|Kapitel 31 - Umdenken|

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Ich bleibe so lange vor meinem Tablett sitzen, bis die Cafeteria leer ist und ich nur noch das Küchenpersonal arbeiten höre. Sie kratzen die Essensreste aus den Töpfen, waschen auf und reinigen die Tische. Als die stämmige Frau an meinem Platz ankommt, grunzt sie lediglich um mich davon zu scheuchen. Den blauen Plastikeimer in ihrer Hand lässt sie schwungvoll auf die Platte fallen, sodass das Wasser überschwappt und mir über die Finger läuft.

Mit zusammengezogenen Augenbrauen starre ich sie an und stehe schließlich auf. Ich will nach dem Metalltablett greifen, doch sie zieht es weg, bevor ich es zu fassen bekomme und deutet auf den Ausgang. Ich bleibe stehen und mustere sie für eine quälende Sekunde. Der Schweißtropfen auf ihrer Stirn verrät sie. Denn obwohl sie es zu verstecken versucht, hat sie doch Angst vor mir. Sie unterschätzt mich nicht. Klug.
»Das Essen könnte mehr Salz vertragen. Schmeckt wie Papier«, lasse ich sie noch wissen, bevor ich mich auf dem Weg zu meinem Zimmer mache. Ihre Reaktion warte ich nicht ab.

Bereits von Weitem bemerke ich Ryan, der mit verschränkten Armen auf dem Gang herumlungert und nur von einer Gruppe Robenträger davon abgehalten wird auf mich los zu stürmen. Was denkt er sich eigentlich dabei? Es ist viel zu gefährlich uns in der Öffentlichkeit zusammen zu zeigen. Er ist viel zu leichtsinnig, denke ich noch, da biegt das schwarzhaarige Mädchen von vorhin um die Ecke und wirft sich blindlings in Ryans Arme. Einen kurzen Moment scheint es, als hätte sie ihn damit vollkommen aus der Bahn geworfen, doch dann lächelt er strahlend und gibt ihr einen innigen Kuss auf die vollen Lippen. Ich beiße mir auf die Lippen, um nicht zu schreien, als die kleine Gruppe Ratsmitglieder über mich zu tuscheln beginnt und immer wieder zwischen Ryan und mir hin und her sieht.

Überdeutlich lassen sie mich wissen, dass sie mich für eine »dreckige Schlampe« halten, obwohl doch immer zwei dazu gehören, wenn es der Wahrheit entsprechen würde. Aber Ryan hat da wohl als Mann einen Freibrief, obwohl er schon der Nächsten die Zunge in den Hals steckt.
Ich will gerade den Mund aufmachen, doch dann besinne ich mich eines Besseren und warte einfach ab. Gestern hat er noch gesagt, dass ich wunderbar sei und mich nicht schämen sollte. Und heute? Ryan sieht mich zwar an, greift aber nicht in das Geschehen ein. Da habe ich meine Antwort. Es war richtig, ihm diesbezüglich nicht zu glauben.

»Fick dich«, forme ich mit den Lippen und verwerfe den Gedanken mich in mein Zimmer zu verkriechen und somit an dem Liebespaar vorbei zu müssen. Stattdessen mache ich auf den Absatz kehrt und marschiere in die Schwimmhalle. Da ich ohnehin bis heute Abend nichts weiteres vor habe, kann ich wenigstens meine Schwimmfertigkeiten testen und gegebenenfalls verbessern. Wut war schon immer ein guter Antrieb für mich. 

Am hellichten Tag ist das Becken mehr als gut besucht. Mehrere Schwimmer ziehen mit geschmeidigen und kraftvollen Bewegungen ihre Bahnen. Ein großgewachsener Mann mit blau gefärbten Haaren und wohl gebräunter Haut steht am Beckenrand und schreit ihnen Anweisungen zu. Als er mich nach einiger Zeit bemerkt, schlendert er zu meiner Verwunderung gemächlich auf mich zu.

»Hi«, grüßt er mich lässig und lächelt doch tatsächlich. Entweder der Kerl weiß noch nicht wer ich bin, oder er ist einfach nur dämlich.
»Hi.«
»Lyra, richtig?«
»Ja, und du bist?«, hake ich grimmig nach, was den Mann zum Lachen bringt.

»Immer so misstrauisch?« Seine saphierblauen Augen blitzen vergnügt und schaffen es irgendwie den Brand in meinem Inneren zu löschen. Ich zucke die Achseln.
»Lernt man als erstes, wenn die Nachbarn Mördern und Räuber sind.« Er lacht. Er lacht, verdammte Scheiße!
»Gutes Argument. Na dann will ich mich doch mal vorstellen: Kane Saunders, mein Name. Ich sorge für den sportlichen Ausgleich bei unseren oftmals bewegungsfaulen Ratsmitgliedern. Lust auf eine Partie Wasserball in zehn Minuten?«

Er muss bekloppt sein oder verrückt mich das zu fragen. Aber mir gefällt seine unkomplizierte Art und wie ihm meine Herkunft nicht im geringsten zu stören scheint.
»Ich habe keine Ahnung, was das sein soll. Außerdem kann ich nicht wirklich gut schwimmen und wollte nur etwas üben«, erkläre ich und sehe mich nervös um, doch niemand starrt uns an. Kane hebt entschuldigend die Hände, als er seinen Tritt ins Fettnäpfchen bemerkt, wirkt aber keinesfalls weniger enthusiastisch.
»Okay, dann kein Wasserball. Ich mach dir die äußere Bahn frei, damit du dich notfalls am Beckenrand erholen kannst. Beim Schwimmen kann man prima den Kopf frei bekommen und seine Ausdauer trainieren. Wie wäre das?«

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