15. Kapitel

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"Du darfst ihn nicht hungern lassen. Zumindest nicht jetzt in der Anfangszeit." Mein Blick huschte zur Treppe und am oberen Ende stand dieser grünäugige Mistkerl. Wie zum Teufel kam er hier rein? Dann fiel mir ein, dass ich ja mein Schlafzimmerfenster offen gelassen hatte.
Wahrscheinlich war er an der Hauswand hinaufgeklettert, wobei ich mir das nicht so wirklich vorstellen konnte.
"Ich weiß wirklich nicht, was ihr ständig in meinem Haus wollt. Habt ihr keinen anderen Ort an den ihr gehen könnt? Oder habt ihr Angst, dass ich euch wieder aussperre, wenn ich bemerke, dass ihr in der Nähe seid?
Was stimmt mit euch nicht? Könnt ihr nicht wie normale Menschen an der Tür klingeln oder euch anderweitig bemerkbar machen?", regte ich mich auf. Er lächelte.
"Wo bliebe denn da der Spaß?"
"Es ist doch kein Spaß mehr, wenn ihr ständig bei mir einbrecht. Außerdem, ist euch nicht in den Sinn gekommen, dass ich für mich alleine sein will?"
Er seufzte auf und stieg langsam die Treppe hinunter.

"Lass ihn nicht hungern, sonst geht ihr beide zugrunde.", sagte er wieder und ging nicht mehr auf mich ein. Mistkerl.
"Wen hungern?", fragte ich, obwohl ich es schon ahnte.
"Deinen Wolf. Deine andere Hälfte, die jetzt Frischfleisch braucht, um deinen geschundenen Körper zu heilen und selbst stark zu werden."
Er sagte das, als wäre jetzt eine zweite Seele in meinem Körper.

Als schien er meine Gedanken erraten zu können, erklärte er.
"Dein Wolf ist kein eigenes Individuum. Er ist ein Teil von dir. Er ist sozusagen dein ausgeprägter Instinkt, deine stärkeren Sinne und dein starker Stoffwechsel, deine Wolfsgestalt. Also alles was deinen Wolf ausmacht. Du musst dich in der nächsten Zeit anders ernähren, damit du die Veränderung überleben kannst. Es ist verwirrend, ich weiß."
Mein Kopf lag immernoch schief als er näher kam und mich musterte.
Nur im Häschenpyjama bekleidet, lief ich rot an.
Er grinste.
"Kein passender Schlafanzug für ein Raubtier."
Ich konnte das Lachen hören, welches er mühsam unterdrückte.
Sollte er doch lachen. Sein Problem, wenn er hier ungebeten aufschlug, dass er meine Nachtwäsche sah.
Ich wollte schon etwas erwidern, da bemerkte ich eine Gestalt auf der Veranda. Nolan stand dort und betrachtete abwechselnd seinen Alpha, mich und den Kadaver.
Der Alpha nickte ihm schließlich zu und Nolan verschwand wieder im Wald.
"Iss bitte etwas von dem Fleisch. Du wirst es brauchen. Dein Körper muss sich noch von den Strapazen der Verwandlung erholen. Glaub mir, wenn ich sage, dass es dir schrecklich gehen wird, wenn du hungerst."
Das alles ließ eine Frage in mir aufkochen, ebenso wie die Hoffnung auf ein normales Leben.
"Kann der Wolf dadurch sterben, aber der Mensch weiterleben?"
Sein Blick verdüsterte sich, als ihm klar wurde, was ich für Gedanken hegte.
"Theoretisch wäre es möglich. Praktisch rate ich dir davon ab. Es haben schon einige versucht, doch immer ist der Mensch mit ihm zugrunde gegangen. Also versuche es erst gar nicht."
Mein Hoffnungsschimmer erstarb und ich sackte innerlich zusammen.
Es gab keinen Ausweg.

"Hey, guck nicht so. Du wirst schon lernen, damit zurecht zu kommen. Du wirst ein Gleichgewicht finden.", erklärte er beinah schon sanft.

Ich seufzte. Ich hatte die Nase jetzt schon voll, wie sollte ich da die Motivation finden, ein Gleichgewicht herzustellen? Meine Schulter und mein Fuß begannen wieder zu jucken und ich kratzte unauffällig, doch der Typ mir gegenüber, bemerkte es trotzdem.
Mit gerunzelter Stirn beobachtete er mich.
Er musterte jeden Zentimeter von mir mit seinen Blicken, welche schließlich an meinen Augen stehen blieben.

"Darf ich eigentlich fragen, warum du ausgerechnet mich verwandeln musstest? Hättest du dir nicht eine Andere suchen können, die du in dein Rudel stecken willst?"
Er betrachtete mich kurz abschätzend, abwägend, ob ich die Antworten auch verkraften könnte, die ich verlangte.

Er rieb sich schließlich mit einer Hand übers Gesicht, dann schüttelte er den Kopf.
"Das erkläre ich dir ein anderes Mal. Heute möchte ich dir zeigen, wie du dich verwandelst."
"Warum?"
"Warum? Damit du nicht anfängst, dich unkontrolliert zu verwandeln und plötzlich im Unterricht als Wolf da sitzt, statt als Mensch."
Oh.
Das klang einleuchtend, doch an der ganzen Sache störte mich etwas.
"Es ist ja gut und schön, dass du mich unterrichten willst, wie ich das Ding kontrollieren kann, doch eines an der ganzen Situation stört mich im Moment. Und da wir scheinbar sehr viel Zeit miteinander verbringen werden müssen, wäre es besser dieses Problem zu beheben."
Er blickte beinahe schon genervt drein.
"Und das wäre?" Auch seine Stimme klärte mich über seinen Gemütszustand auf.
"Ich weiß nicht, wie ich dich nennen soll."
Überrascht sah er mich an, dann begann er wieder zu lächeln und schließlich zu grinsen.
"Wie wärs mit 'überaus attraktiver Alpha'? Oder 'sexiest wolf alive'?"
Verblüfft sah ich auf. War das sein Ernst? Ich verdrehte genervt die Augen.
"Und dein Name?", fragte ich. War er so von sich selbst überzeugt? Oder versuchte er nur mich auf die Palme zu bringen?
Er grinste noch breiter, als er den genervten Ton hörte.
"Nenn mich Ryan."
Ich nickte.
"Darf ich mir vielleicht vorher etwas normales anziehen, bevor wir üben?"
Er musterte mich noch einmal, während ich unruhig wurde. Er musterte noch einmal kurz meinen Schlafanzug, nickte, als er einsah, dass ich so nichts machen würde und ich lief hinauf.

Als ich wieder nach unten kam, lehnte er am Küchentresen und sah mir entgegen.
"Fertig?"
Ich nickte.
Er kam auf mich zu und musterte mich von oben bis unten. Jedes kleine Detail schien er in sich aufzusaugen. Meine Hausschlappen, das Stückchen Haut das an meinen Knöcheln zu sehen war, bevor die Jogginghose anfing. Der Bund der Hose an meinem Bauch und das Tshirt, welches knapp darüber endete.
Ich müsste zu meiner Verteidigung sagen, dass ich die Kleider nicht mit Absicht gewählt hatte.
Er deutete ein Lächeln an, dann stellte er sich vor mir hin. Seine Augen verrieten nicht, was gerade in ihm vorging.

"So. Zuallererst musst du wissen, dass du mit deiner Verwandlung in den Wolf, auch deine Kleidung verlierst. Die verwandeln sich nicht mit. Du müsstest also sicherstellen, dass du genügend Verstecke für Kleider in der Umgebung hast. Du brauchst gerade jetzt in der Anfangszeit ziemlich viel Frischfleisch, also bringe ich dir am besten demnächst auch noch das Jagen bei.
Bei der Verwandlung selbst, wirst du etwas Zeit brauchen bis du sie beherrschst.
Du musst in deinem Unterbewusstsein eine Stelle finden, die sich nach dem Wolf anfühlt. Sie wird noch recht klein sein, aber je nachdem, wie stark du diese Stelle auslebst, wird sie wachsen. Am besten fängst du schon an zu suchen."
Verdutzt sah ich ihn an. Sollte das ein Scherz sein? Er beobachtete mich ruhig, machte aber keine Anstalten, mir irgendwie weiter zu helfen, also schloss ich unbeholfen die Augen und begann meine Suche.

Secret of the TimberwolvesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt