Kapitel 13

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Auf dem Weg nach unten denke ich noch einmal über die Bilder nach. Warum hat mir Pia denn nichts erzählt, als ich sie gefragt habe? Irgendeinen Grund muss es ja für ihr Verhalten geben. Wenn wir fertig mit allem sind, werde ich wohl mal mit ihr reden müssen.

Ich zeige Patrick den Weg, der vorher herumgeirrt ist und wir gehen in den Garten. "Patrick, kannst du mir mit dem Pool helfen? Die Mädels stellen die Stühle und den Tisch raus", ruft Jan und sofort folgt er ihm. Die Männer machen sich an ihre Arbeit und auch Pia und ich holen die Gartenstühle aus der kleinen Hütte.

"Du sag mal, Pia", sage ich und nehme einen Stuhl hoch. "Ich habe vorhin zusammen mit Patrick ein paar Bilder auf meinem Laptop angeschaut." Unbeeindruckt tut sie es mir gleich und wir bahnen uns den Weg zur Wiese. "Oh, wie toll, hast du dich an irgendetwas erinnern können?" Kopfschüttelt positioniere ich den Stuhl und lege einen Stoffbezug obendrüber. "Nein, aber ich hab eine Frage." Gemeinsam gehen wir wieder zurück und machen uns an die nächsten Sitzgelegenheiten. "Klar, einfach raus damit", meint sie lächelnd und hebt erneut einen Stuhl an.

"Pia, wer ist dieser Tom?" Schlagartig stellt sie ihn wieder zu Boden und wird blass. Kein Wort kommt aus ihr heraus, sie starrt nur ins Leere. "Ist er doch mein Freund? Mein Mann? Sind wir geschieden? Oder nur ein Bekannter? Man Pia, jetzt sag schon was! Warum meldet er sich nicht bei mir?!" Meine Stimme wird wie von selbst lauter, energischer. Ich spüre, wie die Wut in mir hochkocht, aber auch die Angst vor ihrer Antwort dringt immer weiter in den Vordergrund.

"Mia, ich.." Sie verstummt, lässt sich auf den Stuhl sinken und spielt nervös mit ihren Fingern. "Ich kann es dir nicht sagen."
Was wird das jetzt? Soll ich noch vor ihr auf die Knie gehen, damit ich endlich eine Antwort bekomme? "Jetzt rede bitte mit mir! Ist er verstorben? Hat er jemanden umgebracht und sitzt im Knast? Hat er mich betrogen und ist mit seiner neuen Flamme durchgebrannt? Was?!", schreie ich, was auch langsam die Aufmerksamkeit der Männer auf uns zieht.

Perplex schaut mich meine Schwester an, ich sehe, wie sie antworten will. Ihre Lippen zittern leicht, aber sie bringt kein Wort darüber. "Ich wollte es dir nie sagen, weil ich dich nicht noch mehr verletzen will, Mia", flüstert sie und ich erkenne eine winzige Träne, die sich ihren Weg über ihre Wange bahnt. "Es ist doch sowieso alles kaputt, es kann nicht mehr schlimmer werden." Meine Stimme ist leise, ruhiger. Die Wut geht langsam zurück. Behutsam hocke ich mich vor sie und nehme ihre Hand in meine. "Hey, wir sind doch Schwestern." Mein Blick fällt auf unser gemeinsames Tattoo und auch mir läuft jetzt eine kleine Träne hinab.

"Du hast Recht", murmelt sie und schaut mir dabei nicht in die Augen. "Womit denn?" Ich spüre, wie mein Herz schneller schlägt und mein Körper leicht zittert. "Tom. Er war dein Freund, hörst du? Er war es."

Langsam löse ich meine Hand aus ihrer, meine Tränen versperren mir die Sicht. "Warum war? Was ist passiert? Und bitte Pia, die Wahrheit." Ich kneife meine Augen fest zu. Aus Angst etwas zu erfahren, was ich vielleicht gar nicht hören will. Ein Schutzreflex, wahrscheinlich denke ich, dass das Gesagte dann nicht zu sehr in mich eindringen kann.

"Er ist im Gefängnis, wegen Körperverletzung." Wie ein Schwert treffen mich diese Worte ins Herz, verschwommen erblicke ich die Umrisse meiner Schwester. "Die Wunde an deinem Kopf. Er hat sie dir zugefügt", flüstert sie beinahe und ich höre, wie auch sie anfängt zu schluchzen. "Warum?", antworte ich emotionslos. "Du hast ihn erwischt. Im Bett, mit einer anderen. Du wolltest gehen, aber er wollte dich nicht lassen. Mia, bitte! Es tut mir so leid!" Bei ihr brechen alle Dämme, sie stürzt sich auf mich und klammert die Arme um mich, doch ich fühle in diesem Moment rein gar nichts. Keinen Schmerz, keine Wut, keine Angst. Einzig und allein stelle ich mir eine Frage. Warum?

Wortlos kämpfe ich mich aus ihren Griff und stehe auf. Jan und Patrick stehen in der Tür, schauen uns beide wie gefesselt an, doch ich laufe einfach zwischen beiden hindurch. Im Augenwinkel kann ich sehen, wie sich Jan zu Pia kniet und sie beschützend in den Arm nimmt. Patricks besorgter und unverstandener Blick hängt an mir, aber er wagt es keine Sekunde mir zu folgen. Er versteht mich, ich will jetzt niemanden sehen. Gar niemanden.

Ein Leben ohne Vergangenheit [Michael Patrick Kelly]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt