensch verwandeln?“ Sie sprach das Wort Mensch mit einem gewissen Ekeleffekt aus. Ich blieb stehen und starrte auf meinen Schatten. „Ehm…nein?“ Diese Antwort klang eher wie eine Frage. Um mich herum standen die grünen Bäume, die bunten Blumen und Schmetterlinge flogen umher. Farbe. Ich hab's vermisst. Aber zu meiner Überraschung stellte ich fest, dass kein einziger Vogel eines seiner lieblichen Lieder sang. Ich schaute leicht nach oben und versuchte mit meiner Nase etwas aufzuspüren. Ich genoss es, zur Hälfte ein Wolf zu sein. So hatte ich immer meine Spürnase parat. Ich konnte jedoch kein einziges Federvieh erschnüffeln. „Bist du jetzt fertig, Spürnase?“ „Ja!“ „Verstehst du es? Ich bin also dein Chef…oder so in der Art“ „Mein Chef?! Kann ich Kündigen?“ „Mit gewissen Verlusten? Ja klar, warum nicht?“ „Grmpf..", gab ich genervt zurück und ging weiter. Diltya lachte und stieß mir in die Seite. „Wollen wir?“ Versuchte sie menschlich und übernatürlich freundlich mit einem lustigen Gesicht. Ich seufzte, musste aber lachen und schubste Diltya. Wir lachten beide. „So los jetzt“, stieß ich hervor und rannte zur Brücke. Sie war lang. So lang, dass das Ende kaum sichtbar war. Mein Herz schlug schneller, meine Beine zitterten. Es war ja nicht einfach irgendeine Brücke. Es war eine unendlich lange Hängebrücke. Man hätte sicher einen stundenlangen freien Fall, wenn diese Brücke reißen sollte. Okay, dachte ich, es ist nur eine Brücke, du schaffst das schon. 

Warum rede ich wieder mit mir?

Warum antwortest du mir?, fragte mein inneres Ich.

Du nervst mich.

Ich hab dich auch lieb.

Ich seufzte und gab es auf. Vermutlich war mein inneres Ich mein sogenanntes Gegenteil. Während ich überlegte, wie ich meine Selbstgespräche einstellen konnte, durchkreuzte ein Geheul meine Gedanken. Ich zuckte zusammen. Erschrocken sah ich Diltya an. Ungläubig sah sie sich um. Mein Blick war auf ihre Reaktionen geheftet. Ich konnte meine Augen nicht von ihr nehmen. Mit einem hasserfüllten Blick sah sie mich an. „Wir müssen rüber! Sofort!“ Kaum hatte sie das gesagt, war sie schon in der Mitte der Brücke. “War…“ Meine Worte verhedderten sich in meinem Hals und wurden zu einem fetten Kloß. Ich versuchte ihn runterzuschlucken, doch es war unmöglich. Dieser Kloß saß fest und löste sich kein bisschen. Nun geh du Angsthase!, mein Kopf meldete sich unangemessener Weise wieder.

Lass mich, ich gehe doch schon!

Na das hoffe ich. Aber was will man schon von einem Menschen erwarten.

Mein inneres Ich lachte.

Wie meinst du das? Ich bin ein halbes Schattenwesen. Kein richtiger Mensch. Ich versuchte zu verstehen.

Nein, DU bist der Mensch, Ich das Schattenwesen. Ich bin das Böse in dir. Das, was dich zum Schatten macht. Dein Schatten.

Ängstlich starrte ich meinen Schatten an.

Ohne dass ich mich bewegte, verwandelte er sich in einen Wolf.

Du… bist der Wolf in mir?

Ja, ich bin das, was töten will. Das, was fressen will, das was Macht will. Ich bin all das, was dir nicht in den Sinn kommen würde.

Ich bin mächtiger als du.

Nein. Mein Ich lachte. Ich bin du, du bist ich. Noch sind wir getrennt, doch schon bald sind wir eins. Du wirst lernen. Dich selbst kennen zu lernen. Und jetzt geh!

Ich starrte immer noch zu meinem Schatten, welches sich, ohne dass ich es wusste, zurückverwandelt hat.  Ich schüttelte abwehrend den Kopf. Langsam setzte ich einen Fuß auf das alte Holz. Sofort sank diese Stelle tief nach unten. Diltya war schon auf der anderen Seite und lag an einem Stein. Die Brücke knarrte bedenklich. Sie war wackelig und doch stabil. Die festen Seile sahen neu aus. Doch als ich in der Mitte stand und nach unten schaute, graute es mich. Die Brücke schaukelte hin und her. Unter mir sah ich wiederum kein Ende. Nebel verdeckte den Grund. Ich schloss meine Augen. Wenn ich fallen würde…wie lange wäre mein freier Fall…würde ich schreien? All diese Fragen gingen mir durch den Kopf und ich  wusste keine Antwort- wie immer. Als ich meine Augen wieder öffnete, stand Diltya direkt vor mir und ich sah hinter mir die Brücke. Ich hatte festen Boden unter den Füßen. „Puh“, meine Erleichterung war deutlich zu hören. „Mann, ich dachte schon, du würdest es nie schaffen. Hast du denn vergessen, dass wir vor Sonnenaufgang ins Schattenreich zurückkehren müssen?“ Sie verdrehte die Augen. Ich sah jetzt zum ersten Mal in den Himmel. Ich hatte nicht mitbekommen, dass es Nacht geworden war. Die kleinen Sterne am Himmel schienen sehr hell. Fast musste ich meine Augen zukneifen. Mein Atem stockte, als ich den Mond betrachtete. Diese runde Form. Es war fast Vollmond. Vielleicht noch eine oder zwei Nächte. Diese gar perfekte Rundung beeindruckte mich zutiefst. Ich starrte lange in den Himmel. Obwohl es Nacht war, schien der Morgengrauen nicht weit. Der Mond war nur schwach zu erkennen, denn die Sonne nahm ihm die Leuchtkraft wieder ab. Mein Atem ging wieder gleichmäßig als ich freudestrahlend Diltya in die Augen sah. Ihre orangfarbigen, roten Augen blitzen mich an. „Bist du endlich fertig mit deinem Herumgaffen?“ „Ja Diltya.“ „Öhm… Na ja, ich habe so etwas noch nie gemacht. Bist du bereit?“ Plötzlich wirkte sie so unsicher, dass ich lächeln musste. „Ehm… Ja, ich glaube schon.“ „Falls ich dir wehtue, tut es mir sehr leid. Und wenn ich dich zerdrücke, nimm es mir nicht übel.“ „Schon in Ordnung, ich verzeihe dir im Voraus.“ Es klang selbstbewusst, aber ich hatte eine riesen Angst. Ich wusste weder, was mich vor derm Übergang noch nach dem Übergang erwartete. Und ob ich den Übergang überhaupt überlebte. „Danke!“ sagte sie schroff. „Aber immer doch“, sagte ich im selben schroffen Ton wie sie. Nun lächelte Diltya auch wieder und flog voraus. Ich lief ihr hinterher.

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