|Kapitel 26 - Offengelegt|

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Ich erlaube mir noch diesen einen kurzen Moment der Schwäche. Nur noch diesen einen, bevor ich die Barriere um mein Herz fester ziehe und sie nie wieder los lasse.
Doch genau jetzt, in der nahezu vollkommen dunklen Schwimmhalle bin ich einfach nur ein ganz normales siebzehnjähriges Mädchen. In Ryans Armen scheint die Zeit Still zu stehen und der Schrecken auf der Welt zu verblassen. Ich spüre die Wärme, die von ihm ausgeht, seinen stetigen Herzschlag und die ruhigen Atemzüge. Tatsächlich entspanne ich mich etwas.
Der einfühlsame und freundliche Ryan ist mir wirklich um einiges lieber als der abweisende und unnahbare …

Die Zeit beschleunigt sich wieder, als mir ein Licht aufgeht. Wie konnte ich nur so dumm sein? Ich ziehe mich so schnell von ihm zurück als hätte er mich geschlagen.
»Was soll das?«  krächze ich mehr als ich spreche so fest sitzt mir der Kloß im Hals.
»Was soll was?« Er sieht aus als verstände er die Welt nicht mehr, dabei versucht er doch bewusst mich zu manipulieren, oder nicht?
»Warum tust du das? Warum bist du so?«, präzisiere ich die Lage für ihn und schlinge mir beide Arme um den Oberkörper, um das Zittern zu unterdrücken. An Ryans Lippen zupft zunächst der Ansatz eines Lächelns, bevor er es nicht mehr aushält und zu grinsen beginnt.

»Weil ich mit der Peitsche bei dir nicht weiter komme und wir zusammenarbeiten müssen. Außerdem habe ich mich wie ein Arschloch aufgeführt, als wir uns die letzten male gesehen haben und dafür möchte ich mich bei dir entschuldigen.« Er möchte was? Ich blinzele verwirrt und frage mich ob man ihm eine Gehirnwäsche verpasst hat. Aber dagegen spricht, dass er weder ins Leere starrt noch sabbernd durch die Gegend latscht.
»Ich brauche keine Entschuldigung, Ryan. Es ist besser, wenn du mir endlich erzählst, was du bist jetzt herausgefunden hast und was das heute Nachmittag zu bedeuten hatte.«

»Deal«, stimmt er ohne eine Sekunde des Zögerns zu. »Aber vorher sollten wir uns abtrocknen und umziehen gehen.« Er deutet mit den Daumen zu den Duschen, die ich bis jetzt noch nicht entdeckt habe. Bei dem Gedanken heute zum dritten Mal duschen zu gehen, macht sich etwas kaltes in meinem Magen breit. Bis vor zwei Tagen war meine einzige Körperhygiene den Regen auf mich plätschern zu lassen. Doch umgeben von all diesem Wohlstand und einer sicheren Mauer, die den »Abschaum« fern hält, ist es einfach all das Elend auszublenden und letztendlich zu vergessen. Viel zu einfach. Aber ich werde meine Augen nicht vor dem Wesentlichen verschließen und die Qualen verdrängen. Nein. Es wird Zeit gegen diese Ungerechtigkeit vorzugehen und endlich alle Machenschaften der Regierung aufzudecken! Bevor es zu spät ist.

Ich schlucke hart bei diesem Gedanken, lasse mir aber nach außen hin nichts anmerken.
Ryan lässt mir den Vortritt in den großzügig geschnittenen Waschraum. Der Boden besteht aus schwarzen rutschfesten Fließen und die Wände sind cremefarben. Vier Duschen säumen die rechte Wand, alle offen und bodentief. Keine Chance sich zu verstecken, denn der Waschraum ist für beide Geschlechter. Oder vielleicht gibt es im Rat auch einfach keine Frauen? Ein schmalerer Gang führt zu den Toiletten. Wie bereits zuvor sind wir allein, was womöglich an der fortgeschrittenen Zeit liegen dürfte. Die digitale Uhr am Eingang zeigt 01.34 Uhr. Wie schnell die Zeit doch vergangen ist.

»Du hast doch nicht wirklich vor jetzt zu duschen?«, erkundige ich mich ungläubig bei Ryan, der aus einem Schrank gerade zwei Handtücher und einen Bademantel zu Tage befördert hat. Der blonde Mann zieht lediglich eine Braue hoch, bevor er sich sein klatschnasses Shirt über den Kopf zieht und mir seine definierten Bauchmuskeln präsentiert. Der Verband von heute Nachmittag ist wie von mir prophezeit verrutscht und somit unbrauchbar. Er landet neben Ryans Sporthose, womit dieser lediglich mit seinen Boxershorts vor mir steht. Es kostet mich schiere Willenskraft meinen Blick nicht in tiefere Regionen wandern zu lassen.

»Und du hast doch nicht wirklich vor mich dabei zu begaffen«, erwidert er ungerührt und dreht das Wasser auf. Sofort entsteht Dampf, der durch das Zimmer wabert und die Luft mit Feuchtigkeit schwängert.
»Ich begaffe dich nicht«, protestiere ich empört und stemme die Hände in die Hüften. »Wenn dann würden dir doch die Augen aus den Höhlen quellen, du perverser Spanner.« Ryan tritt unter den heißen Wasserstrahl und stöhnt erleichtert auf. Das Geräusch fährt mir prompt in die kalten Knochen und erinnert mich an mein Zähneklappern. Da er mit dem Rücken zu mir steht, weiß ich nicht, ob er über meinen Kommentar lächelt oder mit den Zähnen knirscht.

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