24. Kapitel

338 14 1
                                    

Es war mittlerweile eine ganze Woche vergangen seitdem Emily urplötzlich in meinem Schlafzimmer gestanden hatte.
Seitdem hatte ich kaum mit ihr geredet.

Seitdem hat Ryan auch täglich versucht, mir die Verwandlung und deren Kontrolle gleichzeitig beizubringen, indem er mir beibrachte, meine Gefühle zu kontrollieren. Er schlief weiterhin im Gästezimmer und schien es auch nicht wirklich eilig zu haben,zum Rudel zurück zu kehren. Über seinen Arm auf meiner Taille und die Nähe in dieser Nacht dachte ich nicht weiter nach und sprach es auch nicht an. Es würde nur zu unangenehmen Situationen kommen.

Ich saß in der letzten Unterrichtsstunde des Tages und die Zeit wollte einfach nicht vergehen. Unsere Lehrerin schwatzte sich vorne an ihrem Rednerpult den Mund ab, während, wie immer, die Köpfe meiner Mitschüler auf den Tischen lagen.
Ich sah zum Fenster hinaus zum Wald. Mein Wolf sehnte sich seit zwei Tagen danach, anständig laufen zu können. Er rumorte in meinem Innern und kämpfte darum, herausgelassen zu werden und sich austoben zu können, doch ich ließ ihm keinen Millimeter Raum, denn, wenn ich dies zulassen würde, wäre die ganze Arbeit innerhalb einer Woche wie verraucht. Also wandte ich den Blick vom Wald ab, wenn es an dem Verwandlungspunkt juckte, damit ich irgendwie reagieren würde.

Ich fragte mich, wie lange die Jäger im Wald noch verschärft nach uns suchen würden. Ich wusste durch Nolan, dass er und das Rudel in einer Siedlung in der Nähe der Stadt untergekommen waren, welche nicht weit von mir entfernt lag.
Nolan hatte mir auch verraten, dass das Rudel ebenfalls unruhig wurde. Jeden Tag eskalierte ein Streit, erklärte er mir, wenn er vorbei kam, um Ryan auf dem Laufenden zu halten. Sei es um Nahrung, Sitzplatz oder allgemeine Rangordnung.
Alle waren angespannt, auch Ryan, auch wenn er es nicht gern zugeben würde.
Er bemühte sich, sich seine Anspannung nicht anmerken zu lassen, doch er konnte nicht verhindern, dass seine Geduld mit jedem Tag etwas mehr schwand.
Er lief oft am Fenster auf und ab, wenn ich heimkam, doch, wie ich auch, ließ er dem Wolf keinen Millimeter Raum, um diesem Drang nachzukommen.

"... es mir sagen, Nevaeh?"
Ich zuckte aus meinen Gedanken, als unsere Lehrerin nun vor meinem Tisch stand und mich eindringlich ansah. Die Hälfte der Schüler hatte den Kopf erhoben, um sie Situation zu beobachten. Ich versuchte zu erfassen, was diese Frau gerade von mir wissen wollte, blickte zur Tafel, doch daran stand nichts. Sie war schon abgewischt.

"Tut mir leid. Wie bitte?", erwiderte ich verdrossen.
Ein paar Schüler kicherten leise.
"Ich wollte nur wissen, was Sie dazu gebracht hatte, so sehnsuchtsvoll aus dem Fenster zu sehen. Normalerweise sind Sie in meinem Unterricht immer aufmerksam, oder täusche ich mich da?"
Ich knirschte mit den Zähnen. Hatte sie keine anderen Sorgen?
Es klingelte in diesem Moment endlich zum Unterrichtsende und alle standen auf.
Ich stand ebenfalls auf und packte mein Zeug zusammen, während meine Lehrerin immer noch vor mir stand und mich eindringlich ansah.
Ich handelte mehr aus einem Instinkt heraus, als, dass ich wirklich darüber nachdachte.
Ich starrte ihr geradewegs in die Augen und gab ihr eine Antwort.
"Ich kann nicht jeden Tag funktionieren.", antwortete ich schnippisch, als die meisten meiner Mitschüler schon draußen waren.
"Sie haben in den letzten Tagen aber auch nicht so funktioniert, wie ich es von Ihnen gewohnt bin. Sie sind stiller geworden und verträumter."

Ich unterdrückte ein Knurren. Sie war die Einzige, die mich noch von meinem Wochenende abhielt. Was wollte sie überhaupt von mir? Ich kann doch auch nichts dafür, dass mein Leben so aus dem Ruder gelaufen ist.
"Ich hoffe, dass ich nächste Woche wieder eine Verbesserung sehe.", sagte sie und ging zurück zu ihren Sachen, um selbst zusammen zu packen. Ich rollte genervt mit den Augen und lief an meinen glotzenden Mitschülern vorbei, in den Flur. Sie alle waren eine andere Nevaeh gewöhnt, nicht die, die es wagte einem Lehrer so zu begegnen, wie ich es gerade eben getan hatte. Sie kannten mich als beste Freundin von Emily, als die Streberin, als die Besonnene.
Gerade als ich das Gebäude verließ, fiel mir sofort die Gestalt auf, die an meinem Auto lehnte. Trotz, des verdeckten Gesichts erkannte ich, um wen es sich handelte.

Seufzend trat ich zu Nolan, der sich seine Kapuze tief ins Gesicht gezogen hatte, um sich vor dem Nieselregen zu schützen. Er nickte, als er mich bemerkte. Ich packte meine Schultasche weg und wartete darauf, dass er mir erklärte, weshalb er vor der Schule auf mich wartete.

"Ich soll dir von Ryan ausrichten, dass er heute unterwegs ist und auch nicht mehr kommen wird. Er ist wegen einer Rudelangelegenheit unterwegs."
Ich blinzelte. Das war der erste Tag, an dem ich ihn nicht sah, seitdem er mich in das Geheimnis eingeweiht hatte.

"Was genau für Rudelangelegenheiten?" , fragte ich neugierig. Ein leichtes Gefühl der Unruhe machte sich in mir breit. War irgendetwas passiert, das Nolan nicht regeln konnte?

"Ich soll dir auch ausrichten, dass ich heute mit dir üben werde." , berichtete er fies grinsend. Ein Grinsen bei dem ich ahnte, dass er etwas ganz anderes vorhatte als üben. Auf meine Frage ging Nolan nicht ein.
"Und was planst du?"
"Bist du bereit, ein weiteres Rudelmitglied kennen zu lernen?" Aufregung keimte in mir auf. Bisher hatten mich Ryan und Nolan vom Rudel fern gehalten, mit der Begründung, dass ich das Rudel erst kennenlernen würde, wenn ich bereit dafür war.
"Wen?" , fragte ich nur.
"Jasmina." , antwortete er lächelnd. Die Aufregung wurde größer. Jetzt lernte ich den Wolf kennen, der mich vor dem Erfrieren gerettet hatte.
"Okay, los gehts." , sagte ich und wir stiegen in mein Auto ein.

Nolan lotste mich zu der Siedlung, von der er mir erzählt hatte und ließ mich schließlich vor einem Haus parken. Ich stieg aus und betrachtete es.
Es war dreietagig, beige gestrichen mit schiefergrauem Dach.
Durch die offene, hölzerne Haustür drang ein lautes Scheppern, als wäre etwas herunter gefallen. Wieso ahnte ich schlimmes? Nolan lächelte mich jedoch an, als wäre es ganz normal.

"VERSCHWINDE DU RÄUDIGER KLÄFFER UND LASS DICH IN DER NÄCHSTEN ZEIT JA NICHT BLICKEN!!!!" , brüllte eine weibliche Stimme, bevor ein Junge, der etwas jünger war als ich, die Stufen hinunter und an uns vorbei rannte.
Verstört blickte ich noch einmal zu Nolan, der nur belustigt grinste und schließlich die Stufen erklomm.
"Na das ist ja ein herzlicher Empfang, Jasi." ,lachte er.
"Oh halt die Klappe!", zischte die Angesprochene und trat an die Haustür.
Mir stockte der Atem. Auch sie erstarrte und machte große Augen. Sie fand jedoch als Erste ihre Worte wieder.
"Oh, hallo Nevaeh. Schön zu sehen, dass es dir besser geht. " Mich blitzten braune Augen an, welche von den gelösten Strähnen aus ihrem blonden Zopf, fast verdeckt wurden.
"Soso. Jasmina." Ich wusste nicht, wie ich auf sie reagieren sollte. Wieder entstanden in meinem Kopf hunderte dieser Fragezeichen, die in der letzten Zeit schon Standard geworden waren. Andererseits beantwortete diese Begegnung jetzt einige andere Fragen. Zum Beispiel, warum sie immer, wenn wir uns begegnet waren, eine halbe Tonne Parfum an sich hatte.
Ryans Worte hingen mir wieder im Kopf. Es gab noch so viele andere Wolfswandler, die verdeckt zwischen den Menschen lebten und einen davon hatte ich gerade sozusagen entlarvt.
"Wie soll ich dich ab jetzt nennen? Jasmina oder Danielle?"

Secret of the TimberwolvesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt