29. Kapitel

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Mit einem dumpfen Geräusch landete ich im Schneehaufen, kämpfte mich frei und rannte Richtung Waldrand. Ich spürte die Kälte kaum. Ryan war dicht hinter mir. Er war der Wolf, ich das Kitz, wie er mich immer nannte. Ich hörte jeden seiner Atemzüge so deutlich, wie ich seine Anwesenheit spürte.
Ich lief schneller, schlug kurz vor den Bäumen einen Haken und rannte am Waldrand entlang. Den wiedergewonnenen Abstand nutzte ich, indem ich langsamer lief, um Ryan zu provozieren. Mein Herz schlug laut und schnell.
Er holte auf und mit einem Grinsen auf dem Gesicht, schlug ich den nächsten Haken. Ich hörte, wie er ins Straucheln geriet und hielt mein Lachen nicht zurück. Ich rannte Richtung Haus. Dieses Mal aber musste ich alles geben, da Ryan schnell aufholte. Der Wind pfiff mir um die Ohren.
Als ich bemerkte, dass er zu nah war, als dass ich es schaffen könnte, in Windeseile auf das Dach zu klettern, schlug ich meinen letzten Haken und genau in dieser Kurve bekam er mich zu fassen.

Ich verlor das Gleichgewicht, als er mich in seine Arme schloss. Wir fielen und rollten über den Boden.
Keuchend blieben wir schließlich im Schnee liegen. Ich mit dem Gesicht im Schnee, Ryan auf mir. Blut schoss in meine Wangen. Eilig stand er auf. Ich rührte mich nicht, einerseits um mein knallrotes Gesicht zu verbergen, andererseits, um ihn noch etwas zu ärgern.
"Neve? ... Kitz?" Ich ließ mich von ihm auf den Rücken drehen, hielt die Augen aber geschlossen und versuchte nicht zu grinsen.
Ich spürte, wie er sich neben mich setzte, die Arme links und rechts neben mir aufstützte.
"Du bist ganz schön gemein, weisst du das? Ich kann deinen schnellen Herzschlag bis hier hören und trotzdem dachte ich kurz, dass irgendetwas nicht in Ordnung sei." Das Lachen in seiner Stimme gab mir den Rest.
Ich konnte mich nicht mehr zusammenreißen und lachte los. Wie ein frustrierter Hund ließ er sich auf mich fallen und presste mit seinem Gewicht sämtliche Luft aus meinen Lungen. Ich hielt inne und blinzelte. Sein Gesicht war meinem so nah, dass ich seine dichten Wimpern zählen könnte, wenn ich wöllte.
Seine grünen Augen zogen mich in ihren Bann. Ich wusste nicht, wie viel Zeit verging, bis er mehrmals blinzelte, wie, um sich aus einer Starre zu reißen. Das Kribbeln in meinem Bauch verursachte Schauer, die sich durch meinen ganzen Körper zogen. Angespannt sah ich woanders hin, als er sich aufrappelte.

Ich stand auf und klopfte den Schneematsch ab. Es dämmerte langsam. Die Bäume zogen schon lange Schatten. Ryan räusperte sich.
"Ich muss noch einmal los und etwas in Erfahrung bringen."
Ich erstarrte und runzelte die Stirn. Was ging denn jetzt vor sich?
"Kommst du dann heute noch?" Diese Frage überraschte mich selbst, aber ich hatte mich so an seine Anwesenheit gewöhnt, dass die Vorstellung, dass er nicht da war, ein laues Gefühl in meiner Magengegend verursachte.
"Ich weiß nicht, ob du dann um die Uhrzeit schon deine Festungsbrücken hochgezogen hast.", lachte er.
"Warte kurz, bevor du abhaust.", forderte ich und kletterte die Veranda hinauf, da momentan das Fenster der einzige Zugang und die Türen noch verschlossen waren. Mit der vernachlässigten Muskulatur war es etwas schwierig hinaufzukommen. Ich musste mich dringend wieder auf mein vorheriges Level schrauben.
Ich schaffte es schließlich, stieg zum Fenster hinein und ging hinunter, um mich auf die Suche zu begeben.
Im obersten Schubfach meiner Kommode neben der Haustür wurde ich schließlich fündig. Ich ging zurück zu Ryan, der entspannt am Verandageländer lehnte. Ich warf ihm das kleine Ding zu.

"Damit du nicht ständig durch mein Fenster steigen musst.", begründete ich meine Tat und versuchte meine Unsicherheit zu verbergen, indem ich mich neben ihm anlehnte. Mein Herz schlug schnell und ich hoffte inständig, dass er es nicht hören konnte.
Er betrachtete es erst ungläubig, bevor er in seiner Hosentasche nach etwas suchte.
Ich beobachtete, wie mein Ersatzschlüssel an seinen Schlüsselbund geklemmt wurde.

Er lächelte, legte seinen Arm um meine Schultern, um mich an sich zu ziehen und gab mir einen Kuss auf die Stirn. Die Schmetterlinge flogen wieder auf und ich musste trotz meinen Versuchen, es zu unterdrücken, lächeln.
Er ließ mich los, drehte sich um, stieg die Treppe hinunter und lief Richtung Wald.
Kaum war er verschwunden, atmete ich frustriert aus und ich musste mir eingestehen, dass Ryan mir doch etwas mehr bedeutete, als er sollte und das machte mich ganz verrückt.

Ich saß seit einer Stunde im Sessel und grübelte vor mich hin. So konnte es nicht weitergehen. Ich konnte nicht mehr. Meinen Eltern konnte ich nichts von all dem erzählen. Sie würden durchdrehen.
Ich wusste, dass ich mit jemandem über alles reden musste, sonst würde ich platzen. Ich tigerte im Raum auf und ab. Jemand der nicht in die Sache involviert war, dem ich aber auch vertrauen konnte. Die Entscheidung war schnell gefallen. Ich wusste, dass es ein Risiko war, doch es ging nicht anders. Mit Jasmina konnte ich wohl kaum über ihren Bruder reden. Ich ging zur Küchenzeile und schnappte mir mein Handy. Kaum hatte ich es in der Hand, suchte ich die Nummer heraus.
Ich hoffte nur, dass sie rangehen würde.
Nach mehrfachem Klingeln, wollte ich schon aufgeben, als sich plötzlich ihre Stimme am Handy meldete.
"Neve?"
"Emy?"
"Was gibt es?"
"Ich brauche jemanden zum reden." , beichtete ich ihr vorsichtig.
"Wann und wo?"
"In zehn Minuten bei mir?"
Gleich darauf war gleichmäßiges Tuten zu hören, was hieß, sie würde kommen.

Etwas mehr als zehn Minuten später, hörte ich sie draußen vorfahren. Zögernd trat sie die Stufen hinauf, unsicher, ob sie nicht doch wieder gehen sollte. Angespannt wartete ich ab. Als sie schließlich klingelte, atmete ich erleichtert auf. Sie würde sich alles anhören.
Ich öffnete ihr und wartete, bis sie ihre Jacke und Schuhe ausgezogen hatte. Angespannt sah sie schließlich zu mir.
"Du wolltest es mich wissen lassen, wenn du bereit zum Reden bist."
Ich rang mit den Händen. Ich wusste nicht, wie ich anfangen sollte, aber es war besser wenn ich beim Anfang begann.
"Das ist alles sehr kompliziert und reicht bis zu diesem Wolfsangriff auf mich zurück."
"Ich habe Zeit.", sagte sie und setzte sich, während ich in der Küche uns beiden einen Tee machte.
"Als wir auf dieser Party waren und ich früher heim gegangen bin, hatte ich schon im Wald bemerkt, dass ich verfolgt wurde, deshalb hatte ich mich beeilt nach Hause zu kommen. Ich konnte ihnen im Wald entkommen, aber sie hatten mich auf meiner Veranda eingeholt. Als ich mich auf das Dach retten wollte, bekam mich ein Wolf zu fassen und zerrte mich herunter. So bin ich zu den Verletzungen gekommen." Ich ließ bewusst den Teil weg, dass Ryan mich runter geholt hatte. Sie würde es auch noch gar nicht verstehen. Ich gab ihr die Tasse und setzte mich ebenfalls.
"Seitdem hatte ich mich verändert. Das hast du gemerkt und als ich neulich vor dir weggerannt war, hatte das einen Grund. Diese Veränderung war nicht nur psychisch, sondern auch körperlich." Sie runzelte die Stirn, nahm aber einen Schluck von ihrem Tee.
"Willst du mir jetzt etwas in der Richtung erzählen, dass du jetzt etwa zum Werwolf wirst?" Scharfsinnig wie immer beobachtete sie jede meiner Bewegungen. Sie klang ungläubig und vorsichtig. Vermutlich war sie kurz davor mich als Verrückte abzustempeln.
"Es wäre besser, wenn du es siehst. Bitte gerate nicht in Panik. Ich bin dann immer noch ich, okay?"
Sie nickte und ich berührte vorsichtig den Verwandlungspunkt.

Secret of the TimberwolvesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt