Es stank nach Desinfektionsmittel. Das war mein erster Gedanke, als ich langsam wieder zu Bewusstsein kam. Ich bemerkte zu meinen Seiten ein rhythmisches Piepen und ein leises Tröpfeln. Ohne, dass ich die Augen öffnen musste, wusste ich, wo ich war. Ich war also noch am Leben. Nicht nur die Geräusche, sondern auch die Gerüche nach Desinfektion, Krankheit und Tod verrieten es mir. Nicht weit entfernt, drangen hektische Geräusche zu mir durch. Sie klangen gedämpft, als wäre eine Tür dazwischen.
Ja ich wusste, wo ich war, doch wie kam ich noch gleich hierher?Ich erinnerte mich noch an die Party, auf der ich mit Emily war. Die schlechte Musik und die Leute dort, die dauerhaft nach mehr Alkohol schrien, hatten mich dazu veranlasst, früher als gedacht, nach Hause zu wollen. Ich sah noch Emilys Gesicht vor mir, als sie mich anbettelte, noch etwas zu bleiben, da sie doch moralische Unterstützung brauchte, weil Liam auch auf der Party war.
Ich sah in diesem Moment jedoch keinen Grund, länger zu bleiben, weil Liam sich an die Zicken unseres Jahrgangs heranmachte, als ich kurz zu ihm sah. Er war ein Playboy, wie er im Buche stand, doch ich verstand nicht, weshalb so viele Mädchen auf sein Getue hereinfielen. Er war quasi ständig von einer Traube des weiblichen Geschlechts umringt, nur weil er diese schwarzen Haare und tiefblauen Augen hatte und nebenbei noch Klavier spielte.
Dass Emily auf ihn stand, konnte ich ihr nicht verübeln, doch sah sie denn nicht, dass ihre Chancen bei ihm eins zu einer Million standen?
Emy konnte mir scheinbar meine Abneigung zu der Party ansehen, denn nach einer Weile des wehleidigsten Gebettels, gab sie schließlich beleidigt auf, drehte sich um und ging zu ihrem Bruder Noah, bei dem sie sich beschwerte, seiner desinteressierten Mimik nach zu urteilen.
Ich verließ schließlich die Party und machte mich auf den Heimweg und nahm die Abkürzung durch den kleinen Waldabschnitt, der den Ort der Party und mein Haus trennten.Erst mitten im Wald bemerkte ich, dass ich beobachtet wurde. Ich wusste schon länger, dass es im Wald rund um die Stadt ein Wolfsrudel gab, doch dieser kleine Abschnitt galt eigentlich immer als Wolfsfrei.
Wind tat sich auf und wehte meinen Geruch zu ihnen. Angst stieg in mir auf und ich suchte innerlich nach Fluchtwegen. Der Schnee machte es mir unmöglich zu rennen.Die Erinnerungen schossen in mir hoch und ich setzte mich hektisch auf, um die Bilder zu vertreiben. Ein Kreischen riss mich aus meinen Gedanken und zog meine Aufmerksamkeit auf sich. Ich sah nur, wie ein Wirbelsturm aus Kleidung, Haaren und Haut auf mich zuraste und mich zu zerquetchen drohte.
"Ich dachte, du wirst gar nicht mehr wach.", rief Emilys Stimme vorwurfsvoll und gleichzeitig endlos erleichtert, während sie fester zudrückte. Ein stechender Schmerz tat sich plötzlich in meinem Brustkorb auf und ich wimmerte auf.
Erschrocken ließ mich meine beste Freundin los und sah mich abwartend an. Vorsichtig atmete ich durch.
Meine Seite schmerzte pochend. Vorsichtig tastete ich sie ab und erntete daraufhin gleich einen Anschiss.
"Rühr das nicht an. Die Rippe war gebrochen. Die und dein Bein. Was zum Henker hast du veranstaltet, dass du dir gleich zwei Knochen gebrochen hast?", fragte sie mich und setzte sich an die Bettkante. Es hätten auch mehr gebrochen sein können, wenn man bedachte, wie ungünstig ich gefallen war.
"Ich gehe nie wieder durch diesen Wald. Diese Wölfe sind ja gemeingefährlich." Ich erinnerte mich an meinen Überlebenskampf mit dem Wolf, der mich zum Abendessen auserkoren hatte.
"Das kann man wohl sagen, so zugerichtet, wie du warst.", bemerkte sie und spielte mit den Bändern ihres Kapuzenpullis.
"Was ist überhaupt passiert? Ich weiß nur noch wie ich auf dem Boden aufgekommen bin." Und wie konnte es sein, dass ich keine weiteren Verletzungen davongetragen hatte?"Das müsste ich dich fragen, meine Liebe. Ich weiß nur das, was die Gerüchte sagen, von denen größtenteils gar nichts plausibel klingt. Ich weiß nur eines mit Sicherheit und zwar, dass Jack dich gefunden hat." Als ich sie nur wortlos anstarrte, warf sie mir einen verschwörerischen Blick zu. War das ihr verdammter Ernst?
Der gutaussehende Student, der erst vor einigen Wochen in meine Straße gezogen war? Er hatte mich gefunden? Ich spürte, wie ich rot anlief, während Emily lachte.Aber statt es dabei zu belassen, setzte sie noch einen obendrauf.
"Er war sogar gestern hier und hat nach dir geschaut. Er klang ganz besorgt. Er hat auch die Wölfe verjagt, die dich angegriffen haben, soweit ich weiß."
"Ahja.", konnte ich nur rausbringen während ich knallrot anlief und versuchte ein Lächeln zu unterdrücken.Es herrschte eine Weile Stille, bis ich neugierig wurde.
"Wie lange bin ich eigentlich schon hier?"
Emily zuckte mit den Schultern.
"Seit einigen Tagen schon. Ich glaube seit 4 oder 5. Die Ärzte mussten sich erst um deine Rippe kümmern, die sich beinahe in deine Lunge verirrt hätte. Dann war dein Bein noch so schrecklich verdreht, das mussten sie auch ersteinmal wieder in eine halbwegs normale Position bringen.
Die Bisse waren an dem Ganzem das Harmloseste. Was hast du also gemacht, dass du so zugerichtet warst?"
"Ich wollte auf das Dach klettern, aber das Vieh hat mich in den Fuß gebissen und runtergezerrt. Ich war schon fast außerhalb seiner Reichweite." Dass ich im Klettern versagt hatte, frustrierte mich. Ich hatte vor, nach der High School auf ein Sportcollage zu gehen, aber das würde mit dem Bein wahrscheinlich ins Wasser fallen, wenn es tatsächlich so schlimm war, wie Emily es beschrieben hatte.Es klopfte leise an der Tür und eine Krankenschwester kam herein.
Sie hielt ein Tablet mit Spritzen in der Hand und sah mich überrascht an, als wäre ich ein Marsmännchen."Sie sind wach, Miss Avery.", stellte sie fest. Ach wirklich? Hätte ich nicht gedacht.
"Eigentlich hatten wir damit erst in ein paar Tagen gerechnet. Aber gut, ich werde ihnen schnell etwas gegen eine Thrombose spritzen und dann gehe ich einen der Ärzte holen, die sie behandelt haben." Sie hob eine der Spritzen an und wollte die Bettdecke anheben, als ich zurückschreckte. Ich hasste Spritzen. Das waren Instrumente des Teufels.
"Wenn Sie mir mit dem Teil auch nur zu nahe kommen, dreh ich Ihnen den Hals um.""Aber Miss Avery, das ist dazu da, dass es in den Blutgefäßen nicht zu Ablagerungen kommt. Die können Herzinfarkte und noch einiges andere verursachen. Wollen Sie das wirklich?"
"Ich will, dass Sie mit mit diesem Zeug fern bleiben und nichts anderes!"
"Aber Neve, wenn sie sagt, dass es wichtig ist ...", mischte sich Emily ein, wurde jedoch mit einem strafenden Blick meinerseits zum Schweigen gebracht. Die Schwester senkte den Arm mit der Spritze.
"Na gut, dann müssen wir es Ihnen eben in Tablettenform geben, wenn ihnen dieser Weg missfällt.", sagte sie und verließ das Zimmer. Die Tür war noch nicht richtig geschlossen, als die Krankenschwester auch schon einen frustrierten Laut ausstieß und begann ihrem Kollegen von meinem Protest zu erzählen. Dann liefen sie den Gang hinunter.
Emily ging zur Tür und schloss sie mit einem leisen Klicken, um neugierige Blicke von Klinikbesuchern fernzuhalten."Ähm Neve .... du hast doch auch schon Nadeln im Arm stecken. Warum drehst du wegen der einen weiteren durch?"
"Weil die meisten Krankenschwestern so einen zufriedenen Gesichtsausdruck haben, wenn sie was mit Nadeln und Menschen zu tun haben, besonders, wenn sie die Vene nicht treffen. Da pulen sie in dir rum und sehen dabei so glücklich aus."
Emily lachte auf.
"Du bist ja verrückt."
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Secret of the Timberwolves
WerewolfNie hätte ich einen Fuß in diesen Wald gesetzt, wenn ich damals das gewusst hätte, was ich heute weiß. Nie hätte ich vermutet, dass sie mich als Beute auswählen. Doch heute, am dritten Tag, nach meinem Krankenhausaufenthalt, bemerkte ich es erneut...