|Kapitel 25 - Lichtermeer|

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Mein beinahe Ertrinken und die damit verbundene Panik bringt das Fass endgültig zum Überlaufen. Der gesamte Tag, die Aufregung und Verzweiflung fordern seinen Tribut. Vermutlich ist der Grund für meinen völligen Zusammenbruch aber auch schon Jahre in der Vergangenheit zu suchen. Die permanente Belastung, der ich schon Ewigkeiten ausgesetzt bin und die jetzt in einer geballten Ladung über mir zusammenschlägt.

Ich kann mich nicht länger beherrschen. Ich schaffe es einfach nicht. So sehr ich es mir auch wünsche. Doch die steinerne Maske, die ich schon so lange trage, um meine wahren Gefühle sorgfältig zu verstecken entgleitet meinen tauben Fingerspitzen und versinkt mit meinen heißen Tränen im Wasser. Aus dem brodelnden Vulkan ist in Sekundenschnelle ein rauschender Wasserfall entstanden, dem ich nichts entgegensetzen habe. Mit dem Gefühl innerlich zu zerbrechen und nie wieder eins zu werden, wenn er mich jetzt allein lassen sollte, klammere ich mich an ihn.

Doch Ryan geht nicht. Weiß der Teufel, warum. Ich hätte ihn sogar verstanden, wenn er mich ertrinken lassen würde. Wahrscheinlich hätte ich es andersherum genauso gehandhabt. Aber seine starken Arme halten mich fest und geben mir den Halt, den ich nun so dringend benötige. Dabei flüstert er mir in einem stetigen Schwall beruhigende Worte zu, die ich nicht verstehe. In meinen Ohren rauscht es zu laut, während mir all der Frust und Ärger aus der Kehle quillt.
Ich fühle mich derweil erbärmlich. Nutzlos. Wie eine komplette Versagerin. Ein Niemand. Für das Monster, für das mich meine Schwester hält und welches selbst Ms Bright in mir schlummern sieht.

Sie alle sehen es in mir. Und sie haben recht. Das Eingeständnis schmeckt bitter auf meiner Zunge, doch verdrängt es endlich die vielen Tränen. Mein Kopf klärt sich schlagartig und ich werde mir bewusst, dass ich mich an Ryan festklammere, als hinge mein Leben davon ab. Vorsichtig löse ich meinen verzweifelten Griff um seinen Hals und den meiner Beine, um seiner Hüfte. Großer Gott, ich weiß nicht mal mehr, wann es zu letzterem gekommen ist.
»Alles in Ordnung?« Ryans stimme gleicht dem hauchzarten Flügelschlags eines Schmetterlings, so sanft ist sie.

»Ich ...« Mir fehlen die Worte, so fremd hört er sich an. Aus seinen eisblauen Augen ist jegliche Kälte gewichen, während sein Mund zu einem kaum merklichen Lächeln verzogen ist. Das sandblonde Haar klebt ihm durchnässt am Kopf, sodass seine hohen Wangenknochen noch mehr herausstechen. Eine Strähne hat sich gelöst, hängt ihm ins Gesicht und es juckt mich in den Fingern sie zurück zustreichen.
Ruckartig versuche ich Abstand zwischen uns zu bringen, als ich bemerke, wie nah wir uns noch immer sind. Viel zu nah. So nah, dass ich seinen heißen Atem auf meiner Wange spüren kann. Außerdem scheinen seine Hände auf meiner Taille gerade eine Loch in das graue Kleid zu brennen.

»Lass mich los!«, herrsche ich ihn an, als er sich weigert mich frei zugeben und strampele verärgert.
»Dann ertrinkst du«, rügt er mich sanft und zieht mich nur noch näher. Hält mich, wie es vor ihm noch keiner getan hat. Unsere Nasenspitzen sind kurz davor sich zu berühren. »Und das möchte ich nicht.« Ein wohliger Schauer rinnt über meinem Rücken und verpasst mir prompt eine Gänsehaut.

»Lyra.« Bilde ich mir das nur ein oder klingt Ryans Stimme etwas kratzig? Wir sind uns mittlerweile so nahe, dass ich den feinen silbernen Ring in seinen Augen erkennen kann. Fasziniert sehe ich dabei zu, wie sich dieser stetig weiter verdunkelt, umso mehr er sich zu mir vor beugt. Es fehlt nur noch ein kleines Stück und ich könnte ihn küssen. Nur ein Stück ... Panik kriecht mir in die Glieder.
»Stopp!« Das Wort kommt mir kalt und klar über die Lippen. Ryan erstarrt mitten in der Bewegung und ich sehe, wie die Kälte in sein Gesicht zurückkehrt. Und noch bevor der sandblonde Mann reagieren kann, habe ich mich auch schon von ihm abgestoßen. »Hör auf!«
»Lyra, bitte ...«

»Nein, lass es«, unterbreche ich ihn barsch und weiche erneut vor ihm zurück. Dieser starrt mich so sprachlos an, als könne er selbst nicht glauben, dass er gerade einen Korb bekommt.
»Lyra.« Obwohl? Er glotzt eher so, als ob ich mich jede Sekunde in einen menschenfressenden Echo verwandeln würde. Sein Ego kennt wirklich keine Grenzen. Als er das dritte Mal meinen Namen sagt, habe ich die Schnauze voll.
»Was?!« Ryan fängt sich wieder und kneift die Augen zu Schlitzen zusammen.
»Du kannst schwimmen.« Mir entfährt ein trockenes Lachen. Jetzt ist er vollkommen übergeschnappt.

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