Im ersten Moment wird mir total schlecht. Wenn ich schon daran denke mit so vielen Leuten in diesem engen Raum zu sitzen, bekomme ich ein unwohles Gefühl. Unsicher blicke ich Pia in die Augen und bekomme einen Ebensolchen zurück. "Willst du etwa nicht dahin? Also es ist völlig okay, wenn du das nicht möchtest, dann.. -"
"Nein, es ist okay", unterbreche ich sie und zwinge mir ein leichtes Lächeln ab. Es fühlt sich immer noch komisch an zu wissen, dass sie etwas für mich getan hat und tut und ich keine Ahnung von ihr habe. Aber vielleicht tut dieses intime Konzert auch gut."Die Plätze sind sogar in der ersten Reihe", sagt Pia überschwänglich grinsend, aber nicht mehr so aufgedreht, wie davor. Ich schlucke. Erste Reihe? Das kann ich nicht. Die ganzen Augen, die mich von hinten anstarren werden, Getuschel, warum ausgerechnet ich davorn sitze. Das kann ich nicht. Das will ich nicht.
Um Pia jedoch nicht den Spaß zu nehmen lächle ich als Antwort kurz und fahre mein Bett etwas nach oben. "Die Ärzte haben gesagt, wenn alles gut läuft bin ich morgen früh hier raus", sage ich leise und merke ihren verwirrten Blick, über meine Reaktion. "Wo wohne ich denn? Hab ich Familie? Kinder?" Neugierig sehe ich sie an, die vielen Fragen scheinen sie etwas zu überfordern. "Du.. Bist vor kurzem bei mir eingezogen", meint sie knapp und versucht ernst zu klingen, andererseits wirkt es, als verschweigt sie mir etwas. "Kinder hast du aber keine."
Auch, wenn mir das Ganze etwas komisch vorkommt, sage ich nichts dazu und nicke einfach nur. Zumindest bin ich erst einmal froh nicht allein zu sein.
Der restliche Tag vergeht, wie im Flug. Ich unterhalte mich noch ein wenig mit Pia und meiner Bettnachbarin und höre, als ich allein bin erneut seine CD.Am nächsten Morgen wache ich früher auf, als sonst. Mittlerweile darf ich auch gehen, also erhebe ich mich leise aus meinem Bett und gehe auf den kleinen Balkon. Dieses Mal sehe ich die Sonne aufgehen, es sieht beinah noch schöner aus, als wenn sie untergeht. Langsam erwacht alles zum Leben, die Vögel beginnen zu zwitschern und eine Frau geht bereits mit ihrem Hund auf der Wiese spazieren. Es tut gut einfach hier zu sitzen und der Welt zuzuschauen und die Ruhe zu genießen, bevor der Trubel wieder losgeht.
Nach dem Frühstück kommt auch irgendwann erneut die Visite, die mir bestätigt, dass ich heute nach Hause gehen kann. Allerdings soll ich mich noch etwas schonen und größere Anstrengungen vermeiden. Als ich Pia anrufe und ihr das mitteile stimmt sie sofort zu, mich abzuholen. Ein ungewohntes Gefühl ist es ja schon jetzt von hier fort zu gehen. Seit ich "aufgewacht" bin, war ich ja nirgends anders, außer in diesem Krankenzimmer. Auch Elisabeth werde ich wohl vermissen, schließlich war sie meine erste Bezugsperson, auch wenn wir nicht so viel Zeit hatten uns kennen zu lernen. Am Abend hat sie mir öfter von ihren Enkeln oder ihrem Mann erzählt, der leider schon vor einigen Jahren verstorben war. Trotzdem war es eine Wohltat dieser Frau und ihrer Lebenserfahrung zu lauschen und mit ihre Geschichten anzuhören.
Nun ist es also soweit und ich packe meine Sachen zusammen. Besonders die CD lege ich sorgfältig und behutsam in meine Tasche und setze mich auf meinen Bettrand. "Es war wirklich nett dich kennen zu lernen und ich drücke dir alle Daumen der Welt, dass du auch bald hier raus bist", sage ich und lächele Elisabeth freundlich zu. Auch sie bedankt sich bei mir und ist froh, meine Bekanntschaft gemacht zu haben. Schon kurz darauf klopft es an der Tür und Pia tritt hinein. "Hey, wird ja Zeit, dass du nach Hause kannst." Sie kommt zu mir, nimmt mir die Tasche ab und lächelt bereit. Gemeinsam verabschieden wir uns von Elisabeth und treten hinaus zu ihrem Auto, mit dem sie uns nach Hause fährt.
"Übrigens", beginnt sie zögerlich, als sie in der Einfahrt parkt. "Das Konzert, von dem ich dir gestern erzählt hatte.. Das ist heute Abend." Diese Sätze lassen mich stocken. Heute Abend? Bin ich dafür denn überhaupt bereit? Ich merke, wie meine Hände beginnen zu schwitzen und reibe sie unsicher aneinander. Beruhigend legt sie mir eine Hand auf den Arm. "Heißt das, heute ist unser Geburtstag?", frage ich und weite meine Augen, als sie kurz nickt. "Happy birthday, Schwesterherz." Lächelnd umarmt sie mich und ich erwidere es zu meinem überraschen. "Wünsche ich dir auch."
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Ein Leben ohne Vergangenheit [Michael Patrick Kelly]
FanficWas passiert, wenn man von jetzt auf gleich alles vergisst, was jemals passiert war? Du hast keine Vergangenheit, Nichts, an dem du festhalten kannst. Du bist allein. [Alle Inhalte sind frei Erfunden und dienen nur der Story der Geschichte. Einzig u...