|Kapitel 29 - Überzeugung|

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Hemingways Worte nehmen mir kurzzeitig die Luft. Ich schaffe es nur mühevoll mit der eiskalten Schlinge, um meinen Brustkorb Sauerstoff in meine Lungen zu pumpen und nicht in Panik auszubrechen. Alles in mir schreit nach sofortiger Flucht. Egal wohin, egal wie, nur weg. Weg von Ms Bright. Weg von Raphael und seinem Virus. Weg von all den Lügen. Einfach genügend Abstand zwischen mich und dem Grauen bringen, welches der Präsidentin, wie schwarzer Schleim mit jedem weiteren Atemzug aus den Poren zu quellen scheint. Ich muss sofort … Nein. Ich muss ruhig bleiben. Mich an meine Ausbildung erinnern, an Kenshins Grundsätze.

»Du musst abwarten, dich anpassen und entsprechend reagieren. Triff keine vorschnellen Entscheidungen. Und bei Gott, handel ja nicht überstürzt. Dabei passieren die meisten Fehler und das tut einem am Ende am meisten Leid«, höre ich seine tiefe Stimme in meinen Gedanken und blende diese ganzen hinderlichen Gefühle aus. Er hat mir schon immer vorgehalten zu emotional zu reagieren und von Frustration und Zorn abgelenkt zu sein. Das alles sperre ich jetzt bewusst aus. Verbiete mir etwas anderes, als Gleichgültigkeit zu fühlen. Ich spüre, wie kühle Rationalität die Kontrolle über mich übernimmt und klares Denken ermöglicht.

Abwarten.
»Entschuldigen Sie bitte vielmals. Aber wovon genau sprechen Sie?«, erkundige ich mich höflich, aber mit neutraler Stimme. Hemingway sieht mir prüfend ins Gesicht, scheint nach irgendetwas zu suchen, wobei mich das blasse Blau ihrer Augen förmlich zu durchbohren scheint. Schließlich scheint sie fündig zu werden. Ihr Mund verzieht sich zu einem erschreckenden Lächeln. Mir rinnt ein kalter Schauer den Rücken hinab.
»Ich rede davon die Karten endlich offen auf den Tisch zu legen. Denn seien wir mal ehrlich, das ist schon längst überfällig, meine Liebe.«

Anpassen.
»Von welchen Karten sprechen wir? Ich meine, den Großteil werden Sie sich schon selbst zusammengereimt haben.« Ihr Lächeln wird breiter.
»Du bist gar nicht dumm, Kleine. Das muss ich dir lassen. Und Mumm hast du auch«, schmunzelt sie und winkt mich weiter. »Die meisten würden an deiner Stelle versuchen alles zu leugnen und sich herausreden. Aber du hast das offensichtlich nicht nötig.« Ich zucke die Achseln.
»Warum lügen, wenn man ohnehin nichts mehr zu verlieren hat?«
»Nichts mehr zu verlieren? So weit würdest du gehen? Dabei ist doch dein Vater …«

Reagieren.
»Mein Vater ist mir egal«, unterbreche ich sie kalt. »Er hat sich einen Scheiß um mich gesorgt, hat mich in den Außenbezirken verrotten und hungern lassen, ohne nach mir zu suchen. Selbst jetzt hat er noch nicht ein gottverdammtes Mal gefragt, wie es mir geht. Wie es sich anfühlt das Blut der eigenen Schwester an den Händen kleben zu haben!«
Das Staatsoberhaupt nickt bedächtig, als könne sie meine Wut durchaus nachvollziehen. Und vielleicht kann sie das auch. Was weiß ich schon?
Das Klackern von Hemingways hohen Schuhen, bringt mich dazu genauer auf meine Umgebung zu achten. Der altbekannte Teppichboden wird von tristem Beton abgelöst, als wir das kühlere Treppenhaus betreten.

»Also, wie gesagt, spielen wir doch mit offenen Karten«, wiederholt sich die Präsidentin und zieht aus ihrem dunkelblauen Kostüm eine Plastikkarte hervor. Mit jeder weiteren Stufe, die wir erklimmen, scheint es dunkler und drückender zu werden. »Ich weiß, dass du geschickt wurdest. Ich weiß, dass du weißt, wer uns versucht zu infiltrieren und ich schätze dich nicht so dumm ein, dass du nichts über den Ausbruch des Virus mitbekommen hast.« Ich muss wirklich verdutzt ausgesehen haben, denn das Staatsoberhaupt wirkt belustigt, obwohl das in der Düsternis nur schwer auszumachen ist.
»Was? Dachtest du allen Ernstes, ich würde versuchen, das zu vertuschen, nachdem du es mit eigenen Augen gesehen hast?« Sie hält die Plastikkarte gegen einen Scanner, dessen rotes Licht auf Grün springt und die verriegelte Metalltür entsperrt. Ich lese: SICHERHEITSSTUFE DREI. Erst jetzt bemerke ich die große 11 an der Wand, die mit weißer Farbe aufgesprüht wurde.

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