|Kapitel 19 - Leere|

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»Woher weißt du von Fenix? Spuck's aus!«, schäumt er vor Wut und gräbt seine Nägel tiefer in meine Haut. Misstrauen verhärtet seine feinen Gesichtszüge. Fenix war mir eindeutig lieber, als dieses Ekelpacket! Ich denke nicht einmal im Traum daran, ihm eine vernünftige Antwort zu geben.
»Fick dich, Reeves!« Ich spucke ihm mitten ins Gesicht. Die Genugtuung, die mich daraufhin durchströmt, ist mehr als befriedigend. Nur mühsam kann sich der Blondschopf beherrschen mir keine Ohrfeige zu verpassen. Stattdessen atmet er tief ein und aus, um sich zu beruhigen. Scheint so, als würde ich ihn schnell aus der Haut fahren lassen.

»Hör auf mich Reeves zu nennen. Das ist mein Nachname. Nur die alten Ratssäcke und Lorcan nennen mich so. Ich heiße Ryan«, fährt er deutlich ruhiger fort und lockert den Griff um meine Oberarme. »Und deine Behauptung ist falsch. Ich würde Fenix niemals ausliefern.« Ich wusste es! Ich lache trocken.
»Sieht so aus, als wären wir beide selbstsüchtig. Du hast kein Recht von mir zu verlangen, Skara mit hineinzuziehen.«
»Habe ich nicht«, gibt er zerknirscht zu. »Aber gerade deshalb würde ich gern von dir erfahren, woher du ihn kennst.«
»Lässt du mich dann los, Ryan?« Kurz zögert er, doch dann gibt er mich frei, und lässt sich ins Gras fallen. Ich setze mich ebenfalls wieder, aber mit genügend Abstand zwischen uns.

»Fenix arbeitet für Artanis. Lorcan steckt dahinter, nehme ich an.« Eine Feststellung, keine Frage. Ryan nickt ernst. Ungeduld steht in seinen Augen. »Ich habe ihn getroffen, als ich kurz davor war Joe eine Abreibung zu verpassen. Und da ich dachte du wärest Fenix, bin ich auf ihn losgegangen. Dein großer Bruder war allerdings so freundlich mich über das Arschloch in seiner Familie aufzuklären. Und bevor du mich umbringst, ihm ist nichts passiert.«
»Kleiner Bruder«, korrigiert er mich ernst und lässt die erneute Provokation an sich abprallen. »Ich bin mit neunzehn ein Jahr älter als er.« Skeptisch mustere ich ihn. Doch dann sehe ich die Stärke und Entschlossenheit in seinen Augen, die seine Worte bestätigen. Es sind die selben Ausdrücke, die ich auch bei mir sehe, wenn ich an meine Schwester denke.

»Skara ist gerade einmal elf«, komme ich Ryan einen Schritt entgegen und kann mir, aus unerklärlichen Gründen, einen kleinen Spaß nicht verkneifen. Dabei bin ich nicht gerade der Typ der Situationen auflockert – ich treibe die Stimmung normalerweise in den Erdkern. »Sie ist zwölf Jahre jünger.« Womit ich dreiundzwanzig wäre. Ryans folgender Gesichtsausdruck ist unbezahlbar und ich lache so befreit, wie schon lange nicht mehr.

»Wie alt bist du wirklich?« Die plötzliche Panik in seiner Stimme treibt mir die Tränen in die Augen, wobei ich lachend »vierzehn« kiekse und mich auf den Rücken fallen lasse. Das Lachen ist so ungewohnt, dass mir bereits jetzt der Bauch schmerzt.
»Lügnerin!« Seine zuckenden Mundwinkel sind die einzige Vorwarnung, bevor er ebenfalls los lacht.

»Lyra?« Sein Gesicht taucht schmunzelnd über mir auf, nachdem wir uns wieder beruhigt haben. Die Kälte ist aus seinen Augen gewichen und ich erkenne erstmals den feinen silbernen Ring in seinen Iriden.
»Ich bin siebzehn«, gestehe ich, als er mir sanft eine Träne von der Wange wischt, wobei er die verschorfte Messerwunde streift. Auch an meinem Hals verweilt er, sodass ich kurzzeitig damit rechne, dass er zupackt. Doch seine Hand ist dieses Mal tröstlich warm und sanft.
»Ryan?« Meine Stimme ist leise, aber eindringlich, was ihn zurück in die Gegenwart befördert. Er räuspert sich, scheint in seinem Kopf nach einer Frage zu wühlen, um seine plötzliche Zärtlichkeit mir gegenüber zu überspielen. Was ist das nur zwischen uns? Erst bekriegen wir uns mit allen Mitteln, dann lachen wir und letztendlich ...

»Warum ist deine Schwester Farang überhaupt so wichtig?« Die aufgekeimte Heiterkeit verschwindet so schnell wie sie gekommen ist und lässt lediglich Resignation zurück.
»Ehrlich? Ich habe keine Ahnung. Er hat noch kein Wort über seine Arbeit verloren. Ich wohne lediglich bei ihm.« Ich schätze es sehr, dass er nicht nachfragt, warum ich nicht ohnehin bei Raphael lebe. Warum ich Distrikt 2 bevorzuge, wenn man das so nennen kann.
Ryan seufzt und kneift sich dann in den Nasenrücken. Ein Vorbote aufkommender Kopfschmerzen?
»Ich nehme an, du hast deinen Vater bisher nur Lügen erzählt.«
»Richtig. Bisher hat er mich noch nicht darüber ausgefragt, wie ich her gekommen bin und was ich hier überhaupt will. Er spielt mir den Vorzeigevater vor.«

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