31. Kapitel.

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Ich wurde durch ein schrilles Klingeln geweckt.
Murrend blinzelte ich und richtete mich auf. Es war noch Sonntag, also fiel der Wecker weg. Die Uhr zeigte bereits Mittag an. Vor neun Stunden waren Emily und ich sturzbetrunken in unsere Betten gefallen. Mein Kopf dröhnte leicht bei der Erinnerung an unser Trinkspiel zu einer Filmreihe. Emily hatte entschieden über das Wochenende bei mir zu bleiben und da wir beide am Samstag nichts vorgehabt hatten, war unser Abend so verlaufen. Als wir diese Reihe beendet hatten, hatten wir uns in mein Zimmer hochgekämpft und dort weitergetrunken, wobei wir das Thema Ryan gut gemieden hatten. Früher am Abend war Nolan aufgetaucht und entschuldigte sich, dass er nicht früher kommen konnte, weil das Rudel Probleme gemacht hatte. Als ich gefragt hatte, was los sei, war er ausgewichen und meinte, dass es nichts sei, worüber ich mir Sorgen machen müsste. Als er dazu ansetzen wollte, mit mir zu üben, brach ich die Aktion ab und schickte ihn weg mit der Aussage, dass er sich um das Rudel und seinen Alpha kümmern sollte.

Erneut ertönte das Klingeln. Irritiert sah ich mich um, bevor mir im nächsten Moment klar wurde, dass es an der Haustür klingelte.
Hektisch stand ich auf, rannte noch im Schlafanzug auf wackeligen Beinen nach unten und öffnete die Haustür, nur, um sie in der nächsten Sekunde am liebsten wieder zuknallen zu wollen. Jack musterte mich amüsiert.
"Guten Morgen."
"Morgen,"antwortete ich knapp. Seine Mimik verriet nicht, weshalb er hier war. Nur seine Nase zuckte kurz und mir wurde bewusst, dass meine Alkoholfahne und mein ungewaschenes Selbst, seine Nase ziemlich belästigen mussten. Mit rotem Gesicht wartete ich ab.
"Ich habe dich aus dem Bett geworfen?"
"Ja das hast du und vermutlich nicht nur mich."
Wie aufs Stichwort polterte es in der oberen Etage. Ich schloss die Augen. Ich wollte gar nicht wissen, wie es Emily gerade ging und ich fragte mich, wie das Trinkspiel überhaupt so ausarten konnte.
Er wandte sich wieder mir zu und schnüffeln noch einmal kurz.
"Also habe ich mich doch nicht getäuscht. Die Wölfe haben dich verwandelt." Ich nickte vorsichtig, unschlüssig, wie ich mich verhalten sollte. Die Anspannung in meinem Körper war bestimmt sichtbar.

"Eigentlich hatte ich geplant, dich zu verwandeln, aber der Hund war schneller. Ich wollte vorgestern nur nach dir sehen, aber dann musste der Hund aussteigen und sofort war mir alles klar. Wenn er dich nicht schon verwandelt hatte, würde er es noch tun. Deshalb meine Kurzschlussreaktion. Ich konnte nicht mehr klar denken."
Er machte eine kurze Pause, bevor er weitersprach. Mein Gehirn brauchte diese Pause aber auch, um zu begreifen, was Jack da gerade gesagt hatte.
"Du musst wissen, für dich gilt dieses Hund-Katz-Drama nicht. Also zumindest, was mich betrifft."
Ich stutze und nickte schließlich. Ich hatte keine Ahnung, warum er für mich eine Ausnahme machen sollte.
Das war mir fast schon bewusst, da ich noch nicht als Kratzbaum diente, aber es tat gut es doch von ihm gesagt zu bekommen. Etwas anderes ließ mich inne halten. Er hatte mich verwandeln wollen. Meine Nackenhaare stellten sich leicht auf. Vermutlich wäre es, genau wie bei Ryan, ohne meine Zustimmung geschehen. Ohne Rücksicht darauf, was aus mir wurde.
Ich bemühte mich die aufkommende Wut zu unterdrücken. Was wollten die beiden Gestaltwandler nur von mir? Ich wich ein Stück zurück. Ich konnte es mir einfach nicht erklären.

Jack raufte sich die Haare, was meine Aufmerksamkeit wieder auf ihn zog und sein normalerweise sicheres Auftreten, war wie weggewischt.
Er holte Luft wie, um etwas zu sagen, hielt dann doch inne und schwieg.

Auf einmal weiteten sich seine Nasenflügel und er schnupperte leicht in Richtung des Waldrandes.
Ein leises Knurren entwich ihm und ich ahnte, wer da kam, obwohl ich ihn noch nicht sah. Ich schnupperte ebenfalls. Ein bekannter Geruch wehte mir entgegen und ließ mein Herz einen kleinen Hüpfer machen, was meinen Verstand dazu brachte, die Augen zu verdrehen. Glücklicherweise bemerkte Jack es nicht.
Wenn man vom Teufel sprach oder dachte.
"Ich glaube nicht, dass du wieder Blut von deiner Veranda herunterkratzen willst, deshalb wäre es besser, wenn ich jetzt gehe. Diese Hunde sind in der ganzen Stadt verteilt", knurrte er, einen verächtlichen Blick auf den Waldrand werfend und stieg mit geschmeidig langen Schritten die Treppe hinunter. Ich trat hinaus auf die Veranda und sah mich um.
Jack war gerade die Hälfte der Straße entlang gegangen, als sich langsam ein Schatten vom Waldrand löste.
Ich sah ihm entgegen, als er in seiner menschlichen Gestalt vorsichtig herantrat.
Mein Herz klopfte wie wild los. Unsere Augen trafen sich und wieder entstand diese Verbindung die ich nicht erklären konnte. Diese Faszination. Ich versuchte meine Freude zu unterdrücken und mich in die Realität zurück zu holen, was sich erstaunlicherweise als schwierig herausstellte.
Ryan kam auf die Veranda. Irritiert sah er mich an und gleichzeitig weiteten sich seine Nasenflügel. Ein Knurren, halb wild und halb unterdrückt, entwich seiner Kehle.
"Was zur Hölle hat das Katzenvieh hier zu suchen gehabt?"
Seine Stimme ging mehr und mehr ins Knurren über.
Ich hatte das Gefühl, dass nur meine Aussage ihn davon abhielt, Jack zu jagen und zu töten.
"Er wollte nur kurz mit mir reden. Über etwas Nachbarschaftliches."
Ich versuchte ruhig und sicher zu klingen angesichts seiner Wut, was mir zum Glück auch gelang.
Ich würde ihm nichts von der versuchten Verwandlung erzählen. Es würde sowieso nichts ändern, außer dass Ryan rasend vor Wut wurde und die Situation schlimmer machen würde als sie tatsächlich war.
Er nickte und ließ das Thema damit ruhen.

"Du hast Nolan weg geschickt", stellte er fest. Mein Herzklopfen dämmte sich etwas. Ich nickte, immernoch von seinen Augen gefesselt, in denen etwas vor sich ging, was ich nicht erkennen konnte.
"Warum?" Seine Frage klang irritiert.
"Weil er erst abends kam und ich da keinen Bock mehr auf irgendwelche Wolfssachen hatte." Er zuckte zusammen, als wäre er geschlagen worden.
"Außerdem hatte er von irgendwelchen Rudelangelegenheiten gefaselt, die er klären musste und als ich fragte, worum es ging, ist er mir ausgewichen, als ob es mich nichts angehen würde."
Ich fand nur, dass es mich etwas anging, wenn ich ein Mitglied des Rudels war.
Er seufzte.
"Es ist immer schwierig jemand Neues im Rudel zu integrieren. Vor allem, wenn sich derjenige schon als ranghöheres Tier bewiesen hat", sagte er, als würde das alles erklären. Ich knurrte leicht.
"Ich muss mit dir reden ... richtig reden", sagte er. Sein Blick hatte etwas flehendes an sich. Ich ahnte, welche Art von Reden er meinte und zwar nicht die, die man leichtfertig auf der Veranda hielt.

"Komm rein. Du musst aber warten bis ich mich gesellschaftstauglich gemacht habe, dann können wir reden." Ich trat zur Seite und ließ ihn herein.
Das lockte ihm ein leichtes Grinsen aufs Gesicht.
"Als ob ich dich nicht schon im Schlafanzug gesehen hätte." ... und unwissentlich berührt hatte.
Ich schnaubte und wich seinem Blick aus.

Während er sich die Jacke auszog, sprintete ich nach oben ins Bad unter die Dusche.

Eine halbe Stunde später kam ich runter in die Küche, in der der schwere Geruch von Kakao hing und eine quasselnde Emily am Tresen saß und bereits ihre Tasse schlürfte.
Fröhlich sah sie mir entgegen. Entweder sie überspielte ihren Kater oder sie hatte keinen.
"Guten Morgen Sonnenschein."
"Morgen", grinste ich und betrachtete sie gespielt misstrauisch. Sie grinste mir verschwörerisch entgegen, als Ryan mir eine Tasse hinstellte. Ich bedankte mich kurz bei ihm und wandte mich meiner besten Freundin zu.
Ich verdrehte bei ihrem Blick die Augen. Oh das konnte noch heiter werden.

"Was machst du eigentlich beruflich, Ryan?" Inmitten meiner Bewegung erstarrte ich. Oh Gott. Die Befragung.
Wer weiß, die wievielte Frage das schon war. Auch ihm schien das bewusst zu sein, denn er warf mir einen kurzen Blick zu, der besagte, wie es ihm dabei ging. Mein Grinsen konnte ich nicht verbergen. Augenverdrehend wandte er sich wieder Emily zu, die unseren kurzen Blickkontakt scheinbar nicht mitbekommen hatte. Scheinbar...

"Ich habe Tiermedizin studiert und mich auf Wildtiere spezialisiert."
Emily legte den Kopf schief und dachte einige Sekunden nach.
"Das ist eigentlich praktisch, wenn man bedenkt, was ihr seid. Aber ihr seid doch auch Menschen, muss man sich da nicht eher auf Humanmedizin konzentrieren?"
"Die meisten Verletzungen, die wir uns zulegen, geschehen in Wolfsgestalt. Außerdem kann man bei Verletzungen sowieso keine großen Unterschiede machen. Die werden sowohl beim Menschen als auch beim Tier meistens gleich behandelt."
Emily nickte fasziniert, doch dann schwieg sie eine Weile.
Als mir klar wurde, dass er sich selbst verarzten konnte, schoss mir das Blut ins Gesicht. Entweder war er sich seiner Selbstheilungskräfte so bewusst oder er wollte sich von mir verarzten lassen...

Emilys Fragen holten mich aus meinen Gedanken zurück.
"Wie entsteht ihr? Ich meine, wie könnt ihr andere verwandeln? Das frage ich mich schon seit zwei Tagen." Dieses Mal war es Ryan, der erstarrte und zu mir sah.
'Du hast es ihr nicht erzählt?'
'Sie hätte dich einen Kopf kürzer gemacht. Ich weiß auch nicht, ob es jetzt sicher ist, ihr das zu sagen.'
Ich bemerkte Emys wechselnden Blick zwischen uns.
"Also worüber unterhaltet ihr euch? Es ist schon unhöflich jemanden plötzlich aus dem Gespräch auszuschließen." Ryan und ich zuckten ertappt zusammen und sahen uns völlig verstört an.
'Woher weiß sie das', fragte Ryan erschrocken.
Ich schüttelte leicht den Kopf. Von mir nicht und das schien Ryan als Antwort zu genügen.

Secret of the TimberwolvesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt