Kapitel 1

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Nach einem harten Arbeitstag komme ich endlich zu Hause an und krame vor der Wohnungstür die Schlüssel aus meiner Tasche. Verwundert erblicke ich die Schuhe meines Freundes Tom, der eigentlich gar nicht zu Hause sein sollte.
Wahrscheinlich war er einfach früher von der Arbeit losgekommen und wir können uns einen schönen Abend machen.
Vielleicht hat er ja gekocht, oder wir schauen später noch einen Film. Der Abend wird bestimmt gemütlich und wird mit zwei Gläsern Wein und Knabberzeug auf der Couch enden. Naja, mal sehen, was die restlichen Stunden noch so bringen.

Als ich in die Wohnung gehe bin ich erst einmal verwundert. Nirgends, in keinem Raum brennt Licht. "Tom?" Immer wieder höre ich nur meine Stimme durch den Raum tönen, aber es kommt keine Antwort zurück.
Ein Rumpeln lässt mich verstummen und augenblicklich fällt mein Blick auf die Schlafzimmertür. Ist er schon da drinnen? Hat er vielleicht etwas vorbereitet oder sich schon hingelegt?
Vorsichtig tragen mich meine Füße immer weiter dahin, während ich nach und nach zwei Stimmen vernehme. Die meines Freundes und eine weibliche. Ich bemerke, wie sich mein Hals immer weiter zuschnürt und sich mein Magen zusammenzieht. Vergnügt er sich gerade mit einer anderen Frau in unserem Bett? Oder hat er einfach nur seine Schwester oder eine Kollegin eingeladen und muss etwas besprechen? Aber die Stimme seiner Schwester klingt anders. Sanft und freundlich, nicht so aufgeregt und fordernd.

Ganz langsam drücke ich die Türklinke hinab, alles fühlt sich an wie in Zeitlupe. Ich bin gefangen zwischen Hoffnung und Angst. Ich muss es einfach wissen.
Durch den kleinen Türspalt, den ich mir geschaffen habe sehe ich, was sich hier abspielt. Und doch habe ich nicht falsch gelegen. Tom liegt mit einer anderen Frau im Bett, die weder seine Schwester, noch eine Arbeitskollegin ist. Ich kenne all seine Kollegen, da ich ihn schon öfter auf Arbeit besucht habe. Mit allen habe ich mich gut verstanden, es war eigentlich wie eine große Familie.
Mein Körper erhitzt sich, Tausende Tränen sammeln sich in meinem Augen und das Erste, das in meinen Kopf schießt sind Selbstzweifel. Was habe ich falsch gemacht? Warum greift er zu solchen Mitteln? Bin ich ihm nicht mehr gut genug?

Enttäuscht und wütend knalle ich die Tür zu und renne ins Wohnzimmer. Ich nehme meine Tasche und renne zur Wohnungstür. Plötzlich spüre ich eine warme Hand und drehe mich erschrocken um.
"Lass mich bloß in Ruhe, du Schwein! Warum betrügst du mich?! Warum?! Und warum in unserem Bett?!" Ich schreie und schreie, rede mich total in Rage und schlage immer wieder gegen seine Brust. "Mia, beruhige dich, ich kann das erklären." Er versucht mich in seine Arme zu ziehen, aus den ich mich nur erschwerend lösen kann. "Du bleibst jetzt hier!", schreit er und zerrt erneut fest an meinen Handgelenken. In diesem Moment weiß ich nicht, ob ich Angst, oder Wut spüren soll. Wahrscheinlich tue ich genau beides zur gleichen Zeit.
So habe ich ihn noch nie gesehen. Er wirkt mit einem Mal so wütend, es scheint, als brennt alles in ihm. Der Versuch mich von ihm zu lösen scheitert kläglich und die Angst steigt immer mehr.
Wo ist eigentlich diese Frau? Wartet sie wohl noch immer auf ihn in unserem Bett? Es fühlt sich alles an, wie in einem Film.

Er redet auf mich ein, Brocken einer Entschuldigung dringen durch meine Ohren und prallen dort ab. Eigentlich will ich ihn jetzt nicht sehen, aber ich scheine nichts tun zu können.
Irgendwann lässt er locker, meine Handgelenke entspannen sich, trotzdem zeichnen sich tiefe blaue Streifen daran ab.
Wie ferngesteuert greife ich sofort wieder nach meiner Tasche und drehe mich zur Tür. Das Letzte, was ich in diesem Moment sehe ist meine Hand, die sich langsam auf die Türklinke legt. Ich spüre einen dumpfen Schlag auf meinem Hinterkopf, der bis über meinem Kopf erstrahlt und falle wie in Trance zu Boden.
Danach ist alles still.

Ein Leben ohne Vergangenheit [Michael Patrick Kelly]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt