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POV Alisa

„Nummer 309!", brüllte der schlanke Mann über den grauen Platz. Ich zuckte zusammen wie jedes Mal, wenn er so brüllte. „NEIN!", eine junge Frau, drei Plätze neben mir, schrie und weinte doch die Wachen packten sie am Kragen und zerrten sie vor. So unauffällig wie möglich sah ich mich um bis ich Kathrin entdeckte. Ihr Blick war starr nach vorne gerichtet. Nach wie vor wollte sie keine Schwäche zeigen. Ich erkannte sie kaum mehr mit den kurzen Stoppelhaaren auf dem Kopf und der abgemagerten Figur. Sie war nur noch ein Schatten ihrer selbst. Doch auch mir hatten sie die Haare ab rasiert und zu Essen gab es hier so gut wie nichts. Wir trugen alle die grau weiß gestreifte Sträflingskleidung. So wie jeder Insasse des Heilungslagers. Insassin Nummer 309 wurde nach vorne gezerrt. Sie sollte sich nicht so anstellen. Vor drei Tagen hatte sie noch lauter gebrüllt. Die Nummer die dieser Insasse damals trug wusste ich nicht mehr. Doch sie hatte damals auch gebrüllt und geschrien. Sie hatte einen Namen geschrien. Lia hatte sie gebrüllt als man die Frau vorne an die Wand stellte zu den anderen. Dann war sie erschossen worden. Zusammen mit den anderen. Nun würde Insasse Nummer 309 zu ihrer Lia kommen. War es nicht sogar ein Segen dass sie aus der Hölle hier herauskam? Naja... das redete ich mir jedenfalls ein. wenn ich kurz vorm durchdrehen war und die Angst mich übermannte. „Und noch eine...", der Aufseher sah auf sein Klemmbrett und ich flehte zu Gott, dass er nicht Nummer 306 nannte und ich den Tag überleben dürfte. „Insasse Nummer 6..." Gott sei Dank... „Nummer 601!", rief er. Alle Farbe entfloh meinem Gesicht und ich starrte zu ihr. Kathrin schritt vor. „KATHRIN!", brüllte ich. „Halts Maul!", sofort schlug mir ein Wachmann, der hinter mir stand, seine Faust ins Gesicht. Kathrin trat vor doch als sie sah, dass er mich schlug fuhr sie herum, rannte zu mir und schlug dem Mann ins Gesicht. Ein Fehler. Das wussten wir beide. Zwei Wachen packten sie. „Dumme Schlampe. Dreckige Lesbe!", knurrte einer und legte ihr Handschellen an bevor sie sie zu der Reihe der anderen Frauen, es waren mit Kathrin fünf, schliffen. „NEIN! Oh bitte... NEIN!", flehte ich unter Tränen. „ANLEGEN!", befahl der Aufseher und die Soldaten, die vor der Wand standen legten ihre Gewehre an. Kathrin gab ein bitteres Lachen von sich welches über den Platz schallte. Leise und bedrohlich. Es erinnerte mich an die Stärke meiner Geliebten. „WAS LACHST DU?", brüllte der Aufseher. „Es ist so ironisch.", schallte die Stimme meiner Geliebten über den Platz. Ich genoss sie und prägte sie mir ein. „Was?", wollte er wissen. „Na eure Waffen! Schaut auf das Siegel!", grinste Kathrin. Der Aufseher sah auf das Gewehr neben ihm und lachte auf. „Da hast du recht. Gebaut von der Firma Flexing. Das warst du, oder, Schlampe?", grinste er. „Ja. Ich bin Kathrin Flexing. Besitzerin und Chefin der Firma Flexing für Metallba..." „Jetzt nicht mehr.", unterbrach er sie und grinste. „Hier bist du nur eine dreckige, kleine Schlampe. Weniger wert als eine Ratte. Feuer!", befahl er. „NEIN!", brüllte ich doch schon schallten die Schüsse über den Platz und Kathrin fiel zusammen mit den anderen Frauen um wie ein nasser Sack. Ich starrte dorthin. Wie schnell das Leben aus meiner Geliebten geflossen war. Gerade noch hatte sie sich versucht gegen den Aufseher zu behaupten und nun... tot... „So. Genug des Spektakels. Heute Abend nochmal fünf! Und jetzt weiter an die Arbeit! Denn ihr wisst doch! Arbeit macht frei! Frei von allen unsittlichen Gedanken.", rief er. Ich schluckte. Kathrin hatte diesen Satz nie verstanden. Man hatte sie nie auf dieselbe Weise in Geschichte unterrichtet wie man mich unterrichtet hatte. Arbeit macht frei... für sie bedeutete der Satz einfach nur, was die Nazis uns einbläuten. Harte Arbeit wusch den Geist rein. Doch das war erstens eine Lüge, das wussten wir alle, und zweitens... zweitens war das der Satz der über den Toren Ausschwitz stand. „Du sollst weiter!", brüllte ein Wachmann hinter mir. „Halt!", rief der Aufseher und trat zu uns. „Alisa Werkers? Nicht wahr? Du und Kathrin hatten ein Verhältnis?", grinste er. „Deshalb bin ich hier.", meinte ich kalt. „Bringt sie vor! Zeigt ihr ihre Kathrin! Zeigt ihr, was aus ihr wird.", grinste er. Ich weinte nur weiter. Man zwang mich neben Kathrins Leiche auf die Knie und ich weinte weiter. Kathrin... meine Geliebte... „NEIN!", brüllte ich als es mir so richtig bewusst wurde, dass sie, deren Bett an der anderen Seite der Baracke war in der wir untergebracht waren, heute Nacht nicht in meine Augen sehen würde bevor ich einschlief. Dass die Frau, die mir Kraft in dieser Hölle gegeben hatte tot war. „Willst du ihr ein Küsschen geben? Deinem Schatz?", grinste er und hob Kathrins Kopf an. Ihre Auge waren geöffnet doch darin glänzte kein Leben mehr. „Gib ihr einen Kuss. Noch etwas Lippenstift?", grinste er, tippte auf ihre Brust, in die klaffende Schusswunde, und beschmierte Kathrins blasse Lippen mit ihrem eigenen Blut. Dieses widerliche Schwein... „Kath...", wimmerte ich. „Und wenn du brav bist...", ich spürte den Lauf einer Waffe an meinem Hinterkopf als Kathrins Leiche wieder zu Boden fiel. „Folgst du ihr morgen.", grinste er und ich spürte wie er mir einen sanften, spöttischen Kuss auf die Halsbeuge gab. Ich weinte nur weiter. „So. Ich glaube sie ist heute von der Arbeit freigestellt. Vielleicht braucht sie jetzt etwas Zärtlichkeit. Was ist, Männer? Jemand Lust?", grinste er. Die Wachen lachten dreckig und ich zappelte doch packten sie mich und zerrten mich zu den Baracken der Wachen. Und so sehr ich mich wehrte, ich hatte keine Chance.

„Alisa?", Kathrin rüttelte an mir. Ich starrte sie an und sah mich um. Wir waren hier. In Kathrins Schlafzimmer... es war nicht das erste Mal gewesen, dass ich einen solchen Albtraum hatte. Ich sagte nichts auch nichts auf Kathrins besorgtes Gesicht hin. Ich drückte mich einfach nur an sie und beruhigte mich indem ich ihre Haut auf meiner spürte. Hier war es leichter. Wenn Kathrin in meinen Träumen starb so war ich meist dann nach dem Aufwachen allein und ängstlich. Hier hatte ich wenigstens Kathrin und konnte ihren Herzschlag spüren. Sie lebte. Und lag neben mir. „Alisa? Alles okay?", wollte Kathrin wissen. Ich nickte. „J... Ja... mach dir keine Sorgen... ich hatte nur einen Albtraum...", erklärte ich knapp. Sie nickte. Sie wusste, dass ich nun nicht reden wollte. Und das respektierte sie.

Die Fehler die wir machtenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt