13. Kapitel

369 23 1
                                    

Am späten Nachmittag bekam ich eine Nachricht von Emily.
Sie hatte gehört, dass die Wölfe immer näher an die Stadt kamen und dass ich verflucht noch einmal vorsichtig sein sollte.
Das Problem würde sehr bald öffentlich werden, wenn sich die Beiden weiterhin so benahmen. Ich sollte sie warnen, damit nicht auch noch die Presse das Thema aufnehmen würde, andererseitswürde sich dann mein Problem mit ihnen von selbst beheben.
Nolan und der Alpha waren etwa vor einer Stunde gegangen, als sie mein Leid nicht länger mit ansehen konnten und waren seither nicht zurück gekehrt. Wobei mir der grünäugige Mistkerl auch gestohlen bleiben konnte.

Als ich am Abend Fieber bekam, ging ich wieder zurück in mein Bett. Ich tippte auf einen Virus, den ich in der Schule aufgegriffen hatte und kümmerte mich nicht weiter darum. Es würde schon vorüber gehen.
Im Bett wälzte ich mich hin und her. Nicht nur, weil mir abwechselnd warm und kalt war, sondern auch, weil der ehemalige Biss an meiner Schulter zu jucken begann.

Irgendwann begannen in meinem so schon unruhigen Schlaf, die Fieberträume.

Ich roch ihn mehr, als dass ich ihn sah.
Er kletterte durch das Fenster. In der einen Hand hatte er etwas, das den intensiven Geruch von Blut absonderte.
Ich knurrte. Mein Magen ebenfalls. Ich wollte es haben. Ich musste es haben und ich würde es auch bekommen.
Ein intensiver Blick aus grünen Augen, ein kleines warnendes Knurren, dann hatte ich es.
Ich schüttelte den Kadaver durch, bevor ich ihn auf dem Boden ablegte.

Meine Reißzähne bohrten sich in das Fleisch und ich genoss das Gefühl, als das Blut an meinen Leftzen herunterlief.
"Mach langsam! Du musst dich erst daran gewöhnen.", ermahnte er mich und machte einen Schritt auf mich zu.
Ich knurrte laut und deutlich, damit er verstand, dass er sich fern halten und mich in Ruhe lassen sollte.
Etwas verdutzt blieb er stehen, dann kauerte er sich vor mir hin. Noch immer stand ich stocksteif da und knurrte und als er langsam die Hand nach mir ausstreckte, bleckte ich die Zähne. Sollte er es doch wagen!
Er zog sie zurück, aber ich blieb angespannt. Ich schnappte mir den Hasen und ging ein Stück von ihm weg, eh ich anfing zu fressen. Er blieb die ganze Zeit auf seinem Fleck sitzen und beobachtete mich gespannt. Irgendwann war ich satt und setzte mich ihm gegenüber. Meine Pfoten gruben sich in den Teppich und wir lieferten uns ein Blickeduell, wer als erstes wegsah, verlor. Als er anfing zu lächeln, deutete ich ein Zähneblecken an. Er sollte es sich ja nicht wagen, zu reden.
Doch er tat es.
"Willkommen im Rudel, Nevaeh."
Dann verwandelte er sich, sah mich mit aufforderndem Blick an, bevor er sich abwandte und aus dem Fenster auf das Dach der Veranda und anschließend auf den Boden unter ihm sprang. Ohne weiter groß darüber nachzudenken, ließ ich mein Zimmer zurück und sprang ihm hinterher.

Mit einem Ruck wachte ich auf. Hektisch atmend und bedeckt mit Schweiß, saß ich in meinem Bett in meinem Schlafzimmer. Ich betrachtete panisch meine Hände ... keine Pfoten, keine Krallen ... puh. Alles war nur ein Traum gewesen.
Mein Herz, welches eben noch raste, beruhigte sich ganz langsam, während ich einige Momente einfach nur atmete.
Ich war allein in meinem Zimmer und nur das Fenster war offen. Frische Luft kühlte meine erhitzte Haut und ich atmete tief durch. Es war nur ein Fiebertraum gewesen. Ein Traum, um die vergangenen Ereignisse zu verarbeiten, vermutete ich.

Ich ließ mich zurück in die Kissen sinken. Es war alles gut. Ich verwandelte mich nicht in so ein Wesen. Alles war gut. Ich versuchte mich innerlich weiter zu beruhigen. Ich konnte mich gar nicht in einen Gestaltwandler verwandeln. Schon nach Nolans Erzählungen nicht. Alles was ich hatte, war eine normale Grippe und unnatürliche Fieberträume, deren Themen damit zusammenhingen, was für kranke Sachen ich in der letzten Zeit erleben musste.

Ich fuhr mir mit der Hand über das verschwitzte Gesicht und hielt dann plötzlich inne.
Irgendetwas war da. Wie eine Kruste lag es auf meinem Gesicht. Vorsichtig kratzte ich daran, aber es ging kaum ab. Stirnrunzelt setzte ich mich auf und tastete nach der Lampe. In mir stieg wieder diese Unruhe auf, die weiter zu einer leichten Panik anwuchs, je mehr ich danach tastete.
Ich stand aus meinem Bett auf.
Das Flurlicht schaltete ich gar nicht erst an und eilte weiter ins Bad. Mit jedem Schritt nahm die Unruhe zu. Hatte ich im Schlaf erbrochen? Aber das hätte ich spätestens beim Aufstehen bemerkt.
Es konnte kein Dreck sein. Ich war nicht draußen gewesen. Das Badlicht war grell und tat in den Augen weh, doch ich blinzelte die Tränen weg, die sich bildeten.
Der Spiegel war mein einziges Ziel.
Das Licht blendete mich noch immer und für einige Momente konnte ich nicht erkennen, was der große, dunkele Fleck auf meiner Wange tatsächlich war, doch als sich das Bild klärte, erstarrte ich.
Das konnte nicht sein.
Es konnte einfach nicht sein.
Ohne noch einen Blick in den Spiegel zu werfen, rannte ich zurück in mein Zimmer und schaltete die Deckenlampe an.
Dort auf dem Parkettboden, ein paar Zentimeter vor meinem Teppich, waren Blutspuren zu sehen.
Ich spürte wie meine Beine nachgaben.
Doch ich kam nicht auf dem Boden auf.
"Hey. Hey. Hey. Ganz ruhig.", sagte derjenige, der mich unter den Armen gepackt hielt und damit verhinderte, dass ich endgültig meiner Welt folgte, die in Scherben zu meinen Füßen lag.

"Atme verdammt!", forderte mich die Stimme auf. Ein Kerl. Langsam ließ er mich zu Boden gleiten, blieb aber dicht bei mir. Ich gehorchte und es fühlte sich an, als wäre es der erste Atemzug nach einer Ewigkeit unter Wasser.

Ich keuchte.
"Das ... Das kann nicht sein! Das bin ich nicht! Das kann nicht sein!", wiederholte ich und sah dabei immer wieder panisch zwischen meinem Gegenüber und dem Blutfleck auf dem Boden hin und her.
Ich sah in diesen Augen Unentschlossenheit, Verunsicherung und Zweifel. Er schien nicht zu wissen, was er sagen sollte, um mich zu beruhigen, denn, wenn er das alles abstreiten würde, würde er damit lügen. Ich spürte, wie mein Körper erneut zusammensackte, als ich keine Antwort und damit die Bestätigung meiner Befürchtungen bekam und ich lehnte mich an die Wand und kämpfte gegen die Tränen und die Übelkeit an, die sich ihren Weg bahnten.
Was sollte jetzt aus mir werden? Meine ganze geplante Zukunft konnte ich in eine Tonne werfen und verfaulen lassen.
Sollte ich etwa jetzt im Wald bei den Wölfen leben?
Was wurde aus Emily? Was wurde aus meinen Eltern, die sich einmal im Monat nach mir erkundigten oder mich besuchten?
Diese Angst, die ich seit einigen Tagen in mir trug, war Wirklichkeit geworden.

Ich kauerte mich zusammen und schluchzte leise an meine Knie.
Das durfte alles nicht wahr sein.
Das war alles nur ein schlechter Traum. 
Irgendwann spürte ich, wie sich ein Arm um mich legte und meinen zitternden Körper an einen warmen Leib zog.
Und irgendwann beruhigte sich mein Atem und die Tränen versiegten.

Ich sah auf und ich wusste ganz genau, wer als Erstes die aufsteigende Wut in mir zu spüren bekam.

Secret of the TimberwolvesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt