|Kapitel 12 - Abschied|

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»Kenshin ist heute ziemlich …«
»… sauer?«, beende ich brummend Valerians angefangenen Satz und schiebe mich mühsam durch das enge Abwasserohr voran, in welchem wir uns mittlerweile befinden und welches sich mit jedem zurückgelegten Meter weiter verengt. Der grünäugige Mann führt mich schon seit Stunden durch die unterirdischen Gänge, die sich permanent verzweigen, abrupt enden oder hüfthoch mit Wasser unterlaufen sind. Ab und an hört man die charakteristischen Geräusche von Ratten und anderem Getier durch die Rohre schallen, was mir eine Gänsehaut bereitet. Ich hasse Ratten!

Den ganzen Weg über haben Valerian und ich uns angeschwiegen. Seine halbherzigen Versuche eine Unterhaltung mit mir zu beginnen habe ich abgeblockt. Ich wüsste nicht worüber ich mit ihm reden sollte. Vielleicht sehen wir uns nie wieder … Doch nachdem die Gänge nun nicht länger grün beleuchtet sind und ich hinter ihm herkrieche, scheint er neuen Mut gefasst zu haben. Ich sehe im hellen Schein der Stirnlampe, wie sich Valerians Rückenmuskulatur unmerklich strafft, bevor er zu einer Antwort ansetzt.
»Nein. Das nicht. Eher enttäuscht«, fährt der muskulöse Mann fort, wobei ich versuche nicht zu sehr zusammen zu zucken. Wieder dieses Wort. Immer sind alle enttäuscht von mir. Frustrierend! Ich schlucke schwer, was mit meinem plötzlich vollkommen ausgetrockneten Mund kaum möglich ist.

»Ach ja? Meinst du wirklich?« In meiner Stimme schwingt glücklicherweise keine Gefühlsregung mit.
»Ja.« Ich bleibe stumm. Stattdessen konzentriere ich mich auf meine körperlichen Beschwerden. Meine Hände sind von dem rauen Stein an einigen Stellen aufgerissen und schmerzen. Meinem Rücken geht es durch die gebückte Haltung nicht anders. Die Haare kleben mir feucht im Nacken und ich bin über und über mit Dreck und Spinnweben bedeckt. Der Schweiß läuft mir am Rücken und zwischen den Brüsten in Strömen hinab. Umso näher wir der inneren Stadt kommen, umso wärmer wird es auch. Es ist beinahe unerträglich.
Valerian hat mir bereits erklärt warum das so ist, doch seine unverständlichen Worte sind an mir abgeprallt. Dafür wirbeln zu viele Gedanken durch meinen Kopf. Eine davon ist dieser verfluchte Blondschopf mit seinem noch bescheuerten Bruder.

»Warum tust du das eigentlich?«, wende ich mich direkt an meinen Begleiter, der unermüdlich vorwärts kriecht. Auch sein Shirt ist am Rücken mit Schweiß durchtränkt und ich wette seine Brust ist es ebenfalls. Letzteres verdränge ich augenblicklich wieder.
»Tue ich was?«, forscht er über den plötzlichen Themenwechsel verwirrt nach. Ich zucke beiläufig die Achseln, obwohl er es nicht sehen kann.
»Ich meine, weshalb du diese Strapazen freiwillig auf dich nimmst. Lorcan hätte nicht dich geschickt, wenn du ihn nicht darum gebeten hättest.«

»Wer sagt, dass ich ihn gebeten habe?« Auch ohne sein Gesicht zu sehen weiß ich, dass er schmunzelt. Ich erkenne es an seiner Stimmlage, die sich um eine Nuance verändert hat.
»Wer sagt, dass du es nicht getan hast?«, murmele ich und kneifen die Augen zusammen, als mich der Lichtkegel von Valerians Lampe streift. Er steht aufrecht, da das Rohr in einen größeren Raum gegipfelt ist. Seine Lippen ziert das vermutete Schmunzeln.
»Gut. Ich habe ihn darum gebeten, das es sicherer ist, wenn dich jemand führt, der diesen Weg wie seine Westentasche kennt.«

»Und dieser Jemand bist du?« Ich verlasse das Rohr und ächze leise, als meine Knochen gegen die aufrechte Haltung protestieren. Fast wären mir die Beine weggesackt. Valerian, der das sofort bemerkt, streckt mir hilfsbereit seine Hand entgegen, doch ich lehne ab. In seinen Augen blitzt Verlegenheit auf, welche er jedoch zu überspielen versucht.
»Na klar.« Er zwinkert verschwörerisch. »Wir sind übrigens da.«
Ich sehe mich um. Doch es gibt nichts sehenswertes. Der Raum ist bestimmt vier Meter hoch und noch dringt kein Lichtstrahl zu uns nach unten, wobei es mittlerweile später Nachmittag sein dürfte. Es gibt auch keinen Hinweis darauf, dass man diesen ewig währenden Labyrinth von hier aus entkommen könnte.

»Hier ist es also?« Ich klinge zweifelnd. Es sieht aus wie eine Sackgasse.
»Richtig.« Valerian ist überzeugt. Ihm scheint es nicht zu schmecken, dass ich auch nur den geringsten Zweifel hege. Ich zucke die Achseln.
»Aha. Und wie geht es jetzt weiter? Soll ich mich durch den Beton hacken oder durch die Decke teleportieren?«
Ich sehe wie seine Mundwinkel zucken, doch er unterdrückt mühevoll ein Lächeln. Stattdessen geht er zielstrebig auf eine der vier Wände zu, die er zu untersuchen beginnt.
»Das dürfte wohl nicht nötig sein. Du kannst die Strickleiter benutzen.«
»Strickleiter?«

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