Ich wurde noch fünf Tage zur Beobachtung im Krankenhaus behalten, bevor ich in die Freiheit entlassen wurde.
Emily wartete mit ihrem Auto vor dem Eingang des Schlachthauses, um mich abzuholen. Sie war in den letzten Tagen ständig da gewesen, um zu erfahren, was denn nun los war und wann ich heimgehen durfte. Die Bisse, wie ich erfahren hatte, wurde ich noch ein zweites Mal an der Schulter gebissen, waren gut verheilt, aber mit meinem Bein und der Rippe musste ich noch sehr vorsichtig sein.Sie grinste, als ich in den schwarzen Polo stieg und meine Gehhilfen neben mich zwängte.
"Können wir?", fragte sie als ich angeschnallt neben ihr saß.
"Nichts wie weg von hier.", sagte ich, erleichtert, endlich wieder nach Hause zu können. Sie gab Gas und nach nur wenigen Minuten war das Krankenhaus außer Sicht. Wir fuhren die Straßen entlang und während Emily dauerhaft die Autofahrer vor sich beschimpfte, sah ich aus dem Fenster hinaus in den Wald. Er kam mir jetzt dunkler und tiefer vor und in manchen Momenten bildete ich mir ein, gelbe Wolfsaugen zu sehen. Jedes Mal zuckte ich zusammen und eine tiefliegende Angst regte sich in meiner Magengrube.
Schließlich hielt Emily vor meinem Haus und genauso mühsam, wie ich eingestiegen war, stieg ich auch wieder aus.Sie lief mit meiner und einer weiteren kleinen Reisetasche die Treppe zur Veranda hinauf und begann in ihrer Tasche zu kramen.
"Hast du vor, bei mir einzuziehen?", rief ich ihr belustigt hinterher.
"Vorrübergehend, nur um dich im Auge zu behalten und um die Wölfe abzuwehren, wenn sie dich holen wollen.", rief sie zurück und trat ins Haus. Verdutzt blieb ich stehen. Wieder kehrte diese Angst zurück und abgesehen davon, konnte ich mich von meiner geliebten Einsamkeit verabschieden. Kurz sah ich mich instinktiv um, doch es waren keine Wölfe zu sehen, vor denen ich weglaufen musste. Ich folgte meiner besten Freundin und beobachtete, wie die kleine Blondine durch den Flur fegte und Ordnung in meinem Haus schuf.
"Warum machst du das?", fragte ich verwundert. Sie sammelte meine Kleidung ein, die über dem Sofa hing und verschwand damit im Badezimmer.
Ich verdrehte die Augen, als sie mir darauf keine Antwort gab und setzte mich aufs Sofa und wartete ab.
Nach einer guten viertel Stunde setzte sie sich zu mir und sah durch die Glasfront, die zum Wald zeigte."Was machen wir heute für den Rest des Tages?", fragte sie nach einer Weile.
"Keine Ahnung.", antwortete ich.
"Jack war nicht nochmal im Krankenhaus gewesen?", fragte sie plötzlich. Während ich mich noch fragte, wie sie plötzlich auf den Gedanken kam, stupste sie mich an, um eine Antwort zu bekommen.
"Nicht, dass ich wüsste.", sagte ich und wartete ihre Reaktion ab. Sie zuckte mit den Schultern, stand auf und ging zum Kühlschrank.
"Man! Von was hast du dich bitte vor deinem Unfall ernährt? Da ist ja gar nichts drin! Wir gehen morgen einkaufen! Pizza oder etwas anderes?"
"Pizza!", rief ich, alles andere ignorierend, zurück und schaltete den Fernseher an. Etwa eine halbe Stunde später saßen wir am Esstisch in meiner Wohnküche und aßen genüsslich unsere Pizzen.
"Ich mach mich vorrübergehend im Gästezimmer breit, ok?"
"Okay." Da das Haus mir gehörte, hätte sie sich überall breit machen können. Ich hatte es von meiner Oma geerbt, nachdem sie gestorben war und meine Eltern nicht wussten, was sie mit dem Haus machen sollten.
Seitdem wohnte ich hier allein und war zufrieden und glücklich. Nebenbei arbeitete ich in den Ferien in einem kleinen Café im Ort und verdiente so genug Geld, um mir mein Essen selbst kaufen zu können. Nur selten überwiesen mir meine Eltern etwas Geld für mein Leben hier.Nachdem wir uns noch einige Stunden auf der Couch breitgemacht hatten, machten wir uns schließlich fertig und gingen ins Bett, da Emily am nächsten Tag wieder in die Schule gehen musste, was ich ihr noch ordentlich unter die Nase rieb.
Am nächsten Morgen wurde ich von einem nervigem, dauerhaften Piepen geweckt und kurz hatte ich Panik, wieder im Krankenhaus zu liegen, doch als ich die Augen öffnete, sah ich nur mein Zimmer und, dass es draußen bereits dämmerte.
Das Geräusch kam aus einem anderem Zimmer und ich brauchte einen Moment, bis mir wieder klar wurde, dass Emily vorrübergehend bei mir eingezogen war und es ihr Wecker war, der da klingelte.
Murrend wühlte ich mich aus dem Bett und stand auf, damit diese Schlafmütze nicht auch noch die Schule verschlief. Mit den Gehhilfen klopfte ich schließlich ein paar mal gegen die Zimmertür, bis ich hektische Geräusche hörte und ich mir sicher sein konnte, dass meine beste Freundin nun wach war. Ich stieg die Treppe hinunter und griff erst einmal in die Obstschale. Das war scheinbar das letzte Nahrhafte, das ich im Haus hatte.
Emily kam schließlich die Treppe hinuntergeschlurft, murrte, als sie mich mit dem Apfel in der Hand sah und steuerte geradewegs auf die Kaffeemaschiene zu.
"Das Kaffeepulver ist oben im Schrank, du Zombie.", rief ich kichernd und erntete erneut ein Murren. Während sie sich mit dem Kaffee beschäftigte, machte ich es mir auf der Couch gemütlich."Ich zieh dich heute mit in die Schule.", sagte sie und trank einen Schluck aus ihrer Tasse.
"Das kannst du vergessen, solange ich noch krankgeschrieben bin. Ich gehe da noch nicht wieder hin.", antwortete ich und grinste sie fies an.
"Wärst du nicht so lädiert, würde ich dir dafür eine knallen.", sagte sie und trank die Tasse leer, dann sah sie auf die Uhr.
"Verdammt, ich muss los." Hektisch sprang sie auf, schnappte sich ihren Rucksack, der vor der Treppe lag und sprintete zur Haustür.
"Also bis später!", rief sie, riss die Haustür auf ... und stieß einen markerschütternden Schrei aus.Ich sprang auf, ignorierte dabei sämtliche Wehwehchen an meinem Körper und hinkte, so gut ich konnte, zu meiner besten Freundin, die vor Entsetzen zurückgesprungen war und die Haustür wieder zugeknallt hatte. Diese Angst flammte wie Feuer in meinem Inneren auf und die Gedanken, dass die Wölfe zurück waren, schossen mir durch den Kopf.
Völlig verstört sah Emily auf die Haustür.
"Was ist los, Emy??? Wieso hast du geschrien? Was zum Geier ist da vor der Tür?!" Ich schrie sie beinahe an, als sie mir keine Antwort gab."Da ist Blut auf deiner Veranda.", sagte sie leiser.
"Was?!? Wieso ist da Blut auf meiner Veranda?!?"
"Keine Ahnung, es ist da. Ich wollte jetzt auch nicht genauer nachsehen, was da verblutet ist.", rief sie und ihre Stimme zitterte.
"Okay, bleib ganz ruhig. Ich geh da jetzt raus und seh mir das an, wenn es harmlos ist, ruf ich dich, wenn nicht, muss ich das regeln."
Sie nickte, sagte aber nichts.
Ich ging zum Schrank im Flur und durchsuchte ihn, bis ich schließlich fand, wonach ich suchte.
Mit der Waffe in der Hand trat ich an die Haustür.
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Secret of the Timberwolves
WerewolfNie hätte ich einen Fuß in diesen Wald gesetzt, wenn ich damals das gewusst hätte, was ich heute weiß. Nie hätte ich vermutet, dass sie mich als Beute auswählen. Doch heute, am dritten Tag, nach meinem Krankenhausaufenthalt, bemerkte ich es erneut...