Ich kam bis zum Waldrand, als sich der, von den Wölfen gelaufene Trampelpfad in mehrere kleine Wege aufteilte.
Verdammt! Welchen Weg war Ryan gegangen?
So würde ich sie nie rechtzeitig finden können.
Verzweifelt raufte ich mir die Haare und folgte mit Blicken jedem der Wege, die tiefer in den Wald führten.Es waren fünf leichte Trampelpfade.
Ich wollte schon laut nach Ryan oder Nolan rufen, als mir eine Idee kam.
Ich schnüffelte leicht in der Luft. Ryans Geruch hing mir in der Nase und ich wandte mich in die Richtung in der sein Geruch stärker war. Instinktiv folgte ich dem Weg rechts, tiefer in den Wald hinein.
Den Zettel, den Emily mir gebracht hatte, war eingeschlossen in meiner Jackentasche.
Diese tiefsitzende Angst machte mich fast wahnsinnig, während ich durch den Schnee lief und nach weiteren Spuren Ausschau hielt.Ich lief und lief, folgte Abzweigungen und Pfaden, an denen Ryans Geruch entfernt haftete und während die Dunkelheit langsam hereinbrach, hatte es auch wieder angefangen zu schneien.
Ich hatte nichts gefunden, außer mehr Wegesabzweigungen, die immer wieder in irgendwelche Richtungen führten. Die dunkle Vermutung, dass ich Ryans Spur verloren hatte, setzte sich in mir fest.
Ich schluckte und versuchte damit den Kloß in meinem Hals herunterzuschlucken.
Es war eine völlig wahnsinnige Idee gewesen, allein in den Wald zu gehen. Ich würde Ryan in diesem grauen Labyrinth niemals finden und nach Hause würde ich auch nicht mehr finden, so viel stand fest.
Bei jeder Abbiegung im Trampelpfad war ich meinem Instinkt gefolgt, doch jetzt war ich mir nicht mehr so sicher, ob ich je die Wölfe finden würde, bevor die städtischen Jäger es taten.Auf dem Zettel in meiner Tasche stand, dass die Wölfe mit sofortiger Wirkung aus dem Bestand entnommen werden dürfen, da sie der Stadt zu nah gekommen waren und Menschenleben gefährdeten.
Es wurde zur Treibjagd ausgerufen. Ob nun Wölfe oder anderes Wild dabei erwischt wurden, war den Behörden herzlichst egal.Ryan musste gewarnt werden, damit er sein Rudel in Sicherheit bringen konnte.Wenn sie geschossen wurden ...
Wenn Ryan erschossen wurde...
Ich brauchte ihn, um dieses Wolfding lernen zu können.
Ich begann wieder zu rennen. Mittlerweile spürte ich die Tannennadeln, die in mein Gesicht piekten, kaum noch. Meine Hände waren eiskalt und ebenso gefühlslos, wie meine Füße. die Dunstwolken, die mein Atem verursachte wurden dünner.
Die Temperaturen waren rasch gesunken und der Schneefall verstärkte sich.Ich hörte erst auf zu rennen, als meine Brust zu stechen anfing. Zögernd sah ich mich um, um mich zu vergewissern, ob dies der richtige Ort für eine Pause war.
Ich stand inmitten von Tannen, deren weiße Spitzen beinah bedrohlich in den dunklen Himmel aufragten.
Die Trampelpfade, denen ich gefolgt war, waren schon längst keine mehr, sondern nur noch einzelne Pfotenabdrücke, welche schließlich sich auch hier verloren, da unter einigen Bäumen kaum Schnee lag.
"Scheiße.", fluchte ich leise. Meine Stimme war nicht mehr als ein Hauch.
Ich lehnte mich an einen Baum und ließ mich an dessen Stamm hinuntergleiten. Meine Beine zitterten vor Anstrengung."Verdammte Scheiße!"
Der Kloß in meinem Hals wurde dicker, als ich mich zusammenkauerte, um mich etwas warm zu halten.
Ich verlor jegliches Zeitgefühl indem ich nur so da saß und versuchte mich warm zu halten. Ich wusste, dass ich wieder aufstehen und weiterlaufen musste, damit ich nicht erfror. Mein Körper fühlte sich nun aber an, als wäre er eingerostet. Ich spürte, wie sich die alte Tanne im Wind bewegte und hörte, wie der Wind durch den Wald rauschte, während ich langsam aber sicher immer weiter auskühlte.
In der Ferne erklang ein einzelnes Wolfsheulen. Der winzige Funken Hoffnung, der noch in mir schimmerte, erlosch. Sie waren zu weit entfernt.
Ja, sie würden mich erst finden, wenn es zu spät war. Während ich keine Chance hatte, sie zu finden. Die Spuren, die ich vor gefühlten Stunden in den Schnee getreten hatte, waren vermutlich längst wieder ausgefüllt.
Ich schloss die Augen, legte meinen Kopf auf die Knie und konzentrierte mich nur auf meine Atmung und den langsamer werdenden Herzschlag.
...Irgendwo in der Nähe knackte es, doch ich wollte nicht aufsehen, um zu erfahren, wer oder was meine Ruhe störte. Etwas schnüffelte vorsichtig an meiner Jacke und zog sich wieder zurück. Jedes Härchen auf meinem Körper richtete sich auf.
Gefahr!
Ich wollte wissen, wem ich zum Futter diente, doch weder meine Augen, noch mein restlicher Körper funktionierte. Ich war wie zum Eisblock erstarrt.
Ganz nah an mir, begann ein Wolf zu heulen und ich konnte nur hoffen, dass es einer der Wölfe von Ryans Rudel war. Ich spürte, wie der Wolf näher kam und sich dicht an meinen Körper setzte. Warmer Atem strich über mein Gesicht, was ein unangenehmes Brennen verursachte. Nun war ich mir fast sicher, dass es einer von Ryans Mitwölfen war.
Regungslos verharrten wir so da, während wieder Hoffnung anfing, in mir zu keimen.----------------
Er lief durch den Wald, hin zu Jasminas Heulen. Sie hatte etwas gefunden und das ganze Rudel zu sich gerufen.
Nun war er nur noch wenige Meter von ihr entfernt. Das roch er. Doch er roch noch etwas anderes. Einen leichten Geruch, der fast verflog. Er kam ihm bekannt vor. Sehr bekannt sogar.
Er lief schneller und kämpfte sich durch die letzten kleineren Bäume als er die Szene erkannte und ihm beinahe das Herz stillstehen ließ.
Jasmina saß dicht neben einer zusammengekauerten Gestalt, welche er für tot erklärt hätte, wenn sie nicht leicht gezittert hätte.
Seine Schwester sah ihm entgegen.
"Als ich sie fand, kauerte sie schon einen ganze Weile da. Wenn du immernoch nicht willst, dass das Rudel sie kennenlernt und dann noch in diesem Zustand, solltest du dich beeilen."
Er nickte ihr zu und ging zu der zarten Gestalt mit den dunkelbraunen Haaren.
Er wusste, um wen es sich hier handelte und auch, dass sie sich dem Kältetot sehr nah befand.
Vorsichtig berührte er ihre Wange und langsam bewegte sie sich.
Er ahnte, wie sich ihr Genick anfühlte, deshalb ließ er ihr Zeit.
Jasmina beobachtete sie beide gespannt, rückte jedoch keinen Meter von Nevaeh ab.
Sie schaffte es schließlich ihren Kopf zu heben und ihn anzusehen.
Sie war blass. Fast so bleich, wie der Schnee, der auf den Bäumen lag. Ihre Lippen waren mittlerweile so blau, dass man fast schon denken konnte, es wäre eine Art Lippenstift. Doch in ihren Augen flackerte ein warmes Schimmern des Wiedererkennens auf, das verriet, dass sie noch nicht vollständig aufgegeben hatte."Bleib bei ihr, bis ich zurück bin. Ich beeile mich.", erklärte er Jasmina, drehte sich um und rannte zurück in die Dunkelheit des Waldes.
----------------------
"Warum, um Gottes Willen, bist du hier?", schallte es zwischen den Zweigen hervor. Ein Stein fiel mir vom Herzen, als ich Ryans Stimme hörte.
Ich holte einen tiefen zitternden Atemzug, um zu antworten, doch alles was ich hervorbrachte, war ein keuchender Hustenanfall. Meine Lunge fühlte sich an, als würde sie ebenfalls langsam zu Eis werden wollen, welches durch die plötzliche Bewegung wieder brach.
Der Wolf neben mir, bedachte mich mit einem besorgtem Blick.
Endlich trat er zwischen den Bäumen hindurch und sah mich eindringlich an. Er war in dicke Winterklamotten gepackt.
"Warum zum Teufel bist du bei dem Wetter hier draußen? Was denkst du dir dabei? Bist du etwa lebensmüde?! Willst du dem Ganzen nicht erst eine Chance geben?"
Seine Wut traf mich unvorbereitet. Seine grünen Augen starrten gnadenlos in meine. Es dauerte einige Sekunden, bis seine Worte zu mir durchdrangen. Schätzte er mich so ein?
Dachte er, ich würde mein Leben wirklich so einfach beenden wollen?
Ich bewegte meine schmerzenden Glieder und fingerte an dem Reißverschluss der Jackentasche herum. Es schmerzte, als würden sich tausende kleine Eisnadeln in meine Haut, Muskeln und Gelenke bohren.
In meiner Lunge bahnte sich der nächste Hustenanfall an.Er beobachtete mein ungeschicktes Werkeln mit zusammengezogen Augenbrauen.
"Ich...", setzte ich an und schon brach ich in Husten aus.
DU LIEST GERADE
Secret of the Timberwolves
WerewolfNie hätte ich einen Fuß in diesen Wald gesetzt, wenn ich damals das gewusst hätte, was ich heute weiß. Nie hätte ich vermutet, dass sie mich als Beute auswählen. Doch heute, am dritten Tag, nach meinem Krankenhausaufenthalt, bemerkte ich es erneut...