Kapitel 5

872 41 7
                                    

Erschrocken drehe ich mich um und schaue in zwei tiefblaue Augen, die durch die Straßenlaternen erleuchtet werden. Da ist er, der Sänger mit seinem zerzaustem Haar und einem weißen Hemd, an dem die zwei obersten Knöpfe geöffnet sind. Erst einmal erstarre ich total und wende mich schnell wieder um. Hoffentlich hat er meine Tränen nicht bemerkt. Ich spüre, wie sich jemand neben mich setzt und tatsächlich findet er nun Platz neben mir. "Ich habe dich vorhin aus dem Saal stürmen sehen. Was war denn los, wenn ich fragen darf?" Vorsichtig drehe ich meinen Kopf und schaue zu ihm. Unsere Blicke treffen sich und obwohl mich seine Anwesenheit etwas nervös macht schaffe ich es, seinem Blick Stand zu halten. "Ach nein, mir war nur warm", lache ich und versuche mich so aus der mir unangenehmen Situation heraus zu ziehen.

Kurz darauf drehe ich mich weg und spüre weiterhin seinen skeptischen Blick auf mir. Plötzlich kommt auch meine Schwester wieder zu mir gerannt und schaut perplex, als sie Patrick neben mir sitzen sieht. "Ach hier bist du, ich hab mich schon gewundert", sagt sie sichtlich nervös und mustert Patrick nebenbei ganz genau. "Geht's wieder oder ist es immer noch so schlimm?" Das musste jetzt sein, oder? Warum muss sie mich das ausgerechnet neben ihm fragen? Um dem Ganzen schnell auszuweichen nicke ich kurz und sehe im Augenwinkel, wie er Pia unverstanden anschaut. Zum Glück stellt er allerdings keine weiteren Fragen.

"Ich hab euch schon vor dem Konzert gesehen. Ihr habt eure Karten mit einem älteren Ehepaar getauscht, nicht? Machen nicht viele, normalerweise wollen sie alle in der ersten Reihe sitzen." Pia stand natürlich sofort Rede und Antwort, um nicht komisch zu wirken. "Also, das war so, wir..-"

"Ich wollte den beiden einfach gern etwas Gutes tun", unterbreche ich sie und sehe Pia strafend an. Ihre direkte Art stresst mich irgendwie ungemein, alles und jedem muss sie sofort alles erklären. Obwohl sie ganz genau weiß, wie unangenehm mir das ist. "Ich warte im Auto." Seufzend gehe ich nun zurück und verstehe nur noch einige Brocken von "Geburtstag", "Vergangenheit" und "Panik". Und wieder weiß ein weiterer Mensch über mein Schicksal Bescheid.

Den Blick aus dem Fenster gerichtet warte ich also an die zehn Minuten, bis meine Schwester nun endlich wiederkommt. Aber sie kommt nicht allein, Patrick ist ebenfalls dabei. Was will der denn jetzt? Versteht er nicht, dass ich nicht reden will? Pia steigt ins Auto ein und verabschiedet sich aus dem Fenster heraus bei ihm. Damit sie mich in Ruhe lässt, habe ich schnell meine Augen geschlossen und so getan, als ob ich schlafe. Immerhin das klappt, sie spricht mich nicht an. Mein Herz setzt bald aus, als jemand gegen meine Autoscheibe klopft und ich erschrocken die Augen aufreiße. Entschuldigend steht Patrick davor und macht ein Zeichen, dass ich das Fenster herunterlassen soll. Warum stresst mich heute eigentlich jeder? Ich dachte, dass sollte ein schöner Geburtstag werden.

Langsam drücke ich auf den Knopf und spüre eine kühle Luft, die mir entgegen geworfen wird. Er stellt sich etwas näher zu mir und bückt sich ein wenig, um ich genau ansehen zu können. Kurz greift er in seine Hosentasche und hält mir einen kleinen Zettel nach drinnen. "Wenn du mal reden möchtest", sagt er leise und beruhigend. Anscheinend weiß er genau, wie ich auf das Thema reagiere und spricht es nicht weiter an. Ich schaue ihn an, wieder blicke ich genau in die kristallklaren Augen, die mir fast tief in die Seele sehen können. Wie gefesselt nehme ich den Zettel und halte ihn fest in meiner Hand. Schweigend lege ich den Finger auf den Knopf, doch da stützt er sich noch einmal am Auto ab. "Ach ja. Happy birthday, Mia."

Der Weg nach Hause ist immerhin nicht so weit. Immer wieder muss ich an sein Gesicht denken. Nach seinem Glückwunsch hat er mir so gutmütig zugelächelt. Irgendetwas sagt mir, dass dieses Grinsen voller Hoffnung war. Mein Name klang so vertraut, so leicht, als er über seine Lippen kam. Aber warum denke ich eigentlich darüber nach, wahrscheinlich unterhalten sich viele mit ihm nach der Show.

Stillschweigend sitze ich neben Pia, die das Auto in der Einfahrt geparkt hat. Sie hat die ganze Zeit über nichts gesagt, wahrscheinlich war sie sauer auf sich selbst über mich geredet zu haben. Ich steige aus und will auf direktem Weg in mein Zimmer, als ich die Schritte hinter mir höre. "Mia, warte bitte." Pia schaut mich entschuldigend an und ich kann nicht anders, als bei ihrem Blick zu seufzen und auf sie zu hören. "Es tut mir leid", stammelt sie leise. "Er war nur so erschrocken, weil du so schnell weg warst. Er hat sich Sorgen gemacht."
Lachend schüttele ich den Kopf und ziehe die Augenbrauen hoch. "Sorgen? Warum sollte er sich Sorgen machen, er kennt mich nicht mal", sage ich und setze meine Füße wieder auf die Treppe. "Er hat deine Panikattacke mitbekommen."

Ein Leben ohne Vergangenheit [Michael Patrick Kelly]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt