8. Kapitel

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Ich wusste, dass es an Wahnsinn grenzte, sich einem verletzten Wolf zu nähern, doch ich fasste all meinen Mut zusammen und ging langsam auf ihn zu. Er versuchte sich aufzurappeln, immer und immer wieder, doch jedes Mal kippte er weg und landete im Schnee.
Nur einen knappen Meter von ihm entfernt, blieb ich stehen.
Er knurrte laut und bedrohlich.
"Ruhig, ganz ruhig. Ich will dir helfen.", sagte ich und suchte ihn nach Wunden ab. Eine große Fleischwunde am Bein sorgte dafür, dass er Blut verlor und dafür, dass er vor Schmerzen nicht aufstehen konnte.
Ich hockte mich hin und sofort knurrte er wieder los.
"Bleib doch ruhig. Ich will dir helfen."
Ich zog meine Jacke aus und breitete sie auf dem Schnee aus.
"Okay, du musst mir jetzt helfen. Ich will dich auf die Jacke legen und in Sicherheit bringen." Woher ich wusste, dass er mich verstand? Ich hatte ihn nun lang genug beobachten können, um zu bemerken, wie er reagierte, wenn ich etwas sagte.
Ich sah den Widerwillen und die Angst in seinen Augen, doch auch blitzte ein Funke Entschlossenheit auf.
Er richtete sich mühevoll auf, zog sich so weit, bis er über meiner Jacke stand und ließ sich fallen. Sein Atem ging schnell und hektisch. Ich packte die Jacke an den Ärmeln und schleifte so den riesigen Wolf Richtung Haus. Vor den Stufen setzte ich kurz ab. Der Wolfsrüde war verdammt schwer. Ich sammelte meine letzte Kraft zusammen und zog ihn die Treppe hinauf, durch die offenstehende Verandatür, hinein ins Wohnzimmer. Dort legte ich ihn ab und schloss die Tür. Mein Bein schmerzte und protestierte, als würde es gleich nachgeben wollen, doch ich riss mich zusammen.
Ich musste hier irgendwo einen Erste-Hilfe-Kasten haben. Hektisch durchsuchte ich die unteren Küchenschränke und fand ihn schließlich, doch ich suchte auch noch etwas anderes. Es musste irgendwo in einem von Grannys alten Schränken sein.

Es dauerte für mich viel zu lange, bis ich auch das schließlich fand. Den alten Maulkorb von Grannys damaligem Schäferhund. Er musste passen. Mit diesen Dingen kehrte ich zu dem Wolf auf meinem Boden zurück. Skeptisch betrachtete er den Maulkorb.
"Nur zur Sicherheit.", begründete ich und er ließ ich ihn anlegen. Zu diesem Zeitpunkt fragte ich mich nicht, warum er nach meinen Anweisungen handelte, sie genau genommen sogar verstand.
Ich wandte mich seiner Wunde am Bein zu. Das Fleisch war grob zerrissen und die Verletzung blutete stark.
Ich nahm die Flasche und öffnete sie.
"Du wirst mich gleich hassen.", sagte ich leise und der Wolf wimmerte, als würde er ahnen, was ihm blühte.
Ich schüttete ungeachtet des Blutes und meines Parkettbodens das Desinfektionsmittel über die Wunde.
Ich musste meine Ohren auf Durchzug schalten, um das Jaulen ignorieren zu können.
Zwanghaft unterdrückte ich seine Fluchtversuche, indem ich seine Beine festhielt.
Als er wieder still lag, begann ich ihm den Verband anzulegen. Sein Atem ging hektisch, als ich aufstand und mein Werk betrachtete.
"So das Schlimmste ist geschafft. Ich hoffe nur, dass es klappen wird, so wie ich mir das vorgestellt habe."
Er stieß ein leises Knurren aus.
"Du bleibst erstmal hier, damit der da draußen dich nicht doch noch tötet und die ganze Arbeit hier umsonst war."
Ich sah ihm in die Augen und beobachtete, wie er sie schloss und wieder öffnete, dann legte er seinen Kopf ab und bemühte sich, sich zu entspannen. Es hatte auf mich fast den Eindrück, als würde er sich seinem Leiden ergeben.

Meine Jacke war durchtränkt von Blut, welches zum Glück nicht auf den Boden geflossen war.
Vorsichtig zog ich sie unter dem Wolf hervor und warf sie in das Waschbecken. Ich würde mich morgen um das Aufräumen kümmern.
Mit einem unguten Gefühl im Bauch ging ich schließlich nach oben, nachdem ich dem Wolf noch eine Schale mit Wasser hingestellt und mir das Blut von der Haut gewaschen hatte.
Im Bett dachte ich noch lange über meinen pelzigen Gast nach und machte mir Sorgen um ihn.
Wenn sich die Wunde doch entzünden würde, dann wäre das sein sicheres Todesurteil, aber zu einem Tierarzt wollte ich ihn auch nicht unbedingt bringen, nur im äußersten Notfall.

Ich hatte kaum geschlafen, als mich der Wecker wieder in die Realität riss. Sofort stand ich auf, zog mich an und lief nach unten. Lebte er noch? Ich konnte es nur hoffen. Die Treppe kam mir ewig lang vor. Mein schwaches Bein protestierte leicht.

Unten angekommen blieb ich erschrocken stehen. Mein Herz sackte in die Hose. Die Stelle, an der der Wolf gestern noch gelegen hatte, war leer. Auf dem Boden lag nur der Maulkorb, den ich ihm übergezogen hatte.
Ich versuchte den riesigen Kloß in meinem Hals herunterzuschlucken, was mir nicht gelang. Die Angst, die ich bei dem Angriff vor einigen Wochen verspürt hatte, loderte in meinem Innern auf und mit flachem Atem sah ich mich vorsichtig um.
Wo war er?
Am liebsten wäre ich einfach nur aus dem Haus gerannt, doch das konnte ich nicht, wenn er hinter der nächsten Ecke hervorspringen würde.
Ich bewegte mich vorsichtig durch den Raum. Meine Nerven waren bis zum Zerreißen gespannt.
Ich wusste, dass er noch hier war. Ich spürte seine Anwesenheit. Aber ich sah ihn nicht und das machte mir imense Angst. Er war noch verletzt, weshalb er sich vermutlich nicht sehr schnell bewegen konnte, doch ich verließ mich nicht auf diesen Gedanken.
An dem Ort an dem ich ihn zurückgelassen hatte, lag der Maulkorb. Der Lederriemen war an der Seite zerstört, als hätte er es geschafft, das Leder mit der Kralle so zu strapazieren, dass es gerissen war. Mit zitternden Fingern legte ich den Maulkorb wieder ab. Mein Herz schlug wie wild in meiner Brust als ich langsam aufstand und mich wachsam umsah.
Wo war er?, fragte ich mich gefühlt zum hundertsten Mal.
Ich sah zur Tür unter der Treppe, die in ein kleines Bad führte in der Waschmaschiene und Trockner standen. Sie stand offen.
Ich war mir ziemlich sicher, dass ich sie zugemacht hatte. Schluckend machte ich einen Schritt darauf zu, bis mir dann etwas einfiel. Ich war drauf und dran mich einem verletzten Wolf, ohne irgendetwas in der Hand zu haben, um mich verteidigen zu können, zu nähern, welcher den Maulkorb zerstört hat und mich nun jederzeit ernsthaft verletzen konnte. Zwar hatte ich inzwischen etwas Zeit mit ihm verbracht, doch komplett vertrauen konnte ich ihm nicht. Gestern war das bestimmt nur der Schock gewesen, weshalb er mich seine Wunde behandeln ließ. Ich lief um meine Kücheninsel herum, wo ich beinahe in eine blutige, leere Plastikpackung getreten wäre.
Das Vieh war an meinem Kühlschrank gewesen?!?
Die Knochen der Steaks lagen vor dem Kühlschrank, welcher noch leicht geöffnet war. Ich schloss ihn leise und machte mich am Schubfach daneben zu schaffen und suchte mein großes Küchenmesser heraus. Dieses steckte ich hinten in meinen Gürtel und trat langsam in Richtung Wäschekammer, aus der nun ein Geräusch kam, was mich darauf schließen ließ, dass der Wolf nun mein Bad zerlegte. Ich unternahm erneut einen Versuch den schmerzenden Kloß in meinem Hals herunterzuschlucken, als ich mich dem Bad näherte indem ich mich an der Treppe entlang drückte.
Hinter der sperrangelweitoffenen Tür blieb ich stehen. Das Hecheln des Tieres ertönte und Krallen schürften über die Fliesen Richtung Türrahmen. Meine Panik wuchs mit jedem Schritt den er tat.
Im Türrahmen blieb er stehen. Ich konnte seine Pfoten schon durch den Spalt erkennen. Bald würde er mich riechen.
Dann veränderte sich die Situation plötzlich, als seine Pfoten anfingen sich zu verändern.

Secret of the TimberwolvesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt