|Kapitel 11 - Scham|

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Kenshin steht mit verschränkten Armen und hochgezogener Braue an einer Hauswand und beobachtet mich prüfend. Wie gewöhnlich schweigt er, um mich zum Sprechen zu bewegen und die unangenehme Stille zu durchbrechen. Und natürlich falle ich wieder darauf herein.
»Du hättest mir ruhig helfen können«, bemerke ich kalt und klopfe mir den Staub von den Klamotten. »Immerhin könnte ich jetzt tot sein.« Die Masche zieht bei ihm nicht. Auch nichts ungewöhnliches.

»Bist du aber nicht.«
»Richtig. Aber das ist nicht dein Verdienst«, knurre ich und verschränke ebenfalls die Arme. Kenshins Augenbraue wandert noch ein kleines Stückchen höher. Ich hasse diesen Gesichtsausdruck an ihm. Er analysiert mich, versucht meine Gedanken zu erraten und zu seinem eigenen Vorteil auszunutzen, um mich in die Enge zu treiben.
»Dieser Kerl hätte dir nichts getan und das wissen wir beide. Außerdem habe ich dich perfekt ausgebildet. Du kommst auch ohne mich zurecht.« Ich lache trocken.
»Ach was? Jetzt traust du mir plötzlich so viel zu, nachdem du mich vor dem Glatzkopf wie den letzten Schwächling hast da stehen lassen!«

»Ich wollte keinen unnötigen Ärger«, erwidert er grimmig, was mir gewaltig auf die Nerven geht. Ständig werde ich unterschätzt, ständig wird auf mir herumgehackt und ständig mischen sich andere Leute in mein Leben ein. Ich habe das alles so satt.
»Du hättest auch keinen verdammten Ärger bekommen! Das war allein meine Sache. Meine verdammte Entscheidung! Du hättest dich nicht ungefragt einmischen dürfen!«, fauche ich und bewirke endlich eine Gefühlsregung bei dem dunkelhaarigen Mann. Seine Augen verengen sich, während eine Ader auf seiner Stirn zu pochen beginnt.

»Hörst du dich eigentlich selbst reden?!«, bellt Kenshin verärgert. »Hörst du nicht wie unvernünftig du geworden bist! Gott, Lyra ich erkenne dich in letzter Zeit überhaupt nicht wieder. Du wärst den Typen nur wegen eines dummen Spruchs beinahe angefallen.« Ich knirsche mit den Zähnen, bleibe aber stur. Ich lasse mich nicht länger beleidigen. Von niemandem!
»Und wenn schon. Einer weniger schadet keinem.« Kenshin schnappt erstaunt nach Luft. Er scheint ehrlich von mir schockiert. Die eine Hälfte in mir möchte sich sofort entschuldigen und um Verzeihung bitten. Die andere würde am liebsten noch eins obendrauf setzen.

Ich bleibe stumm. Beobachte. Warte ab.
»Die Lyra, die ich ausgebildet habe, hätte das nie gesagt. In ihren Augen habe ich nie diese blanke Mordlust gesehen, wie in deinen vorhin! Sie wäre auch nie blindlings Lorcan Befehlen gefolgt oder hätte sich ihm aufgedrängt.« Der Zorn kehrt zurück. Kochend heiß brennt er in meinen Adern, während mir so einiges klar wird. Meine Schultern straffen sich, während ich unbewusst einen Schritt auf ihn zumache.
»Ach darum geht es hier also! Es passt dir nicht, dass ich in die innere Stadt aufbreche.« Kenshin holt tief Luft, dann entweicht ihm ein Seufzer.
»Nein. Ehrlich gesagt passt mir das ganz und gar nicht.«

»Ich glaube es einfach nicht.« Das schrille Kichern entweicht mir noch, bevor ich es zurückhalten kann. Es klingt irre. Mein Mentor wirkt ungerührt. »Du warst es doch, der mich dazu gedrängt hat, einen guten Auftrag von Lorcan zu bekommen. Du hast mich erst zu ihm gebracht! Und jetzt wo ich meiner Schwester endlich wieder etwas halbwegs Nahrhaftes auf den Tisch stellen kann, sodass sie nicht verhungert, sagst du mir ich soll es lassen. Ich verstehe dich einfach nicht!«
»Es geht dir also nur um Skara.«
»Nein, um die Ratten in der Kanalisation.« Kenshin ignoriert meinen Sarkasmus einfach. Seine dunklen Augen bohren sich in meine sturmgrauen. Er glaubt mir nicht. Natürlich glaubt er mir nicht. Aber das interessiert mich nicht.

»Du kannst mich sowieso nicht mehr aufhalten. Ich werde gehen und das weißt du auch. Ich habe ohnehin keine Wahl mehr.« Ohne es zu wollen klinge ich zum Schluss wehmütig. Außerdem steigt Scham in mir auf. Scham, da ich alle Menschen um mich herum enttäusche. Du bist ein Monster, höre ich erneut Skaras Stimme in meinem Geist. Ein Monster.

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