Kapitel 3

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Ich halte eine CD Hülle vor mir, auf der sich ein Mann abbildet, der eindringlich nach rechts schaut und in seiner rechten Hand eine Gitarre hält. Der Hintergrund ist in einem warmen rot gehalten und am oberen rechten Rand steht "iD".
"Michael Patrick Kelly" steht inmitten auf dem Cover auf weißem Hintergrund geschrieben.
Neugierig mustere ich dieses Exemplar und schaue mir alles ganz genau an. Innen befinden sich zwei CD's, auf den ebenfalls das Zeichen "iD" abgebildet ist. Pia scheint meinen verwirrten Blick zu merken und wirft ebenfalls einen Blick darauf. "Die hast du immer sehr gern gehört. Zu Hause hast du auch noch andere Platten von ihm stehen, aber ich wollte dir erst einmal nur eine mitbringen."

Ich habe die Musik von diesem mir unbekannten Mann gern gehört? Lustig, dabei kann ich mich nicht einmal erinnern, wer das überhaupt ist. Dankend nicke ich ihr zu und lege die Sachen sorgfältig beiseite. "Ich danke dir wirklich, aber wäre es okay, wenn du jetzt gehst? Ich würde gern noch etwas allein sein." Ganz allein wäre ich zwar sowieso nicht, denn die ältere Dame leistet mir noch immer Gesellschaft, aber das lässt sich wohl nicht vermeiden. "Natürlich", sagt Pia knapp und erhebt sich von dem Stuhl. Danach legt sie mir eine kleinen Zettel an die Seite und begibt sich zur Tür. "Ich hab dir meine Nummer hingelegt, wenn was sein sollte oder du was wissen willst, dann melde dich. Ich schaue morgen nochmal bei dir vorbei." Noch bevor ich etwas dazu sagen kann, ist sie auch schon aus der Tür.

Ich mache es mir ein wenig gemütlich auf dem Bett und schaue nachdenklich aus dem Fenster. Eigentlich habe ich noch so viele Fragen an sie, aber irgendwie ist mir gerade nicht danach. Ich hatte gehofft, mehr Erinnerungen zu haben, wenn ich meinen Namen erfahre, aber jetzt schwirrt nur "Mia" in meinem Kopf herum. Selbst mein eigener Name klingt fremd für mich, nicht einmal meine Stimme sagt mir irgendetwas. Nicht nur die Menschen um mich herum, erscheinen mir unbekannt. Auch meine eigene Person ist mir völlig fremd.

Quälend und vor Langerweile wälze ich mich in meinem Bett herum. Was hat mir denn Spaß gemacht, bevor ich hier gelandet bin? Hatte ich vielleicht ein Talent oder war ich in einem Verein? Wieder fällt mein Blick auf diese CD, die noch immer neben mir liegt. ID. Womöglich die Abkürzung für Identität. Ich drehe sie um und schaue mir die Rückseite an. Er hat sogar ein gleichnamiges Lied geschrieben. Irgendwie macht mich diese ganze Sache neugierig und ich beschließe, trotz meiner Kopfschmerzen zumindest mal hinein zu hören. Irgendetwas muss ich ja daran gefunden haben.

Vorsichtig stelle ich mir den Laptop, den mir Pia ebenfalls mitgebracht hat auf die Beine und lege die CD ein. Auf dem Desktop zieren sich mehrere verschiedene Ordner, die in mir ein unwohles Gefühl auslösen. "Sommerurlaub, Familie und Partys" sind einige der Ordner, die zu finden sind. Ein Fach namens "Tom❤" lässt mich allerdings blass werden. Tom - Wer soll das sein und warum steht ein Herz hinter seinem Namen? War er mir wichtig oder habe ich ihn geliebt? Langsam bewege ich den Pfeil auf genau diesen Ordner und bin drauf und dran ihn zu öffnen, aber plötzlich spüre ich wieder so eine Unsicherheit. Was wird sich verändern, wenn ich genau das jetzt tue? Ich habe Angst vor der Ungewissheit, enttäuscht zu werden, wieder keine neuen Erfahrungen zu sammeln. Seufzend schiebe ich die Maus nun davon herunter und widme mich erneut der CD.

Auch, wenn alle Lieder ihren Reiz versprechen, interessiert mich eines ganz besonders. Ich stecke mir die Kopfhörer in meine Ohren und drücke fast vorsichtig auf den Knopf und starte das Lied "ID".
Neugierig lausche ich den ersten Tönen und schließe die Augen. Wahrscheinlich erhoffe ich mir, etwas erkennen zu können, was gar nicht da ist, aber die Hoffnung stirbt zuletzt.

"Who am I? Who are you? Who are we?"

Bei diesem Sätzen hört mein Atem für einige Sekunden auf und ich öffne panisch die Augen. Wer bin ich? Diese Frage stelle ich mir ununterbrochen, wahrscheinlich die ganze Zeit. Erging es ihm womöglich genauso, wie mir? Weiß er auch nicht, wer er selbst ist?
Das Lied läuft weiter und am Ende des Refrains ertönt ein: "You can be you and I'll be me." Wie gern würde ich so sein, wie ich bin. Aber die einzige Frage ist doch, wer bin ich? Ich habe einen Namen, ich weiß, wie ich aussehe und wie alt ich bin. Aber was sagt das groß über mich aus? Wie verhalte ich mich denn, wenn ein kleines Kind weint? Tröste ich es oder gehe ich genervt davon? Mag ich Kinder oder hab ich gar welche?

Ein Leben ohne Vergangenheit [Michael Patrick Kelly]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt