Kapitel 6

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Dieser Blick, dieses Grinsen, es wirkt so ehrlich. Selbst mir zaubert es bei diesem Anblick ein Lächeln auf die Lippen. "Du sagtest, ihr ward in den 90-ern sehr erfolgreich." Verwirrt mustere ich ihn und sehe die kleinen Fältchen neben seinen Augen. Alles andere sieht noch so jung und frisch aus. Kein Makel, kein graues Haar. "Ich weiß, sowas fragt man eigentlich nicht.." Nervös knete ich meine Hände. "Darf ich fragen, wie alt du bist?" Schmunzelnd setzt er sich auf und schaut mich wieder an. Ich sehe, dass er sich ein richtiges Lachen verkneifen muss, was mich noch unruhiger werden lässt. "Rat doch mal", gibt er grinsend als Antwort und wartet gespannt, was ich wohl sagen würde. Es ist wirklich schwer sein Alter einzuschätzen, körperlich sieht er nicht älter aus, wie Mitte 20. Aber laut seinen Informationen müsste er mindestens an die 30 sein. "Vielleicht 33?", frage ich peinlich berührt und er lacht plötzlich los. Sein Lachen steckt wirklich an und obwohl mein Kopf hochrot zu sein scheint, steige ich mit ein.

"Danke, für das Kompliment", grinst er in sich hinein. "Ich werde im Dezember 40." Erstaunt schaue ich ihn mir noch einmal ganz genau an, das kann einfach nicht sein. "40?! Du machst Witze!", protestiere ich und schaue ihm noch einmal genau in die Augen. Auch er erwidert den Blick, was mich erst einmal Stocken lässt. Wieder einmal verfange ich mich darin und setze mich schnell wieder auf, um in eine andere Richtung blicken zu können. "No, it's the truth", bestätigt er und klopft mir kurz auf das Bein. "Wusste gar nicht, dass ich noch so jung aussehe."
Ich verfolge seine Hand, die er gerade wieder wegzieht und fühle mich ein wenig unwohl. Immer wieder blicke ich auf die Stelle, an die sie kurz zuvor lag und schlucke. Auch Patrick scheint meinen Blick zu bemerken und schaut mich verunsichert an. "I'm sorry. Ich wusste ja nicht..-"
"Nein, es ist nicht deine Schuld", unterbreche ich ihn und schaue ihm entschuldigend in die Augen. "Ich weiß nicht, was es ist, aber jede Berührung, egal vom wem lässt mich erschaudern."

Beschämt blicke ich zu Boden und sehe im Augenwinkel, wie er mich weiterhin mustert. "Weißt du denn, was damals passiert ist?", fragt er vorsichtig. Ich richte mich wieder auf und seufze kurz, bevor ich mit dem Kopf schüttle. "Im Grunde genommen weiß ich nur noch, dass ich im Krankenhaus mit einer Platzwunde und einer Gehirnerschütterung aufgewacht bin. Ich wusste ja nicht einmal, wie ich heiße", lache ich etwas verzweifelt. "Die Ärzte meinten, dass meine Erinnerungen möglicherweise bald zurück kommen würden, aber bisher merke ich davon nicht wirklich viel." Erst will mir Patrick aufmunternd seine Hand auf die Schulter legen, lässt es jedoch bleiben und sieht mich an. "Gib dem Ganzen etwas Zeit. Wenn du dich selbst verrückt machst, wird das nicht besser werden. Es klingt hart, aber man kann leider nicht viel dagegen tun." Eigentlich hat er ja Recht. Ich bemitleide mich selbst nonstop, obwohl ich auch einfach in den Tag hinein leben könnte. Wenn es doch nur so leicht wäre.

"Meine Eltern sind auch schon verstorben", murmele ich. "Ich hätte sie so gern kennengelernt. Also noch einmal von vorn. Vielleicht hätten sie mir mehr sagen können."
Gekränkt seufzt er und schiebt einige Steine mit dem Fuß umher. "Ich kann dich verstehen. Irgendwie scheint alles aussichtlos, aber es gibt auch Zeiten, in denen es besser wird. Wenn du mit Zuversicht an die Sache rangehst, kannst du nur gewinnen", bestätigt er mir aufmunternd und ich lächele ihm dankend entgegen. Plötzlich klingelt sein Handy. Schnell schnappt er es sich aus seiner Hosentasche und schaut mich kurz an. "Sorry", sagt er knapp und hält es sich ans Ohr. "Yes, beauty?" Er scheint seinen Ton ziemlich laut gestellt zu haben, denn am anderen Ende ertönt eine liebliche Frauenstimme. "Schatz, wo bist du denn?" - "Ich bin noch unterwegs, warum?" Ich fühle mich beinah etwas schlecht sein Gespräch zu "belauschen", deshalb drehe ich mich etwas herum und schaue durch den Park. "Ich hab was vorbereitet, wäre schön, wenn du bald kommen könntest." Patrick grinst und nickt. "Ich bin bald zu Hause, ja?" Mit diesen Worten verabschieden sie sich und er steckt sein Handy weg.

"Sorry, meine Frau." Ich wende mich nun wieder zu ihm und lächele ihn nickend zu. "Geh nur hin, ich finde schon allein nach Hause." Entschuldigend blickt er mich erneut mit seinen traumhaften Augen an und erhebt sich langsam von der Bank. "Nun gut, aber dafür lässt du mich dich heimfahren." Gerade, als ich dazu ansetzen will, um ihm zu sagen, dass es nicht weit von hier ist, nimmt er mir die Worte aus dem Mund.
"Keine Widerrede."

Ein Leben ohne Vergangenheit [Michael Patrick Kelly]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt