|Kapitel 38 - Null|

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Es ist aus. Alles umsonst. Alles.
Am liebsten würde ich schreien, in Tränen ausbrechen oder mich umbringen, weil ich tatsächlich geglaubt habe, dass wir eine reelle Chance haben. Erst jetzt, im Angesicht unseres sicheren Todes, begreife ich wie lächerlich das war. Im Grunde genommen würde es keinen Unterschied machen, wenn ich es hier und jetzt zu Ende bringen würde. Vermutlich würde ich mir einiges Leid ersparen. Die Pistole liegt noch immer in meiner Hand, sodass ich sie nur ansetzen und abdrücken müsste. Es wäre so verdammt leicht. So leicht. Niemand könnte mich aufhalten.

Und trotzdem … Mein Stolz verbietet es mir. Wenn ich sterbe, dann aufrecht. Im Kampf, nicht feige durch mich selbst. Also tue ich nichts von den genannten Dingen. Stattdessen blicke ich in den wolkenverhangenen Himmel, atme tief ein und muss tatsächlich … lachen. Es ist mehr ein hysterisches Kichern, das mir entrinnt, bevor ich es zurückhalten kann, doch ich pruste, wie noch nie zuvor. Wahrscheinlich habe ich jetzt vollends den Verstand verloren. Doch selbst wenn dem so sein sollte, ich bin nicht allein. Ryans herzhaftes Lachen klingt wie Musik in meinen Ohren, als er sich ebenfalls krümmt und seinem Frust in Anbetracht dieser beschissenen Situation freien Lauf lässt. Denn es gibt kein Entkommen.

Wir sind umzingelt, soweit ich das im grellen Licht der riesigen Strahler ausmachen kann. Dutzende Wachmänner, mit ihren Gewehren im Anschlag, harren im Halbkreis um uns herum aus. Warten auf den Befehl zuzuschlagen und uns mit Kugeln zu durchsieben. Hinter uns wird das Trommeln schwerer Stiefel lauter, bis es abprubt verstummt. Ich muss mich nicht umdrehen um zu wissen, dass uns die Männer von vorhin eingeholt haben und nun auch diesen Weg versperren.

»Waffen weg und Hände hoch! Ergebt euch!«, fordert uns ein muskelbepackter Hüne auf, von dem ich annehme, dass er hier das Sagen hat. Er brüllt so laut in das Megafon, dass mir die Ohren klingeln. Ich ignoriere ihn trotzdem und drehe mich zu Ryan, um einen letzten Blick in seine eisblauen Augen zu erhaschen. Sie funkeln, als er meine freie Hand in seine nimmt und drückt. Ein stummer Abschied. Ich spüre einen festen Knoten in meinem Magen, den ich nicht recht deuten kann. Doch im Angesicht des Todes scheint das ohnehin bedeutungslos.

»Wir sehen uns in einem anderen Leben«, haucht er unter den wüsten Schreien des befehlshabenden Soldaten, dass wir uns nicht bewegen sollen. Ich schaffe ein zögerliches Lächeln. Selbst Ryan weiß, dass es vorbei ist. Und wenn selbst er nicht mehr an einen Sieg glaubt, kann ich meine Hoffnung endgültig begraben.
»In einer anderen Welt, an einem anderen Ort und zu einer besseren Zeit.«
»Versprochen.«
»Ja, versprochen.«

Ich weiche zurück und ziehe meine Springfield Amory. Wir werden nicht kampflos untergehen. Dass sie noch nicht auf uns geschossen haben, kann nur bedeuten, dass sie uns lebend wollen. Und falls sie ihre Meinung ändern sollten, nehmen wir wenigstens noch ein Paar von ihnen mit. Ich habe noch fünf Schuss, Ryan sechs. Erbärmlich. Damit werden wir keinen weltbewegenden Schaden anrichten. Ich wirbele herum, ziele auf die Umstehenden und lande, noch bevor sich mein Finger um den Abzug krümmen kann, auf dem harten Asphalt. Der laute Knall durchdringt kaum mein Bewusstsein. Die nächsten auch nicht. Ich schramme mir Ellenbogen und Knie auf, spüre aber keinen Schmerz. Meinem Mund entkommt ein seltsames Gurgeln und ich spucke einen Klumpen Blut aus. Das Atmen fällt mir unendlich schwer.

Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie Ryan auf mich zustürzen will. Er schreit, kommt keinen Meter weit. Gnadenlos treffen ihn die Elektroden in die Brust und reißen ihn zuckend zu Boden. Mehrere hundert Volt werden durch seinen Körper gepumpt bis er erschlafft und sein Kopf kraftlos zur Seite rollt. Die Augen geschlossen. Ich will zu ihm stürzen, sehen, ob er noch lebt, doch meine Beine verweigern ihren Dienst. Meine Glieder fühlen sich bleischwer an und mit größter Anstrengung schaffe ich es mich auf den Rücken zu drehen. Ich muss husten. Ein stechender Schmerz schießt mir durch den oberen Bauch. Ich taste nach der Quelle und fühle, wie etwas klebrig nasses durch meine Finger rinnt. Als ich meine Hand vors Gesicht hebe, sind die Fingerspitzen rot. Blut. Die haben auf mich geschossen! Also habe ich mich geirrt.

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