Vorsichtig öffnete ich die Tür und schon schlug mir der Geruch von Blut entgegen und dann sah ich es. Eine riesige rote Lache begann auf meiner Holzveranda zu trocknen.
Ich drehte mich in die Richtung, aus der das Blut kam und stellte fast schon erleichtert fest, dass das Blut nicht von einem Menschen stammte. Allerdings wusste ich nicht, wie ein toter Hirsch auf meine Veranda kam."Wieso, um alles in der Welt, liegt ein Hirsch?", fragte ich und ließ die Waffe sinken. Bevor ich die Leiche weiter betrachtete, suchte ich die Umgebung ab, ob weitere Gefahren drohten, es nicht der Fall war. Sein großes Geweih versperrte den Rest der Veranda.
"Wie?!?" Emily trat an meine Seite.
"Was zum Teufel?!?" Sie war genauso verwirrt wie ich. Mit großen Augen sah sie mich an.
Ich betrachtete das tote Tier genauer und stellte fest, dass ihm die Luftröhre durchgebissen wurde und es noch andere Kampfspuren am Körper hatte. Ich spürte wieder diese Angst aufsteigen, versuchte aber noch mich zu beherrschen. Auf meiner Treppe und im Schnee davor waren blutige Pfotenabdrücke und Schleifspuren zu sehen. Mein Atem ging ruckartig und kalter Schweiß bildete sich auf meiner Stirn. Mein rasender Puls dröhnte in meinen Ohren. Langsam trat ich von der Tür zurück, die Waffe fiel auf den Boden, während ich mich immer weiter von dem Szenario entfernte und die zittrigen Hände vor dem Mund hielt.
"Sie waren hier. Sie waren wieder hier", meine Stimme klang selbst in meinen Ohren hysterisch. Sie betrachtete die Spuren eingehender.
"Schau mal, es war nur einer und der ist wieder abgezogen.", meinte Emily ruhig, die auf die Veranda trat und dabei die Blutlache umging. Mir wurde übel. Dass es nur ein Wolf gewesen war, machte das alles nicht besser, denn ich ahnte genau, welcher Wolf aus dem Rudel es gewesen war. Dieser konnte genug Schaden anrichten.
"Das ist mir egal. Sie waren wieder hier, direkt vor meiner Haustür. Noch dazu legen sie hier ihren toten Hirsch hin. Was soll das?" Ich war der Verzweiflung nahe. Sie würden mich verfolgen, bis sie mich hatten. Ich kannte die Tiere aus den Dokumentationen, sie würden mich ewig weiterjagen.
Emily atmete tief durch und unterbrach damit meine immer wirrer werdenden Gedanken.
"Ich würde sagen, dass du jetzt erstmal im Haus bleibst. Später nach der Schule kümmern wir uns um den Kadaver und danach gehen wir einkaufen. Oder du rufst einen Ranger an, der den Hirsch erledigt. Er soll ihn wieder in den Wald legen, damit das Rudel etwas zu fressen hat und sich nicht dir zuwendet."Ich atmete tief durch, um mich wieder zu beruhigen, was mir erst nach gefühlten Minuten gelang. Der Knoten in meiner Brust verschwand trotzdem nicht ganz.
"Gut, ich rufe Kirk an. Er wird wissen, was zu tun ist."
Sie nickte, lief zu ihrem Auto, wobei sie die Blutlache und die Schleifspur sorgfältig umging, und fuhr zur Schule, während ich rein ging, um Kirks Nummer rauszusuchen. Er war ein alter Freund meiner Eltern und oft im Wald, schon allein weil er im Forst arbeitete, aber auch in seiner Freizeit blieb er den Bäumen mit seinen Lebewesen nicht fern. Seine Frau hatte sich schon des öfteren beschwert, dass er erst spät am Abend nach Hause kam und dann mit matschüberzogener Kleidung. Ich sammelte meine Waffe auf, sicherte sie wieder und legte sie in den Schrank zurück.
Auf meinem Handy wählte ich schließlich Kirks Nummer und wartete.Als es wenig später an der Haustür klingelte, machte ich mich innerlich auf Kirks neugierige Fragen bereit, während ich zur Haustür lief. Das Blut hatte ich größtenteils bereits aufgewischt, nur das, was unter dem Vieh war, konnte ich logischerweise noch nicht wegwischen.
Ich öffnete die Tür und wollte bereits zur Erklärung ansetzen, als ich aufsah und bemerkte, dass es nicht Kirk war, der vor meiner Tür stand."Oh, hi."
"Hey, ich hab bemerkt, dass du wieder da bist und wollte nach dir sehen. Wie geht es dir?", fragte Jack und sah mich mit seinen grau-braunen Augen forschend an. Ich spürte, wie sich mein Herzschlag verdoppelte.
"Äh ja, besser." Ich bekam vor Überraschung fast kein Wort raus und noch dazu stotterte ich und hatte ich das Gefühl rot zu werden. Ich wartete auf die Fragen bezüglich des toten Tieres auf meiner Veranda, aber die kamen nicht, stattdessen wurde sein Blick neugierig.
"Haben die dir im Krankenhaus noch Schmerzmittel verschrieben?"
Mich verwunderte die Frage etwas, aber dennoch antwortete ich wahrheitsgemäß.
"Ja, sie haben mir eine halbe Apotheke mitgegeben, was echt krank ist, da ich sowieso nur das Wichtigste nehmen werde. Schmerzen habe ich kaum welche, daher werde ich das auch bald nicht mehr nehmen.", plapperte ich nervös vor mich hin. Er nickte und betrachtete schließlich nachdenklich das tote Tier neben sich.
"Also ich habe ja schon sehr komischen Verandaschmuck gesehen, doch das hier übertrifft alles. Wie kommt der Hirsch da hin?", er klang kaum beunruhigt, sondern eher belustigt.
"Wenn ich das wüsste.", seufzte ich und lehnte mich an den Türrahmen.
"Ich warte jetzt eigentlich auf Kirk, damit er mir hilft, das Teil da loszuwerden.", sagte ich, während er das tote Tier näher inspizierte.
"Kehlbiss, einzelne Verletzungen am Körper, das war entweder ein Wolf, Bär oder Puma."
"Jap ein Wolf, nur frage ich mich, ob das nun eine Art Vorratslager oder eine Drohung sein soll."
Er lachte auf.
"Ich glaube keins von beidem. Vielleicht ein Geschenk als Wiedergutmachung?"Fassungslos beobachtete ich ihn. Sein ernster, forschender Blick musterte das Tier, bevor er wieder zu mir sah.
"Was ist?"
"Also verarschen kann ich mich selbst Jack. Du musst nicht gleich so etwas sagen, wenn du weisst, dass meine Beispiele auch halb im Spaß dahergesagt waren."
Verwirrt blinzelte er mich an.
"Ich meinte es ernst. Du kannst ja nie wissen, was in einem Tier vor sich geht." Aber bestimmt nicht so menschliche Gefühle, wie Reue.Er sah mich mit so einem überzeugenden Ausdruck in den Augen an, dass ich sogar anfing ihm zu glauben. Irgendwie.
Ich zuckte mit den Schultern.
"Wie auch immer es gemeint war, der Hisch kommt weg. Das Rudel kann ihn wiederhaben.", sagte ich und verschränkte die Arme vor der Brust. Es war doch affig, zu denken, dass die Tiere sich bei mir entschuldigen wollten. Es war wahrscheinlicher, dass die Wölfe nur darauf warteten, dass ich nach draußen ging und sie mich endlich jagen und erlegen konnten.
Ich fröstelte kurz und rieb mir die Arme, auf denen sich eine Gänsehaut breit machte. Außerdem, warum lachte er, wenn er es doch ernst meinte?
Erst jetzt fiel mir auf, dass Jack nur eine dünne Trainingsjacke anhatte.
"Frierst du nicht?"
"Im Moment nicht. Das dauert noch etwas, bis ich damit anfange." Er grinste, bevor er zur Straße sah und das heranrollende Auto beobachtete. Es hielt vor meinem Haus und ein bulliger Mann mit Glatze stieg aus.
Er grinste uns entgegen, als er die Treppe hinaufsteigen wollte.
"Na Neve, wo drückt der Schuh?", fragte Kirk, dann fiel sein Blick auf den Hirsch.
"Ach du heilige ..."
Er starrte den Paarhufer an, als käme er von einem anderem Planeten.
"Du hast mir zwar gesagt, dass auf deiner Veranda ein totes Tier liegt, aber das hier? Ich dachte, es wäre ein Kaninchen oder etwas anderes Kleineres. Mit einem Hisch hatte ich nicht gerechnet und schon gar nicht mit dem da. Ist dir klar, was du hier liegen hast?" Mit dieser Frage wandte er sich an mich.
"Nein?" Ich lächelte nervös."Diesen Hirsch suchen die Jäger schon seit einer ganzen Weile. Er ist sowas wie das Juwel im Wald gewesen. Alle haben versucht ihn zu bekommen. Jetzt waren die Wölfe schneller." Er lachte.
"Und sie wollen ihn scheinbar nicht mal."
"Keine Ahnung. Auf jeden Fall kann er hier nicht länger liegen. Das Blut ist angetrocknet und es wird verdammt schwer, das weg zu bekommen."
Er nickte und sah Jack an.
"Hilfst du mir, Junge? Neve kann es nicht mit ihren Verletzungen." Er deutete auf mein geschientes Bein.
Jack nickte. Er war während des ganzen Gesprächs still gewesen und hatte nur zugehört, jetzt nickte er nur und packte den Hirsch am Geweih. Kirk nahm den Hirsch an den Vorderbeinen. Gemeinsam zogen sie das Tier durch den Schnee an den Waldrand und legten es erst ab, als sie die ersten Bäume passiert hatten.
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Secret of the Timberwolves
WerewolfNie hätte ich einen Fuß in diesen Wald gesetzt, wenn ich damals das gewusst hätte, was ich heute weiß. Nie hätte ich vermutet, dass sie mich als Beute auswählen. Doch heute, am dritten Tag, nach meinem Krankenhausaufenthalt, bemerkte ich es erneut...