Ungewollt vertraut

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Den ganzen Tag über quatsche ich mal mit dem Wolf, dann mit dem Wolf und dann wieder mit dem anderen Wolf. Wie, als müsste er mich beschützen, stand Phoenix dauernd hinter mir. Ich wusste nie recht, ob ich das gut fand oder nicht, schließlich bekam er jedes Gespräch mit. Aber je länger ich darüber nachdachte, desto weniger störte es mich, denn das, was ich den Wölfen erzählte, konnte er ja nun auch ruhig auch wissen. Jessy ging mir aus dem Weg und Mike lag meistens nur herum und schlief. Ich musste mir Mühe geben, um nicht so zu wirken, als ob ich etwas verheimlichen würde. Ich musste mir gut und schnell überlegen, für welche Antwort ich länger brauchen dürfte und welche ich schnell beantworten müsste, damit ich unauffällig blieb. Den Tag über konnte ich fast jede Frage beantworten und mein kleines Geheimnis für mich behalten. 

Dass Phoenix den ganzen Tag unmittelbar in meiner Nähe war, machte mich irgendwann nervös. Aber aus irgendeinem Grund wollte ich nicht, dass er gehen würde. 

Ich war etwas verwundert, denn wir verließen die Höhle nicht ein einziges Mal. Ich zumindest nicht, genauso wenig wie Phoenix, der mich nicht aus den Augen ließ. Lucas und Steven waren mittags raus und abends wiedergekommen, um Fleisch zu besorgen. Warum wir den Bau nicht verließen, wusste ich so genau gar nicht. Ich wusste nur, dass es gefährlich war und wir deshalb alle hier blieben. Die Wölfe wechselten sich jeden Tag ab, um alle in Form zu halten und das schien auch zu funktionieren. Sie waren ein eingespieltes Team und plötzlich kam jemand wildfremdes und versucht sich, in das System zu schleichen. Ohne Kenntnisse, ohne Hintergedanken und vor allem ohne Ziel. Ich war mir nicht sicher, wie lange ich das hier machen würde, denn meine Mission behielt ich im Hinterkopf. 

"Du willst reden?" Phoenix flüsterte wieder so leise, dass ihn niemand außer mir hören konnte. 

"Woher..?" Ich hatte wirklich mit dem Gedanken gespielt, mit ihm zu reden, es aber weder gedanklich ausgesprochen, dass wenn er so etwas wie Gedanken lesen könnte, hätte er es nicht daher wissen können und gesagt habe ich auch nicht. "Du guckst so", flüsterte er noch leiser. Meine Beine zitterten und mein Herz fing an zu rasen. Für kurze Zeit war mir auch schwummerig und musste mich stark konzentrieren, um nicht den Eindruck einer Psychopatin zu hinterlassen. Ohne, dass ich ihn ansah, wusste ich, dass er grinste. Er spürte meine Nervosität und genoss sie mit jedem Atemzug und jedem Herzschlag. Ich konnte seinen warmen Atem in meinem Nacken fühlen und spürte die Wärme die er abgab, weil er so nah an mir dranstand, mich jedoch nicht mit einem einzigen Haar berührte. "Wollen wir raus?" fragte er nun wieder im normalen Tonfall und unterbrach somit meine kleine Trance, in die ich verfallen war. "Raus? Dürfen wir das?", fragte ich ihn verwundert und sah zu Adrian und Ceasar, die sich unterhielten. "Hm, ich glaube nicht. Aber unser unterirdischer Bau ist groß genug. Wir könnten überall sein. Also?" Er legte seinen Kopf schief und sah mich mit großen, braunen, fragenden Augen an. "Na gut!", gab ich zurück und lief ihm schon hinterher.Es dauerte eine Weile, bis wir alle Abzweigungen, Kurven und Gänge passiert haben und nun vom Mondlicht begrüßt wurden. Es war schön kühl hier oben und ein leichter Wind wehte über die Ebene. Die schwarzen Quadrate schwebten weit oben im Himmel und verdeckten zum Teil die Sicht zum Mond, der so vollkommen und unberührt dort oben am Himmel hing und uns sein Licht schenkte, damit wir auch in der Nacht zu unseren Liebsten finden würden. Ich dachte an Focko und bekam ein schlechtes Gewissen. "Woran denkst du?" fragte Phoenix mich, während er sich einen Platz aussuchte, wo er sich hinsetzte und mich neben sich bat. Ich schaute zum Mond hoch und antwortete: "An den Mond. Er ist so wunderschön und vollkommen..." "...gerade heute, da Vollmond ist.", vervollständigte er meinen Satz. "Ja genau" flüsterte ich. Mittlerweile saß ich dicht neben ihm und starrte mit Phoenix zusammen zum Mond. Leise kam ein kaum hörbarer Ton aus seiner Kehle. Die Frequenz änderte er gekonnt zu einem schönen aber traurigen Lied, während er den Kopf etwas hob und die Augen schloss. Ich hatte so etwas noch nie zuvor gemacht, versuchte es aber nachzumachen. Ohne Fehler stieg ich in sein Lied ein, als würde ich es kennen und sang mit ihm leise dieses traurige Lied im Duett für den Mond, der so einsam mit den kleinen Sternen am Himmel festhing und uns jeden Abend begrüßte. Eine Träne verfing sich in meinem Fell und wurde aus ihrer schönen Form zerrissen. So wie mein Leben gerade. Alles war anders. Alles veränderte sich und alles schien plötzlich einen anderen Weg zu laufen, obwohl ich mich innerlich dagegen zu wehren versuchte. Genau wie ich versuchte, mich dagegen zu wehren, dass ich meinen Kopf an Phoenix' Schulter legte. Die Nacht zuvor hatte ein gewisse Vertrautheit in uns ausgelöst, die mir Fragen in den Kopf warf. Wie kann jemand, den ich seit so kurzer Zeit kannte, doch so vertraut sein. Es blieb mir ein Rätsel und den Kampf, den Kopf gerade zu halten, verlor ich auch, doch das merkte ich erst, als er seinen Kopf auf meinen legte. 

WolfsblutWo Geschichten leben. Entdecke jetzt