7. Kapitel

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"Oh mein Gott! Neve!"
So wurde ich an diesem Morgen geweckt. Erschreckend kalte Finger legten sich auf meinen Hals und als ich die Augen öffnete, um Emily böse anzuschauen, wirkte sie nur besorgt und sah mich an, als wäre ich fast gestorben.
Ich rappelte mich mühsam auf, ignorierte meine beste Freundin die mich mit Fragen löcherte und lief zur Kaffeemaschiene. Mein Rücken schmerzte und auch so hatte ich ziemlich schlechte Laune.

Als ich schließlich die Kaffeetasse in der Hand hielt und der heiße Kaffee kleine Dampfwölkchen in die Luft schickte, wandte ich mich Emily zu, die mich nur fassungslos ansah.
"Wieso, in aller Welt, hast du auf dem Boden geschlafen?"
Ich wusste nicht, was ich ihr darauf antworten sollte. Sie sollte besser nichts von dem Wolf erfahren, da sie es sonst fertig brachte und mit dem Gewehr ihres Vaters oder sogar meinen eigenen Waffen Jagd auf ihn zu machen. Erschreckend lange sah ich sie an, bevor mir eine Ausrede einfiel.
"Ich habe mir die Sterne noch angesehen. Dabei bin ich scheinbar eingeschlafen."

Ihrem Blick nach zu urteilen, kaufte sie mir die wenigen Wort nicht ab. Doch dann zuckte sie mit den Schultern und sah resigniert aus dem Fenster.
"Naja kann ja mal passieren. Du denkst heute an deine Physiotherapie?",fragte sie und fischte den Autoschlüssel aus der Tasche. Ich nickte nur und beobachtete, wie sie zur Haustür ging.
"Also ich muss los. Ich schreibe dir nachher."
"Bye. Fahr vorsichtig.", sagte ich als sie die Tür öffnete. Sie lächelte.
"Pass du auch auf dich auf."
Damit verschwand sie und kaum schloss sich die Tür hinter ihr, fühlte ich mich einsam.

Um mir die Zeit etwas zu vertreiben, beschloss ich, mein Haus etwas auf Vordermann zu bringen.

Am Nachmittag, als ich gerade fertig geworden war, klingelte es an der Tür und als ich öffnete, sah mir ein freundliches Gesicht entgegen. Das Mädchen war nur wenige Jahre älter als ich und sah zu mir auf, wie ein aufgewecktes Rehkitz. Ihre Haare waren zu einem Zopf zusammengeflochten, aus welchem sich mehrere kurze Strähnchen gelöst hatten und ihr nun ins Gesicht fielen. Sie streckte mir ihre Hand entgegen.
"Hi, du bist vermutlich Nevaeh. Ich bin Danielle. Ich komme in der nächsten Zeit zu dir, um dir mit dem Bein zu helfen."
Ich nahm ihre Hand und ließ sie eintreten.
"Wohnst du hier ganz alleine?", fragte sie neugierig, als sie sich umsah.
"Sozusagen. Meine Granny hat es vererbt und da ich hier sowieso aufs College gehen will, dachten meine Eltern, dass sie es mir geben."
"Interessant." Sie ließ ihren Blick durch die Wohnküche schweifen. Sie wandte sich der Couch zu.
"So dann wollen wir uns mal dein Bein ansehen. Etwas belasten tust du es ja schon wieder, auch wenn es nur mit den Gehhilfen funktioniert. So dann leg dich mal auf das Sofa, den Rest machen wir zusammen."

Es vergingen knappe zwei Stunden, ehe sie wieder verschwand und mich mit dem schmerzendem Bein auf dem Sofa zurückließ. Außer Atem lag ich da und starrte an die Decke.
Auf dem Couchtisch vibrierte mein Handy. Emily war vermutlich gerade dabei, mir die Schulsachen zu schicken. Ich richtete mich auf und überlegte, wie ich mich am Besten bewegte, ohne, dass meine Muskeln schmerzten.

Die Woche darauf ging ich wieder in die Schule, was beinahe genauso angstrengend war, wie meine erste Physiotherapiestunde. Die Lehrer rasten von einem Thema ins andere, als würden sie alles aufholen wollen, was sie während meiner Abwesenheit nicht durchgeführt hatten. Jeden Abend saß ich bis spät in die Nacht im Wohnzimmer und versuchte meine Unterlagen und Mitschriften gründlich zu sortieren und für mich begreiflich zu machen. Ich schrieb Post-it's ohne Ende, während sich jemand draußen auf meiner Veranda eingenistet hatte. Er lag zusammengerollt auf der alten Decke, die ich hinausgelegt hatte, damit es nicht ganz so hart und kalt war. Ich hatte mich an seine Anwesenheit gewöhnt und vermisste sie fast, wenn er verspätet kam.
An diesem Abend allerdings, war etwas anders.
Der Wolf kam später als sonst und als er endlich aus dem Wald heraustrat, wirkte er verändert. Er sah sich auf dem Weg zum Haus stetig um, als würde er eine Gefahr vermuten.
Als er dann auf die Veranda trat, warf er mir kurz einen begrüßenden Blick zu, bevor er sich, wie gewohnt, auf die Decke legte und zum Wald hin sah. Er wirkte angespannt, aber ich konnte nicht erkennen, warum.
Ich sah zu meinen Unterlagen, und fasste schließlich den Entschluss, den Ordner zu schließen und für heute Feierabend zu machen.
Ich räumte noch ein wenig meine Sachen zusammen und begab mich auf den Weg nach oben. Im Bett fand aber keine Schlaf, dabei schrieben wir morgen einen Test und ich musste ausgeruht sein, wenn ich morgen wenigstens eine 3 bekommen wollte. Endlich überkam mich das Müdigkeitsgefühl und ich schloss die Augen.

Von draußen erklang ein Grollen, ein tiefes Knurren, das mir durch und durch ging. Ich öffnete meine Augen wieder, stand auf und ging zum Fenster. Mir war sofort klar gewesen, dass es ein Wolf war, doch was ich nun sah und hörte, war durchdringender als das Knurren.
Ein dunkelgrauer, fast schwarzer Wolf trat zwischen den Bäumen hervor, den Blick auf etwas gerichtet, das unter mir und sich außerhalb meiner Sichtweite befand. Mein Schlafzimmer war direkt über dem Wohnzimmer und damit war mir das Dach der Veranda im Blick.
Aber ich brauchte nichts zu sehen, um zu wissen, wer da geknurrt hatte. Mein Wolf stieg die Treppe hinunter. Sein Nackenfell war massiv gesträubt und seine Zähne blitzten bedrohlich im Mondlicht. Sein Knurren übertönte alles. Meinen lauten Herzschlag, meine Gedanken, die schrien, er solle zurückkommen, sich hinlegen und der Fremde währenddessen den Rückzug antreten, das alles wurde ignoriert. Ich konnte die beiden nur beobachen, wie sie auf einander zugingen, mit bösen Blicken, grimmigen Masken und gefletschten Zähnen.

Hilflos musste ich mit ansehen, wie die beiden Körper gegeneinander prallten, und beide versuchten sich mit Zähnen und Klauen zu verletzen.
Sie waren sich etwa ebenbürdig, weshalb ich anfing vor Nervosität und Angst, an den Fingernägeln zu kauen.
Die Zähne von meinem Wolf vergruben sich im Nacken seines Gegners und er begann, ihn mit aller Kraft zu schütteln.
Doch der Eindruck, dass er ihn unterdrücken würde und konnte, blieb nicht lange.
Irgendwie schaffte es der Unterdrückte, sich loszureißen und meinen Wolf zu Boden zu ringen. Ich hörte ihn winseln und Angst wuchs in mir.
Angst, um den stillen Begleiter, den ich nun hatte.
Ich stürmte aus meinem Zimmer und die Treppe nach unten. Ich machte mir gar nicht erst die Mühe, das Licht einzuschalten. Den Weg und die Umgebung kannte ich auswendig. Ich hinkte zum Schrank und nahm mit zitternden Händen die Waffe heraus, lud sie, schnappte mir meine Jacke von der Garderobe und lief Richtung Tür.
Wie von selbst öffnete sich die Verandatür und vor den Stufen, die hinunter in den Schnee führten, blieb ich stehen und stieß einen lauten Pfiff aus.
Beide Wölfe sahen mich verdutzt an
Meine Waffe war auf den Angreifer gerichtet.
Er begann zu knurren und die Zähne zu fletschen, als er die Gefahr erkannte. Ich entsicherte das kleine, Todbringende Ding und atmete tief durch, um mich zu beruhigen.
Das Biest kam langsam näher und plötzlich erkannte ich ihn. Er war der Wolf, der mich angegriffen hatte. Das gleiche schwarz-graue Fell mit den gleichen grünen, entschlossenen Augen.

Ohne weiter zu zögern drückte ich ab.
Ein ohrenbetäubender Knall ertönte und kurz darauf ein Winseln. Ich traute mich gar nicht hinzusehen.
Ich hatte getroffen, aber welchen der beiden?
Als ich mich zwang die Augen zu öffnen, rannte der Dunkle auf drei Beinen Richtung Wald. Sein linkes Vorderbein belastete er nicht.
Schnell sicherte ich meine Waffe, steckte sie hinten in meine Hose und sah zu meinem Wolf. Er versuchte zwanghaft sich aufzurappeln, doch brach er immer wieder weg. Er winselte.

Secret of the TimberwolvesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt