17. Kapitel

351 17 3
                                    

Ich betrat die Terasse. Das war noch elegant ausgedrückt. Genauer gesagt stolperte ich. Ich wusste nicht, wie ich mit den vier langen Beinen zurecht kommen, geschweige denn, wie ich mit den Pfoten und den Krallen Halt auf dem glatten Boden finden sollte. Ich rutschte immer wieder weg, wenn ich ein Bein aufsetzte und hatte große Angst, mir gleich wieder etwas zu brechen, doch irgendwie schaffte ich es nach einer Weile unverletzt hinaus. Was Ryan hinter mir dachte, wollte ich lieber gar nicht wissen. Der Geruch nach Blut und Fleisch hing in der Luft.
Mit Sicherheit war das Fleisch jetzt schon kalt und das Blut angetrocknet. Zögernd sah ich noch einmal zu Ryan zurück, der nur aufmunternd nickte.
Meine Vernunft streikte.
Ich würde das nie und nimmer in meinem Magen behalten können. Niemals.
Aber mein Magen protestierte. Er knurrte, als hätte er seit Tagen nichts mehr bekommen.
Als hätte ich nicht vor weniger als zwei Stunden etwas gegessen. Dies war zwar nicht drin geblieben aber dennoch.
Ryan ließ sich neben dem Kadaver nieder und beäugte meine unsicheren Schritte mit einem Anflug von Belustigung. Mürrisch starrte ich ihm entgegen.
"Was denn?", fragte er unschuldig.
"Das weisst du genau.", zischte ich zurück.
Seine Augen musterten mich forschend.
"Du wirkst nur, wie ein frisch geborenes Kitz, was noch nicht mit seinen Beinen klarkommt.", murmelte er und schnaubte. Ich trat zu ihm heran.
"Das ist nicht komisch."
"Beruhige dich! Auch Nolan hat so angefangen. Er war genauso unsicher wie du."
Verdutzt sah ich ihn an.
"Nolan wurde auch verwandelt?"
Das kam mir so vor, als hätte er sich ebenfalls angelogen, als er mir sagte, dass dieser Wolf nur erblich bedingt sei.
Ryan nickte.
"Ist schon etwas länger her. Wir waren beide zwölf Jahre alt, als er verwandelt wurde."
Mir schossen Fragen durch den Kopf.
Von wem wurde er verwandelt und warum? Vor allem in dem Alter. Wie konnten sie einem Kind soetwas aufbürden?
Ryan schien mir die Fragen anzusehen.
"Seine Geschichte soll er dir selbst erzählen, wenn er es will.", sagte er und deutete mit einem Kopfnicken auf die Rehleiche.
Ich murrte unwillig und wünschte mich in den Zustand meiner ersten Verwandlung zurück. Da hatte ich mich verwandelt und kaum etwas davon mitbekommen, rohes Fleisch gefressen und nicht darauf reagiert, bin auf den vier Beinen gelaufen und hatte keine Schwierigkeiten damit.
Es wird wahrscheinlich alles an dem Fieber gelegen haben, warum ich kaum etwas bemerkt hatte.

Ryan knurrte ungeduldig, als er mein Zögern bemerkte. Sein Schwanz zuckte hin und her, während er mich leicht genervt ansah.
Ich atmete tief durch und versenkte die langen Reißzähne im Fleisch des Rehs.
Das Fleisch war kalt, aber immerhin noch nicht gefroren. Das Blut nur teilweise getrocknet.

Mein Körper zählte nicht auf Geschmack. Er verlangte nach der Energie, die das Fleisch ihm liefern würde. Mein Verstand schaltete sich fast zur Gänze ab und das Fleisch landete automatisch in meinem Magen.
Nachdem die gefühlte Hälfte des Rehs in meinem Magen gelandet war, hielt ich inne. Kein Übelkeitsgefühl, kein Würgereiz.
Ich war satt, satt von rohem Fleisch und es blieb in meinem Magen. Es war wie ein kleiner Triumph für mich. Und gleichzeitig verstörend.

Ryan sah mich schief an.
"Du willst wohl den Rest nicht mehr?", fragte er. Ich sah ihn an.
Meinte er das ernst?
Ich schüttelte den Kopf und er zuckte mit den Schultern und machte sich über die Reste her.
Knochen knackten und wurden von einem kräftigem Biss durchdrennt, während ich mich auf den Holzboden hinsetzte und in den Wald sah. Er sah weit weniger bedrohlich aus, als vor einigen Tagen noch. Einige Lichtstrahlen der Sonne schienen auf den Waldboden und ich spürte, wie es mich dorthin zog.
Doch ich unterdrückte dieses kleine Verlangen. Ich konnte den Wald später noch erkunden, wenn ich diesen neuen Körper kennengelernt hatte. Ich stand vorsichtig auf und streckte meine Beine durch. Erst jetzt wurde ich mir dieser Beine, Muskeln und der Kraft, die in ihnen steckte, tatsächlich bewusst.
Vorsichtig lief ich die Treppe hinunter, hinunter in den Schnee, der schon von der Sonne angetaut wurde.

Durch die Pfoten spürte ich die Kälte, jedoch war es nicht so schlimm, wie, wenn ich als Mensch barfuß durch den Schnee gewandert wäre.
Ich drückte eine meiner Pfoten in den Schnee und betrachtete anschließend die Spur. Ich legte den Kopf schief.
Wenn ich ein Mensch gewesen wäre und hätte ich meine Hand in die Spur gehalten, hätte meine Hand von der Größe her, vermutlich hineingepasst. Ich sah zurück zur Veranda und sah wie Ryan an der Treppe saß und mich beobachtete. Hinter ihm lag der Rest des Rehs. Etwas Fell und einige Knochen lagen noch dort und zierten den Holzboden.
"Können wir das nachher noch wegräumen, bevor du gehst?", fragte ich mit kritischem Blick auf das restliche Blut.
Belustigt sah er nur kurz zurück, eh er antwortete.
"Nein, das bleibt für die Raben liegen."
Empört starrte ich ihn an. Nein ganz bestimmt nicht!
Konnte er den Mist nicht woanders hinlegen? Schließlich hatte er ihn ja auch angeschleppt.
Seine Augen funkelten belustigt, als er meinen finsteren Blick sah. Schließlich stand er auf, packte die Knochen auf die Haut des Jährlings und trug das Päckchen weg.
Mieser Hund!

Er verschwand zwischen den Bäumen und ließ sich erst nach einigen Momenten wieder blicken, als sich schon die Befürchtung in mir breitgemacht hatte, dass ich alleine zurück in meine menschliche Gestalt finden musste. Er trabte durch den Trampelpfad, den er und Nolan durch den Schnee gepflügt hatten und blieb an meiner Seite stehen.
Seine Haltung war entspannt aber dennoch konnte man immernoch den Alpha in ihr erahnen, der er war.

"Los, du kleines Kitz. Ich zeige dir, wie man sich zurückverwandelt." Er stupste mich in die Seite, als ich ihn nur finster ansah und mich nicht von der Stelle rührte.
Schließlich drehte ich mich um und stieg (vermutlich nicht so elegant) die Treppe hinauf und durch die Verandatür. Kaum war Ryan im Raum drückte er die Tür mit der Schulter zu, um sich anschließend wieder mir zuzuwenden.

"Also Kitz, im Prinzip ist es nichts anderes, wie vorhin. Du musst diesen Punkt suchen, um wieder ein Mensch zu werden."
Ich warf ihm einen widerwilligen Blick zu, um meinen Unmut über meinen neuen Spitznamen zu äußern, den er allerdings gekonnt ignorierte.
Ich seufzte leise und suchte den Punkt.
Er befand sich an der gleichen Stelle, wie der Punkt für meinen Wolf. Es war der gleiche Punkt. Ganz vorsichtig berührte ich ihn und fand mich Sekunden später nackt auf meinem kalten Wohnzimmerboden wieder.
Verstohlen raste mein Blick zu Ryan, der hinaus in den Wald sah. Er hatte mir den Rücken zugewandt. Eilig griff ich zu meinen Sachen und verschwand rasch im Bad, um mich anzuziehen.

Meine Wangen brannten vor Scham, als ich wieder hinaustrat und Ryan in seiner menschlichen Gestalt und glücklicherweise auch in Kleidung gehüllt, vorfand.

Er sah zu mir und begann schief zu lächeln, als wüsste er genau, was in mir vorging und ich spürte, wie mein gesamter Kopf rot anlief.
Sein Lächeln verwandelte sich in ein Grinsen und ich wäre am liebsten im Erdboden versunken.
Hatte er etwas gesehen?
Hatte er sich umgedreht, als ich ins Bad geflüchtet war?
Er öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch er verstummte gleich wieder und sein Blick glitt zur Haustür.
Sekunden später klingelte es.

Secret of the TimberwolvesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt