Fragen und keine Antworten

372 27 0
                                    

Um uns herum waren nur Berge. Ein kleiner Felsspalt führte uns zur Tyrollusebene. Ich stolzierte Diltya hinterher. Wieder flog sie um die Ecke. Bevor ich die Ecke passierte, sah ich Licht, welches gelb schimmerte.  Als ich um die Ecke linste war Diltya unauffindbar. Ich ging langsam auf das riesige gelb-goldene Schild zu. Meine Schritte verlangsamten sich und mein Blick musterte die komplette Wand von Mustern und Zeichen. Zeichen die ich noch nie gesehen habe. Voller Erfurcht und Staunen, stand ich mit offenem Mund und leicht zugekniffenen Augen vor diesem Portal. Als sich meine Augen an das Licht gewöhnt hatten, und ich genauer hinsah, sah das Schild aus wie ein Strudel. Am ende des Strudels stand eine spinnenartige Gestalt. Sie wirkte riesig, hatte acht Arme und der Kopf erinnerte mich an diese Kopfbedeckung, die Diltya immer trug. Moment… es war die Kopfbe… Meine Gedanken konnte ich nicht zu Ende führen, denn eine große Hand kam aus dem Strudel und schnappte nach mir. „Tut mir leid“, ertönte aus dem Strudel. Ich hielt still. Ein leichter Druck beruhte an meinem Körper. Meine Arme wurden nur etwas stark an meine Brust gedrückt, es war nun doch etwas schmerzhaft, aber ich wusste nicht, wie lange das noch so gehen sollte. Falls es nicht so lange dauernd würde, würde ich es nicht schlimm finden. Es war nicht einmal ein Augenblick und ich befand mich an einem Ort, der von schwarzen Quadraten gequält wurde. Es war so still, dass es mich fast verrückt machte. Alles war schwarz-weiß. Ich sah Diltya am Boden liegen. Aber bevor ich aufstand, sah ich mich in Ruhe um, denn Diltya ging es gut, sie atmete ruhig. Mir war verdammt übel, aber sonst hatte ich diese Reise gut überstanden. Jetzt erst merkte ich, dass etwas Schweres auf mir lag. Ich blickte auf meinen Körper. 

Ach nein, dass ist ja mein Fell. Die Umstellung von Mensch zu Wolf, war etwas irreführend, doch jetzt wurde mir auch klar, warum alles schwarz-weiß war. Ich versuchte aufzustehen- mit Erfolg.

Langsam stemmte ich mein Gewicht auf meinen vorderen Rumpf, setzte die Hinterpfoten in die richtige Position und hob meinen restlichen Körper nach oben.  Mein ebenholzschwarzes, zottiges Fell glänzte. Meine elfenbeinweißen Muster hoben sich deutlich von dem Schwarz ab. Langsam verscheuchte die Sonne die Nacht, doch es waren keine Vögel zu hören. Nur das Rauschen eines Baches, der hier in der Nähe zu sein schien. Ich schüttelte mich und ging mit wedelndem Schweif auf Diltya zu. Mittlerweile saß sie und schaute sich um, während sie ein kleines Blümchen in der Hand hielt. Freudig ließ ich meine Zunge heraushängen und hechelte laut. Diltya lächelte mich fröhlich an und streichelte mich. „Ja, als Wolf gefällst du mir besser, jetzt laberst du wenigstens nicht mehr so viel“, sie lachte. Ich stieß ein keuchendes Bellen hervor, welches mein wölfisches Lachen ist. So viel habe ich als Mensch nun auch nicht gesagt, widersprach ich. Die Blume, die sie in der Hand hielt war schneeweiß und schimmerte leicht in den morgendlichen Sonnenstrahlen. "...aber genug!". Diltya stand ohne Mühe auf und steckte mir die Blume neben mein Ohr, durch mein Fell hielt sie fest. „Sie passt zu deiner Seele… und deinem Muster“, lachte Diltya. Wieder keuchte ich. Mit einem Schwung saß sie auf meinem Rücken und krallte sich in mein dickes Nackenfell. Sie tritt mir leicht in die Seiten und klopfte mein rechtes Schulterblatt. „Folge deinem Gehör, auf zur Brücke.“ Ich überlegte kurz, wie ich eine Brücke hören konnte, doch dann erinnerte ich mich an das Rauschen des Baches und mir wurde klar, dass sie nur das meinen konnte. Ich setzte zum Laufen an, doch wieder ertönte ein Geheul, welches eindeutig nicht von mir stammen konnte. Ich bin es nicht, Diltya! „Weiß ich doch, du jaulst in höheren Oktaven. Außerdem musst du deinen Kopf in den Nacken legen, denn sonst kannst du nicht heulen“ Wow, du weißt mehr über mein Geheul als ich selbst. „Na ja, ist halt so. Aber wir müssen herausfinden, wer heult.“ Ich schauderte bei dem Gedanken, dass es noch einen anderen Wolf geben würde. Ist es ein Wolf? „Nein, eine Ente“, sagte sie ernst. Achso. Mich gruselte es, wenn ich an heulende Enten dachte. Wer weiß schon, wie groß die Dinger sind. Hier war ja mittlerweile alles möglich.

„Natürlich sind es Wölfe, nur eigentlich dürfte es keine Wölfe mehr geben. Sie sollten längst vernichtet sein“, zischte sie durch ihre zusammengebissenen Zähne. Mir wurde nicht ganz klar, was sie mit vernichten meinte, aber ich wollte nicht fragen, ärgerte mich stattdessen, dass ich auf ihre Ironie hereingefallen war. Wieder hatte ich so viele Fragen, doch keine Antwort. Während ich die ganze Zeit überlegte, hatte ich wieder mal nicht mitbekommen, dass ich mein Ziel erreicht hatte. „Gut“, murmelte Diltya, „Nun müssen wir über diese Brücke und zum Schloss Tyrollus. Ich muss dir jemanden vorstellen.“ Hmmm… Diltya sagte nichts. Stattdessen ertönte wieder dieses klägliche Heulen. Es war überall. Das Echo stieß sich von jedem Berg ab. Ein Schauer lief mir eiskalt den Rücken entlang. Selbst Diltya hielt sich die Ohren zu. „Das ist ja nicht auszuhalten. Diese Töle ist ja nerviger als du in Menschengestalt.“ Ich knurrte. Ich fand es sehr gemein und weigerte mich weiter zulaufen. Doch mir wurde bewusst, dass es nichts bringen würde, also lief ich in die Richtung aus der das Rauschen des Baches kam. Der Mond war verschwunden, und mit ihm das Geheul. Erst jetzt war mir bewusst, dass es noch gar nicht hell war und meine sogenannten Sonnenstrahlen das Licht des Mondes waren. Jetzt aber dämmerte es.  Ich sah mich um. Die wenigen Bäume in der Ebene warfen einen kleinen Schatten. Noch war es sehr kühl, doch ich wusste, sobald die Sonne hoch stand, würde ich den Schatten bevorzugen. Den Schatten bevorzugen. Den Schatten bevorzugen. Schatten. Auch wenn diese Worte von einem ganz normalen Menschen stammen könnten, lösten sie in mir eine Katastrophe aus. Diltya sagte, ich sei ein Schattenwesen. Zumindest zur Hälfte. Eine gute Eigenschaft von mir ist, dass ich lange denke und alles um mich herum abschalte. Denn schon wieder habe ich es nicht mitbekommen, dass ich schon über die Brücke gelaufen war und durch eine enge Felsspalte laufe. Genauso wenig habe ich mitbekommen, dass Diltya mir die ganze Zeit über etwas erzählt. „…ich hoffe, du verstehst das…nur, dass du darauf vorbereitet bist“, sagte Diltya leicht angespannt. Öhm, ja klar. „Ich bin gespannt, was Prinzessin Loana von dir hält.“ Prinzessin Loana? Glücklicherweise hatte sie mich nicht gehört. Da ich nicht genau wusste, was ich bei Prinzessin Loana machen sollte, hatte ich es nicht eilig zum Schloss zu kommen. Zu diesem Zeitpunkt wusste ich nicht, was mich noch erwarten würde. Diltya? Ist es ein anderer Wolf oder sind es mehrere? fragte ich, während ich gedankenverloren auf die grauende Ebene schaute. „Hmmm… Tut mir Leid, aber das weiß ich nicht genau. Ich vermute es wird ein Rudel sein“, Diltya schien auch in Gedanken zu sein. Ich wünschte, ich könnte ihre Gedanken lesen. Ich will dich nicht nerven, deshalb frage ich, darf ich dir einige Fragen stellen? ich drehte meinen Kopf leicht nach hinten, um ihr kurz in die Augen zu schauen. Sie erwiderte meinen Augenkontakt und nickte, sah aber wirklich unglücklich aus. Ich wusste nicht, ob ich daran Schuld war oder nicht. „Wenn es dir helfen würde. Ich kann dir aber nicht Alles erzählen. Manches wirst du schon selbst herausfinden. Und wenn nicht, dann sollst du es halt nicht wissen. Manchmal schadet es einem nicht, gewisse Dinge nicht zu wissen.“ Jetzt hatte sie mich verunsichert. Nun wollte ich eigentlich nichts mehr fragen. Ich überlegte kurz, um meine Fragen noch mal durchzugehen, damit ich auch keine vergessen würde. Wer…, meine Stimme versagte. „Weiter“, antwortete Diltya kühl. Mir lief ein kalter Schauer über den Rücken. Aber… „Ich sagte weiter!“, fuhr sie mich an. Ich ließ meine Ohren hängen, versuchte den fetten Kloß in meinem Hals herunter zu schlucken um meine nächste Frage zu stellen und überlegte. Warum… Warum bin ich die Auserwählte? „Das erfährst du von selber.“ Ich grummelte in mich hinein. Gut…Öhm… Wegen dem Rudel…Glaubst du, ich werde gegen sie kämpfen müssen? „Ja, mit Sicherheit wirst du das müssen. Schließlich bist du kein richtiges Schattenwesen. Sie werden dich sicherlich auch versuchen zu töten.“ Ich merkte, wie sie mit den Schultern zuckte. Ihre Stimme klang selbstsicher. „Aber du hast ja noch mich!“ sagte sie, obwohl es sehr entschuldigend klang. Ja, das beruhigt mich etwas. Es war wie immer, mir standen noch tausende Fragen offen. Selbst zur letzten Frage hatte ich keine richtige Antwort bekommen. Diltya murmelte etwas Unverständliches. Ich schaute nach vorne. Tyrollus war schon zu sehen.

WolfsblutWo Geschichten leben. Entdecke jetzt