27. Kapitel

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Doch darauf schien Ryan gewartet zu haben. Er knurrte laut auf, als er ihm auswich. Jacks Gesicht war nun mehr verzerrt, als würde da etwas nicht ganz passen. Ich ahnte, dass er kein richtiger Mensch war, und meine Vermutung wurde bestätigt, als ich ihn genauer beobachtete.
Aus seinen Fingern ragten nun circa fünf Zentimeter lange Krallen. Länger als meine. Länger als Ryans. Ich wich ein Stück zurück.
Jacks waren gebogener und hatten beängstigende Spitzen. Und er schwang sie nach Ryan. Panik baute sich in meinem Inneren auf und ich spürte, wie sich mein Körper instinktiv verändern wollte, doch ich unterdrückte meine Angst und sah mich um. Ich musste mir etwas überlegen! Ein Wolf war Jack nicht, so viel stand fest. Egal was er auch war, er war uns einzelnen Wölfen haushoch überlegen.
Wie gelähmt beobachtete ich die Szene als Jack und Ryan sich gegenseitig taxierten.
"Hey! Hört auf!" Mein Versuch die Situation aufzulösen, glitt ins Leere.
Sie ignorierten meine Forderung, doch ich bemerkte, wie Ryan nun näher kam. Er lief rückwärts die Treppe hinauf, als ich begriff, dass er mir Rückendeckung geben wollte. Als er nahe genug war, schnappte ich mir lautlos meinen Schlüssel aus seiner Hand und schloss, so schnell ich konnte, die Tür auf. Jack durchschaute meine Aktion und wollte mich aufhalten, wurde jedoch von Ryan zurück gehalten. Er hielt ihn auf Abstand, indem er ihm die Reißzähne zeigte.
Kaum hatte ich die Tür offen, zerrte ich Ryan am Kragen hinein, bevor ich die Tür hinter uns zu schlug. Ein Körper prallte gegen die Tür, als Jack versuchte hinein zu gelangen. Dann wurde es still.
Ich wechselte einen kurzen Blick mit Ryan, bevor er sich abwandte und zum Panoramafenster lief und prüfte, ob die Tür zu war. Wir wussten beide instinktiv, dass es noch nicht vorbei war. Ich lief nach oben, um mich zu vergewissern, ob alle Fenster geschlossen waren. Gästezimmer und Bad waren dicht. Ich musste nur noch in meinem Schlafzimmer nachsehen. Ich lief den Flur entlang. Von unten ertönte ein warnender Laut von Ryan.
Ich sprintete um die Ecke hinein in mein Zimmer und erstarrte. Der Berglöwe, der mich vom Fenster aus anstarrte, erklärte was Jack nun war.
"Was willst du von mir?", fragte ich vorsichtig. Mein Instinkt schrie mich förmlich an, ihm das Ruder zu überlassen und mich zu verwandeln. Er bleckte die Zähne und kurz sah es aus, als würde er grinsen.
Ein Poltern ertönte im Haus, als Ryan die Treppe hinauf rannte. Jacks Blick glitt zur Tür in deren Rahmen Ryan gleich erscheinen würde. Er sah noch kurz mit einem Blick zu mir, der mir sagte, dass er mich noch sprechen wollte, bevor er sich umdrehte und verschwand. Ryan prallte gegen den Türrahmen und stürzte zum Fenster aber der Puma war schon außerhalb seiner Reichweite.

"Ich wusste, dass hier eine Katze lebt, aber ich wusste nicht, wer es ist." Seinem Ton konnte man entnehmen, dass er sauer war. Er wandte sich vom Fenster ab und mir zu.
"Kennst du ihn?"
"Nein. Aber sein Geruch stimmt mit dem überein, den ich in der letzten Zeit in der Hälfte der Stadt bemerkt habe."
"So riecht also Puma?" Nach Wald und Schnee, wie so vieles im Moment. Ich konnte nur einen Hauch von Eigengeruch an Jack feststellen, und das war zu kurz, um es wirklich identifizieren zu können.
"Katzen haben so wenig Eigenduft, dass du sie kaum bemerkst, wenn sie nicht überall ihr Revier markiert hätten." Er bewegte sich im Zimmer hin und her.
"Was war das jetzt überhaupt? Warum seid ihr euch sofort an die Kehle gegangen?" Er lachte kurz auf.
"Es ist das klassische Hund-Katz-Problem und wenn man sich dann noch ein Revier teilt ... naja. Ich teile nicht gern." Er warf mir einen bedeutsamen Blick zu, von dem ich nicht wusste, was ich von ihm halten sollte.

"An jeder Grenze meines Reviers sind andere Rudel und jedes davon, will ihr Gebiet erweitern. Da brauch ich nicht auch noch eine Katze, die uns das Leben hier schwer macht." Er gestikulierte, um seine Aussage zu unterstreichen. In diesem Moment fiel mir auf, dass er blutete. Nicht stark aber es reichte.
"Jack scheint dich doch erwischt zu haben.", stellte ich fest und deutete auf seinen Unterarm. Er sah kurz hin, zuckte dann mit den Schultern und wollte weiterreden, doch ich unterbrach ihn.
"Bevor du jetzt weiterredest, sollten wir da etwas drauf machen. Du weisst nicht, was an Jacks Krallen vorher war und so etwas entzündet sich schnell."
Ich schnappte ihn an seiner Hand und führte ihn hinunter in die Küche. Der erste Hilfe Koffer befand sich am gewohnten Platz und so platzierte ich Ryan an der Kücheninsel, wo er sich seufzend seinem Schicksal ergab. Auch wenn sein Arm nicht stark blutete, positionierte ich ihn auf einem Handtuch, um die Wunde zu desinfizieren. Kaum berührte das Desinfektionsmittel seine Wunde, verspannte er sich und knurrte auf, doch er blieb an Ort und Stelle.
Während ich ihm den Verband anlegte, sah er mir aufmerksam zu.
Mir war nicht klar, dass ich den Atem angehalten hatte, bis ich mit einem Knoten die kleine Binde fixierte und die Luft ausstieß. Während ich aufräumte, spürte ich ständig seinen Blick auf mir ruhen. Es lag eine Anspannung in der Luft, die man fast greifen konnte.

Plötzlich stand er so ruckartig auf, dass ich zusammenzuckte.
"Na komm! Wir gehen laufen." Kaum hatte er das gesagt, stand er auch schon in seiner Wolfsgeschalt vor mir. Seine Kleidung rings um ihn herum verteilt. Der Verband war interessanter Weise noch dran.
Perplex starrte ich ihn an.
"Ryan, sie machen doch immernoch Jagd auf uns. Noch dazu müssen wir an die Nachbarn denken. Wie erkläre ich denen, dass am hellichten Tag zwei Wölfe aus meinem Haus kommen?"
Als würde er jetzt erst begreifen, was für Folgen sein Handeln haben würde, ließ er den Kopf hängen und winselte leise.
"Ich weiß, ich werde auch immer unruhiger."

Er kam zu mir und drückte sich an meine Beine. Ich musste mich etwas dagegen stemmen, denn sonst hätte er mich aus dem Gleichgewicht gebracht. Wie bei einem Hund begann ich ihm tröstend zwischen den Ohren zu kraulen und zu meiner großen Belustigung, musste ich feststellen, dass es ihm gefiel. Er ließ die Zunge aus dem Maul hängen und schloss die Augen.
"Doch kein so großer Alpha. Kraul ihn und er liegt dir quasi zu Füßen."
Als Antwort bekam ich ein Knurren, das so viel hieß, wie: 'Halt die Klappe!'
Ich lachte auf.
Eben noch völlig entspannt, erstarrte er plötzlich und sah Richtung Haustür. Ich brauchte eine Sekunde, bis ich meine Sinne schärfte.
Eine Autotür knallte ins Schloss. Schritte näherten sich über dem Kiesweg, die Treppe hinauf auf meine Veranda. Sekunden bevor es an der Haustür klingelte.

Secret of the TimberwolvesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt