34. Kapitel.

245 8 3
                                    

Den heutigen Tag hätte ich mir schenken können. Außer in Sport hatten wir in sämtlichen Unterrichtsstunden nur Filme gesehen.
Nun machte ich mich langsam daran, meinem Körper wieder zu trainieren. Da wir in Sport unseren Zeitvertreib selbst wählen durften, folterte ich meine schwachen Muskeln erst mit Dehnübungen und dann mit Ausdauerlauf.
Ich hatte so sehr nachgelassen, dass sogar Emily mit mir Schritt halten konnte und sie hasste Sport bis aufs Blut.
Ich lief bis meine Beine schmerzten und noch weiter.

Als die Stunde vorüber war, hielt mich der Coach noch einmal an.
"Nevaeh," begann er seufzend, "ich habe dich vorhin beobachtet. Ich weiß, dein Bein war gebrochen, sowie deine Rippe, aber ich glaube, wenn du immer noch den Wunsch hast, auf dem Gebiet Sport zu bleiben, dass es schwierig für dich wird, dein vorheriges Level wieder zu erreichen. Ob du den Aufnahmetest überhaupt schaffen wirst, bezweifle ich." Er sprach ehrlich und ich wusste selbst, dass ich massiv nachgelassen hatte, auch seitdem ich wieder die Schulbank drückte. Mir fehlte die Zeit und die Motivation meine ganze Arbeit wieder aufzuholen. Die Sache hatte sich sowieso erledigt und mit meinen Noten konnte ich mit Sicherheit auch auf ein anderes College gehen.
Der Coach sah sich auf dem Platz um, wo inzwischen alle Schüler in den Umkleiden verschwunden waren und zog meine Aufmerksamkeit wieder auf sich.
Regungslos sah ich ihn an und antwortete ihm.
"Wir sprechen nach den Ferien noch einmal."
Als er zu einem Gegenargument ansetzen wollte, hatte ich mich schon umgedreht und lief Richtung Umkleide.

Als ich endlich zuhause ankam, parkte ich mein Auto in der Garage. Da ich die nächste Woche nicht zuhause sein würde, brauchte ich es nicht und konnte es beruhigt unterstellen.
Kaum als ich die Haustür aufgeschlossen hatte, warf ich meine Tasche in die Ecke und lief nach oben, um mich zu duschen. Das riesige Pflaster das Ryan mir gestern auf den Rücken geklebt hatte, war schon heute Morgen nicht mehr zu gebrauchen gewesen und als ich es abzog, war darunter makellose Haut erschienen. Nur vier kleine bleiche Punkte waren bei genauerem Hinsehen zu erkennen gewesen.
Als ich mich geduscht und angezogen hatte, wandte ich mich an meine Tasche, die ich in den Nationalpark mitnehmen würde.
Ich hielt mich an Ryans Gebot nur alte Sachen mitzunehmen, bis auf ein Hemdkleid, das ich mir erst vor kurzem gekauft hatte. Den passenden Gürtel, mit den gleichfarbigen Schuhen und einer Leggins packte ich in die kleine Ecke, die ich dafür in der Tasche vorgesehen hatte. Man konnte mich für verrückt erklären, aber vielleicht konnte ich das noch gebrauchen.

Als ich meine Reisetasche unten an die Haustür stellte, hatte bereits die Dämmerung begonnen und ich entschied mich, mir noch etwas zu essen zu kochen.
Vorhin war ich in der oberen Etage noch durch jedes Zimmer gegangen und hatte überprüft, ob alle Fenster geschlossen waren.
Im Gästezimmer war ich länger geblieben als ich gedacht hatte.
Auch wenn das Bett abgezogen und alles gesäubert war, hing Ryans Geruch noch im Raum. Er hielt sich markant an den Möbeln und überlagerte Emilys Geruch, der langsam verschwand.

Ich machte gerade den Abwasch als es an der Haustür klingelte. Stirnrunzelnd trocknete ich meine Hände und ging zur Tür. War er etwa schon da?
Als ich öffnete, stand Ryan lächelnd vor mir. Ich trat zur Seite und ließ ihn rein.
"Bereit?"
"Nein", gestand ich und lief wieder in die Küche. Er folgte mir langsam und ließ den Blick durch den Raum schweifen, als ich mich dem Abwasch wieder zuwandte.
Schließlich blieb sein Blick an meinem Rücken hängen, genau an der Stelle, an der bis heute Morgen noch das Pflaster klebte.

Ich spannte die Muskeln an.
"Es ist alles verheilt, falls du das wissen willst."
Er kam ruhigen Schrittes näher.
"Auch keine Narben?"
Ich schüttelte vorsichtig den Kopf. Auch die würden noch mehr verblassen.
Er seufzte leise und setzte sich.
"Wie lief die Schule?", fragte er.
"Langweilig, wie immer. Der Coach meinte, dass ich mir die Vorstellung vom Sportcollage abschminken könne." Ich ließ das Wasser ab und trocknete meine Hände bevor ich mich zu ihm drehte.
Er zog die Augenbrauen zusammen.
"Und was hast du gesagt?"
"Dass wir uns nach den Ferien nochmal sprechen," erwiederte ich.
"Wölfe sind dafür bekannt, Ausdauer zu haben. Wir sollten dich also wieder aufbauen können. Aber ich kann nichts versprechen."
Ich schüttelte den Kopf. Ich wollte es allein machen. Zwar hatten die Kämpfe mit Ryan mich stärker werden lassen, aber nicht ausdauernder. Daran würde ich arbeiten müssen und das konnte ich unter bestimmten Umständen auch. Ich musste trainieren, auch wenn ich es nicht auf das Sportcollage schaffen würde. Allein der Versuch zählte.

Als könnte er meinen Gedankengang in meinen Augen ablesen, seufzte er wieder und stand auf.
"Komm! Wir fahren los. Die Anderen sind schon unterwegs. Ich habe sie vor geschickt."
Wir gingen zur Tür und bevor ich mir meine Tasche schnappen konnte, hatte er sie sich schon gekrallt und legte sie auf den Rücksitz seines dunkelgrünen Geländewagens ab, bevor er die Beifahrertür öffnete und mich wartend ansah.
Ein letztes Mal sah ich mich im Haus um, bevor ich die Haustür hinter mir zu zog und von außen abschloss.
Ich lächelte Ryan an, als ich mich setzte und er die Tür schloss, bevor er selbst einstieg.
Als er sich neben mich setzte, hielt er noch einmal inne.
"Hast du alles?"
In Gedanken ging ich noch einmal alles durch, was ich eingepackt hatte.
"Ich schätze schon," erwiederte ich. Seine schönen, grünen Augen sahen mich kurz an, bevor er sich auf das Auto konzentrierte.
Er startete den Wagen und langsam sah ich mein Haus hinter mir verschwinden.

Als Ryan aus der Stadt hinaus fuhr, konnte ich meine Fragen nicht mehr zurückhalten.
"Wie läuft das eigentlich dann alles ab? Wo schlafen wir? Was essen wir? Was machen wir dann den ganzen Tag?"
Er grinste.

"Heute Abend kommen wir erst einmal im Camp an und richten uns soweit ein. Morgen sehen wir uns um, machen die Beutetiere aus und schauen nach anderen Gestaltwandlern in unserer näheren Umgebung." Er schien alles schon irgendwie geplant zu haben.
"Ich habe mir überlegt, dass du dir mit Jasmina einen Zimmer teilst. Sie wäre auch damit einverstanden."
Eine kleine Erleichterung durchströmte mich.
Die Vorstellung mit irgendeiner fremden Person ein Zimmer teilen, ließ mich nervös hin und her rutschen. Ein anderer Gedanke kam auf.
"Aber was ist mit Nolan und ihr? Ich dachte die beiden sind so etwas wie ein Paar. Würden sie sich nicht lieber ein eigenes Zimmer teilen?"
Er hielt einen Moment inne.
"Sie werden sich schon arrangieren müssen. Ich dachte mir nur, dass du nicht unbedingt mit mir in einem kleinen Raum schlafen möchtest."
Wir wären schon zurrecht gekommen, so wie bei mir daheim auch. Daran hatte ich kaum einen Zweifel.
"Mit Jasmina komme ich schon zurrecht. Und ich würde lieber mit dir in einem Raum schlafen, als mit irgendeiner fremden Person."
Ein kleines Grinsen bildete sich auf seinen Lippen.
"Auch in einem Bett?" Sein Grinsen wurde anzüglich und ich spürte wie mir das Blut in den Kopf schoss. Mit offenem Mund starrte ich ihn fassungslos an.
Er lachte leise, als mir auf die Schnelle keine Antwort einfiel und ich ihn stattdessen an der Schulter schlug. Es lag keine Kraft hinter diesem Schlag, was ihm nur zu einem breiterem Grinsen trieb.

Schweigend sah ich aus dem Fenster.

Secret of the TimberwolvesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt