|Kapitel 16 - Gespräche|

697 57 0
                                    

Als ich die Treppe nach unten gehe und das üppige Wohnzimmer betrete bin ich allein. Aufmerksam mustere ich meine Umgebung, kann aber keine schwarzgekleideten Wachen sehen, die sich im Schatten aufhalten, um mich notfalls zu stellen. Mir kommt der Gedanke, ob die Wohnungstür überhaupt verschlossen ist und es auffallen würde, wenn ich versuchen würde mich aus dem Staub zu machen. Womöglich könnte ich mich in diesem neuen Aufzug mehrere Tage lang versteckt halten, bis sie mich schnappen würden. Eventuell schaffte ich es auch hier raus und zurück zu Skara. Dann könnte ich dieses ganze Durcheinander und vor allem Farang vergessen. Es wäre alles wieder wie zuvor.

Ich schüttele wütend über mich und diese Naivität den Kopf. Wem mache ich schon etwas vor? Es wird nie wieder so sein wie vorher, da mein Vater jetzt weiß, wo er mich finden kann und dass ich noch lebe. Außerdem habe ich mich ins DCD geschlichen und den »ollen Kenny« im Labor gesehen. Diese Sicherheitslücke will er bestimmt schließen. Vermutlich hat er auch schon dafür gesorgt, dass ich als Schwerverbrecher direkt eine Kugel in den Schädel geblasen bekomme, sollte die Regierung mich jemals aufgreifen. Mir sind verdammt nochmal die Hände gebunden, während mir die Kontrolle stetig weiter zu entgleiten scheint.

Ich unterbinde meinen unmöglichen Fluchtversuch bevor er überhaupt beginnen kann und suche die Küche auf. Mrs Connors wuselt Geschäftig darin herum, sucht alle möglichen Zutaten zusammen und schafft es dabei beinahe einen Teller zu Bruch gehen zu lassen. Bevor das feine Porzellan auf dem Fliesenboden zerschellen kann, fange ich es auf.
»Ach du Schande, war das knapp. Ich bin heute so ungeschickt. Ich danke Ihnen«, schmunzelt die quirlige Frau und nimmt mir den Teller aus der Hand. Ich sehe ihr an, dass sie mich am liebsten berührt hätte, doch sie hält sich zurück.
»Kein Problem«, murmele ich leicht verlegen und versuche einen Blick in die vielen Töpfe zu erhaschen. Der Duft der in der Küche herrscht lässt meinen Magen knurren. Am liebsten würde ich mich sofort darauf stürzen, ohne Rücksicht auf Verluste. Doch ich bin nicht länger in Distrikt 2, wo diese Reaktion als selbstverständlich angesehen wird.

Vermutlich würde ich aussehen wie ein Junkie auf Entzug. Ich würde der Haushälterin den Schreck ihres Lebens einjagen. Um mich daran zu erinnern, dass ich die Aktion jetzt nicht bringen kann, kneife ich mir mit aller Kraft in den Arm. Der Schmerz lenkt mich von meinem Hunger ab.
»Oh nein. Das ist eine Überraschung, meine Liebe. Lunsen verboten«, beendet Mrs Connors meine Spionageversuche sofort und befördert mich mit einem Lächeln nach draußen. Sie zeigt auf eine große zweiflüglige Verbindungstür. »Ihr Vater erwartet Sie bereits im Speisezimmer. Sie sollten Ihn nicht zu lange warten lassen.«

Sofort steigt bittere Galle in mir auf und mir wird schlecht. Doch ich lasse es mir nicht anmerken und bedanke mich artig für diesen Hinweis. In den vergangenen sieben Jahren war ich nicht mehr so höflich. Na ja, ich hatte auch keinen Anlass dazu. Oder hätte ich etwa lieb fragen sollen, ob die Menschen ihre Taschen für mich leeren würden? Sicher hätten sie das getan. Ebenso wie sie mir einen fetten Brotlaib in die Hand gedrückt hätten.
»Die neue Frisur und die Kleider stehen Ihnen übrigens sehr. Sie sehen großartig aus«, ruft sie mir fröhlich hinterher, was mir doch tatsächlich die Röte in die Wangen treibt. Ich kann es nicht glauben, dass mir so was passiert.

Schnell verschwinde ich durch die Flügeltür, bevor ich mich noch irgendwie blamieren kann. Wie angekündigt empfängt mich Raphael am anderen Ende einer langen Tafel. Sie ist mit glänzendem Besteck und kristallklaren Gläsern bestückt. In der Mitte des Tischs thront ein riesiger Blumenstrauß aus weißen Rosen. Wie gebannt bleibe ich einen Moment stehen, um dieses surreale Bild in mich aufzunehmen. Noch nie habe ich so schöne Blüten gesehen. Die Natur holt sich zwar ihren Lebensraum im äußeren Sektor nach und nach zurück, doch das geschieht gänzlich ohne Blumen.
»Gefallen sie dir?«
Ich nicke und setze mich auf dem mir zugedachten Platz.

We are never SafeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt