36. Kapitel

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Die Tatsache, dass Ryan jemanden so übel verletzt hatte, nur weil seine Instinkte ihn angetrieben hatten, ließ mich nicht los.
Die Frage, zu was ich in einigen Jahren fähig wäre, stieg in mir auf. Ryans Blick war auf die Straße gerichtet als ich zu ihm sah. Sein Gesicht wirkte gelöst, auch wenn er mir gerade so einen Teil seiner Vergangenheit offenbart hatte.
"Hast du je jemanden schlimmer verletzt, abgesehen von diesem Jungen?" Er antwortete lange Zeit nicht, sondern starrte auf die Straße, dass ich dachte, dass er mich gar nicht gehört hatte.
"Auch abgesehen von dir?" Seine Stimme war ernst und tief.
Zustimmend brummte ich.
Er stieß ein tiefes Seufzen aus.
"Nein habe ich nicht. Aber du solltest niemals vergessen, dass alle Gestaltwandler zum Töten fähig sind. Jack mit seinen Monsterkrallen ist ein gutes Beispiel, wir mit unseren Reißzähnen oder auch Bären mit ihrer enormen Kraft. "
Bären?!? Ich schluckte. So wie es aussah, würden wir uns gegen alles mögliche verteidigen müssen, falls ich mich falsch verhalten sollte.
"Wie viele Arten von Gestaltwandlern gibt es eigentlich noch?"
"Es gibt alles mögliche in den verschiedensten Ländern. Ich habe von Tigern in Sibirien gehört, Leoparden in Indien, Pandas in China oder Löwen in Afrika."
Mir blieb vor Staunen der Mund offen stehen. Wie konnte es sein, dass nie jemand dahintergekommen war? Wenn es so viele Gestaltwandler gab, warum waren sie noch nicht aufgeflogen?
Er warf mir einen kurzen Blick zu und begann zu lachen.
"Guck nicht so. Es sind noch viele mehr. Das sind nur die von denen ich weiß."
Ohah. Wie es schien, gab es eine ganze Welt von der ich nichts wusste.

Wir bogen nach einer Weile an einer Kreuzung auf eine Nebenstraße ab. Der Schock, den Ryan mit der Offenbarung dieser neuen Welt in mir ausgelöst hatte, ließ mich nicht los. Ich konnte mir nur schwer vorstellen, wie Löwen oder Tiger sich in Menschen verwandeln konnten.
Die Straße war älter und wies immer wieder Flicken auf. Wegen des Geschaukel war es mir unmöglich noch einmal einzuschlafen.
Ryan ließ leise Musik laufen, während er sich bemühte, den schlimmsten Schlaglöchern auszuweichen. Wenn er doch eines erwischte, murrte er unzufrieden.
Bald bestand die Straße nur noch aus grobem Kies, der von den Rädern aufgeschleudert wurde, wenn Ryan zu schnell fuhr.
Wie es schien hatte er die Nase voll und wollte nur noch endlich ankommen. Er rieb sich öfter über die Augen als mir lieb war, doch eine Ablösung durch mich hatte er bereits abgelehnt.
Es wäre für das Rudel irritierend, wenn sie sahen, dass ich mit seinem Wagen vorfuhr, hatte er gesagt. Da ich das nicht einschätzen konnte, hatte ich den Mund gehalten. Nolan hätte bestimmt nichts dagegen gehabt. Jasmina erst recht nicht. Aber der Rest?
Den konnte ich nicht einschätzen.

Wir fuhren an einem großem Holzschild vorbei, das uns im Nationalpark willkommen hieß. Wie auf einen Schlag rappelte sich Ryan auf, wirkte mit einem Mal hellwach, als hätte er Kaffee direkt in die Vene bekommen. Auch ich richtete mich auf und sah den Wald ab.
"Hier gelten tierische Gesetze. Die Arten dürfen hier nicht miteinander kämpfen aber Rangfolgenkämpfe sind noch gestattet. Was immer du tust, wende ihnen nicht den Rücken zu. Wir sind gleich am Camp. Jeder Bungalow hat zwei Schlafzimmer. Du und Jasmina in einem Zimmer. Nolan und ich im anderen. Wenn du Fragen hast beziehungsweise unsicher bist, frag mich, wenn wir beide unter uns sind. Nolan und Jasi sind mir gegenüber zwar loyal, aber auch dem Rudel gegenüber. Wenn sie merken, dass etwas nicht stimmt, regeln sie es auf ihre Weise."
Stumm nickte ich. Die Aufregung in meinem Inneren ballte sich zusammen und beinahe verkrampfte ich mich. Der erste Eindruck zählte, doch welchen sollten sie alle von mir haben?
"Unseren Bungalow suche ich aus. Den Rest soll das Rudel unter sich ausmachen, auch wer sich mit wem ein Zimmer teilt."

Hinter der nächsten Biegung erwartete uns ein von Laternen grell erleuchteter Platz, umgeben von Bäumen, die ihre frischen, jungen Blätter gerade entwickelten. Für einen Moment musste ich die Augen schließen, bis sie sich, nach stundenlanger Dunkelheit, an das Licht gewöhnt hatten. Als dies der Fall war, staunte ich nicht schlecht. Der Kiesweg führte in eine Art Kreisel, an dessen Rand zahlreiche Bungalows im Blockhausstiel errichtet worden waren. In der Mitte des Kreisels befand sich ein Lagerfeuerplatz mit Grillmöglichkeit und einigen Sitzbänken, auf denen bereits ein paar junge Leute saßen und mit neugierigen Blicken den Wagen verfolgten.  Ryan lenkte den Wagen vor eines der mittleren Bungalows und schaltete den Motor ab. Tief atmete ich durch, um meine Aufregung zu dämpfen.
"Du schaffst das. Halte dich an das, was ich dir gesagt habe.", erklärte Ryan bevor er die Tür öffnete und ausstieg. Unmittelbar folgte ich ihm an den Kofferraum. Ryan schnappte sich gerade seine Tasche und warf sie sich über die Schulter, als eine Stimme vom Lagerfeuer her ertönte.
"Nevaeh komm doch zu uns rüber. Mein Bruder hat bestimmt seine Manieren nicht vergessen und kümmert sich um dein Gepäck."
Jasmina lehnte sich auf der Bank nach hinten, um an einer anderen Person vobeisehen zu können.

Kurz wechselte ich einen Blick mit Ryan. Stumm schien er zu sagen:
'Geh ruhig', bevor er sich zu seiner Schwester drehte und sie lautstark anknurrte. Meine Nackenhaare stellten sich auf, als Jasmina provozierend kicherte.
Ich unterdrückte jegliche nervösen Handlungen und lief festen Schrittes geradewegs auf Jasmina und das Rudel, das sich dort versammelt hatte, zu. Es bestand hauptsächlich aus Leuten, die höchstens ein paar Jahre älter als ich waren. Alle begutachteten mich neugierig als ich am Rand des Kreises stehen blieb.
"Hallo, ich bin Nevaeh." Sieben Augenpaare musterten mich eindringlich. Auch ich betrachtete die Runde. Außer Jasmina kannte ich keinen von ihnen. Nolan war auch nirgends zu sehen und auch der Junge aus Jasminas Haus nicht.
Ich versuchte, mir meine Anspannung nicht anmerken zu lassen und ging zu Jasmina hinüber, die mich direkt in ein Gespräch verwickelte, kaum, als ich mich neben sie gesetzt hatte. Um uns herum, nahmen auch die Gespräche der anderen wieder Fahrt auf.
"Wie war die Fahrt? Seid ihr gut durchgekommen? Ally und ich mussten zwischendurch halten, weil wir ein paar ziemlich dicke Hasen gefunden haben. Ganz schön ungewöhnlich, die zu dieser Zeit, so fett zu sehen."
Das rothaarige Mädchen, an dem sie eben vobeisehen musste, um nach mir zu rufen, lehnte sich nun vor und lächelte.
"Es wäre eine Verschwendung gewesen, nicht zu halten. Hi ich bin Allison."
Sie streckte mir mit offenherzigem Lächeln die Hand entgegen. Lächelnd nahm ich sie.
Innerlich ermahnte ich mich allerdings ihr nicht zu schnell zu vertrauen. Sie war im Rang zwar erst nach Jasmina, konnte mir aber das Leben im Rudel ziemlich vermiesen, wenn ich mich falsch verhielt.

"Du bist also das Mädchen, das Ryan ausgewählt hat. Als ich dich das letzte Mal gesehen habe, hast du versucht, auf das Dach zu klettern." Die Runde wurde still und ein warnendes Knurren kam von Jasmina. Alle sahen entweder Allison oder mich an.
"Nichts für ungut, Nevaeh. Ich fand es doch recht beeindruckend, wie du uns fast entkommen wärst und das, obwohl du nur ein Mensch warst."
Ich nickte. Das sollte wohl ein Kompliment sein. Die restlichen Rudelmitglieder taten nun wieder so, als würden sie nicht zuhören.
"Wie war deine erste Verwandlung?" Himmel war die neugierig.
"Schmerzhaft und merkwürdig." Neugierig sah sie mich an und wollte schon weitere Fragen stellen, da verstummte das Rudel wieder.
Ryan trat mit Nolan an das Feuer.
"Jasmina, Nevaeh, Nolan und ich nehmen das mittlere Bungalow, vor dem mein Auto steht. Den Rest macht ihr unter euch aus. Ich muss euch die beiden Damen jetzt für eine Weile wegnehmen. Wir haben noch etwas zu besprechen."
Jasmina und ich standen auf und gesellten uns zu den beiden, doch bevor wir uns zum Bungalow umdrehen konnte, stand eine schwarzhaarige Schönheit auf, die ich zuvor noch gar nicht bemerkt hatte. Oder zumindest nicht groß beachtet.
Jetzt klimperte sie mit ihren langen schwarzen Wimpern zum Alpha.
"Ryan, hättest du später noch Zeit? Ich müsste noch etwas Wichtiges mit dir besprechen."
Stirnrunzelnd sah er sie an, bevor er nickte. Innerlich kam mir die Galle hoch, als sie zu mir sah und ich konnte schwören, dass in ihren Augen eine Art Zorn zu sehen war. Instinktiv richtete ich mich auf und erwiderte ihren Blick.
Also hatte sie schon ein Problem mit mir.

Secret of the TimberwolvesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt